TV-Sprechstunde:Dr. med. Deutschland

Nach mehr als drei Jahrzehnten muss die Fernsehärztin Antje Katrin Kühnemann ihren Sendeplatz räumen - mit ihrer "Sprechstunde" endet eine Ära.

Martin Zips

Beim Kinderarzt war alles anders. Der war nicht ganz so schön und freundlich wie Dr. Antje Katrin Kühnemann, sondern hatte meist dunkle Ringe unter seinen Augen und war schon damals - Jahre vor der Gesundheitsreform - ziemlich schlecht drauf. Er lehnte sich nicht ruhig zurück, hörte nicht immer aufmerksam zu und schlug auch nicht seine Beine derart entspannt übereinander wie Dr. Kühnemann. Wenn man seine Praxis betrat, so sagte der Kinderarzt: "Ah, der Kleine hat also wieder Fieber? Wird wohl eher Schulangst sein".

TV-Sprechstunde: Seit 1973 brachte sie den Menschen Themen wie Migräne, Hodenkrebs oder Darmspiegelung näher: Nun will das Bayerische Fernsehen die Ärztin Antje Katrin Kühnemann, eine enge Freundin von Leni Riefenstahl, nicht mehr.

Seit 1973 brachte sie den Menschen Themen wie Migräne, Hodenkrebs oder Darmspiegelung näher: Nun will das Bayerische Fernsehen die Ärztin Antje Katrin Kühnemann, eine enge Freundin von Leni Riefenstahl, nicht mehr.

(Foto: Foto: BR)

In der Fernsehsprechstunde von Dr. Antje Katrin Kühnemann war alles viel, viel netter. Schon als Kind lauschte man ihren Ausführungen über Diabetes, Migräne oder Herpes. Freilich ohne damals einen blassen Schimmer davon zu haben, was das ist. Der Vorspann ihrer deutschlandweit beliebten Sendung wurde mit Musik von Johann Sebastian Bach untermalt. Eine schmissige Pop-Version seines C-Dur-Präludiums. Wartezimmermusik.

Selbst die Musik war viel schöner als beim eigenen Kinderarzt. Die Ärztin Kühnemann kannte auf jede Frage eine Antwort, für jedes Zipperlein hatte sie ein Rezept. "Leidenschaftliche Schachspieler bekommen seltener Alzheimer, weil ihre Gehirnzellen besser vernetzt sind." Das ist so ein Satz von ihr. Das Bayerische Fernsehen will sie nicht mehr.

Ihre wöchentliche "Sprechstunde" soll nach mehr als drei Jahrzehnten im Oktober eingestellt werden, an eine weitere Moderation der 60-jährigen Medizinerin sei nicht gedacht, heißt es. In ihrer Privatpraxis am Ufer des Tegernsees sitzt Dr. Kühnemann - ein bisschen blass. "Dass ich davon in der Presse erfahren musste, das hat mich sehr verletzt", sagt sie. Nun soll ein Wellness-Magazin ihrer zuletzt nicht mehr ganz so quotenträchtigen Sendung folgen. Ein Wellness-Magazin! "Der Sender vollzieht einen Richtungswandel", sagt die Ärztin in ihrem mit allerlei bunten Clown-Püppchen vollgestopften Behandlungszimmer.

Spiralbohrer und Privatpatienten

Es müsse die Liebe zu ihrem von Geburt an schwerbehinderten Bruder gewesen sein, die sie vor langer Zeit auf die Idee gebracht habe, Medizin zu studieren, erzählt sie bei rohen Karottenstäbchen und Teegebäck. Nach dem frühen Tod ihres Vaters, eines Offiziers, wuchs Kühnemann mit ihrer Mutter und drei Geschwistern im Münchner Vorort Grünwald auf. "In fröhlicher Faschingsrunde" habe sie gemeinsam mit Freundinnen als junges Mädchen die Idee gehabt, sich als Fernsehmoderatorin zu bewerben. Sie wurde genommen und finanzierte so ihr Medizinstudium. Ihr Bruder starb mit 20 Jahren an seiner Krankheit.

Mitte der Sechziger erschien Kühnemann zum ersten Mal als Ansagerin im Ersten Deutschen Fernsehen, später moderierte sie Kinder- und Unterhaltungssendungen. 1973 hatte ihr Gesundheitsmagazin "Die Sprechstunde" Premiere. Ihre erste Ehe mit einem Journalisten scheiterte, seit 16 Jahren lebt sie mit einem erfolgreichen Unternehmer zusammen, der Spiralbohrer vertreibt. Sie sind verheiratet, gemeinsame Kinder haben sie nicht. In ihrem "Vital-Zentrum" in Rottach-Egern widmet sich Kühnemann Privatpatienten. Hier herrscht eine freundliche Atmosphäre. Kühnemann nennt ihre Vorzimmerdamen "meine Mäuse". Ihre Vorzimmerdamen nennen Kühnemann "Frau Doktor".

Dr. med. Deutschland

Man solle ihrem Wagen, einem Jaguar V8, folgen, sagt die Ärztin. "Meine Haushälterin hat für uns daheim Häppchen bereitet." Die Fahrt führt über grüne Hügel, an Pferdewiesen, Golfplätzen und einer Spielbank vorbei. Am Ende einer sehr engen Straße winkt Frau Huber, die Haushälterin. Auch Happy, der Spaniel, steht in der Einfahrt. Bis vor ein paar Monaten spielte Happy noch mit Beauty. Aber Beauty ist jetzt tot.

Die Haushälterin hat Erdbeerkuchen und Sahne auf den gläsernen Wohnzimmertisch gestellt. Den Kaffee schenkt sie aus einer vergoldeten Kanne aus. Happy darf neben seiner Herrin am Sofa liegen. Der helle Raum quillt über mit Privatfotos, Fachbüchern und wertvollsten Ölgemälden. Durch das große Giebelfenster des mehr als 500 Jahre alten Gebäudes kann man Berge sehen.

Unglaublich sei der Zuspruch ihrer Fans am Telefon gewesen, sagt Dr. Kühnemann. "Die haben über den BR Dinge gesagt, die ich mich nie zu sagen trauen würde." Das habe gut getan, gerade weil die Boulevardpresse im Zusammenhang mit der Absetzung damit begann, zu spekulieren, ob Kühnemann magersüchtig sein könnte. "Bin ich nicht", sagt sie. "Ich habe nur meine schwer kranke Mutter daheim gepflegt. So habe ich abgenommen."

Von ihrer Mutter habe sie auch die wunderbar jugendliche Haut geerbt. Über all das spricht sie offen. Sie weiß, dass sie nicht nur Medizinerin ist, sondern eine Prominente. Ein Star der Klatschspalten. Und jemand, der auf neue Angebote wartet. "Welches Foto wollen sie zu dem Text eigentlich veröffentlichen?", möchte sie wissen.

Dann spricht Kühnemann über kritischen, unabhängigen Medizinjournalismus, wie sie ihn versteht. Sie erzählt, wie ein junger Mann nach ihrer Sendung eine Geschwulst an seinem Hoden ertastete und wie der Chefkameramann auf ihren Rat hin eine Darmspiegelung durchführen ließ. So habe sie geholfen. Und nie habe es in all den Jahren auf ihre Sendung hin Protest gegeben. Bevor das Wellness-Fernsehen nun Einzug hält, würde sie gerne noch einmal über Überlastungsfrakturen im Fuß berichten, über neue Schmerzstrategien und gelungenes Altwerden. - Wäre nicht auch der Arm-Reich-Konflikt in der medizinischen Behandlung ein Thema? Stirbt man als Kassenpatient früher? Leben Reiche gesünder? "Dieses Thema bringt die schlechtesten Quoten", sagt sie.

"Meine Freundin Leni Riefenstahl war oft zu Besuch in diesem Haus", erzählt Kühnemann im Bankettsaal ihres Anwesens. "Von Leni habe ich gelernt, dass man alles im Leben erreichen kann." Dann sagt Kühnemann, ihre Haushälterin solle dem Reporter doch bitte Erdbeerkuchen einpacken. Zum Mitnehmen. Und als die Fernsehärztin zum Abschied in der Haustür steht, mit Hund Happy im Arm, und freundlich zum Parkplatz winkt, da fühlt man, dass mit Kühnemanns TV-Abschied auch eine Ära zu Ende geht. Die Ära, in der Ärzte noch unantastbare Stars waren.

Naja, zumindest manche von ihnen.

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