Türken in Deutschland:"Erdoğan hat es geschafft, Familien zu spalten"

Recep Tayyip Erdogan

Mit ihren fünf Geschwistern könne sie nicht mehr beim Essen sitzen, ohne über Politik zu streiten, sagt Akyün.

(Foto: dpa)

Schriftstellerin Hatice Akyün streitet gerade ständig über Politik. Im Interview spricht sie über Mesut Özil in Mekka, und darüber, warum sie überlegt hat, den türkischen Pass zurückzugeben.

Von Verena Mayer

Was ist nur in der Türkei los? Diese Frage muss die Autorin und Schriftstellerin Hatice Akyün derzeit ständig beantworten. Die 46-Jährige gilt, seit sie in ihren Bestsellern über ihr Leben und den Alltag von Deutsch-Türken schrieb, als Spezialistin für das Leben zwischen den Welten.

Akyün steht in der Küche und brüht frische Pfefferminzblätter auf. Es ist nicht ihre Küche, sie gehört zu einer Villa von Freunden im Berliner Westen. Sie wohnt dort, da sie gerade etwas sehr deutsches tut: Ein Haus bauen. Im Gespräch wirft sie dann aber lieber mit türkischen Sprichworten um sich und erklärt, dass sich gar nicht so viel verändert hätte in der Türkei, wie viele meinen.

Die Türkei ist als Staat seit jeher auf eine Person ausgerichtet, erklärt Akyün, Repressalien und Unterdrückung habe es immer gegeben. Nur habe Europa das nicht als gefährlich wahrgenommen, weil die Türkei "früher den Westen simulierte. Das Land war laizistisch, Frauen mit Kopftuch durften nicht in den Staatsdienst, in den Großstädten sah es nicht anders aus als bei uns. Das Totalitäre dahinter nehmen wir erst wahr, seit wir politisch mit der Türkei so viel zu tun haben."

Akyün, die in den Siebzigerjahren als Kind einer typischen anatolischen Gastarbeiterfamilie nach Duisburg kam, sagt, sie habe sich immer als Türkin und Deutsche gefühlt. "Aber inzwischen lehne ich politisch so viel an dem Land ab, dass ich mich schon erkundigen wollte, wo ich meinen türkischen Pass zurückgeben kann."

Zur Person

Hatice Akyün, Schriftstellerin und Autorin, wurde mit Büchern bekannt, in denen sie über ihre deutsch-türkische Familie erzählt. Bereits ihr erster autobiografischer Roman "Einmal Hans mit scharfer Soße" wurde ein Bestseller und 2014 verfilmt. Inzwischen sind noch die Fortsetzungen "Ali zum Dessert" und "Ich küss dich, Kismet" erschienen. Akyün wurde 1969 in der Türkei geboren und wuchs als Kind einer Gastarbeiterfamilie in Duisburg auf. Sie hat sich in den vergangenen Jahren immer wieder mit dem Thema Migration beschäftigt und wurde dafür unter anderem mit dem Berliner Integrationspreis ausgezeichnet. Akyün lebt mit ihrer Familie in Berlin.

Vielen Deutsch-Türken gehe es ähnlich. "Erdogan hat es geschafft, Familien zu spalten." Mit ihren fünf Geschwistern könne sie nicht mehr beim Essen sitzen, ohne über Politik zu streiten. "Das ist wie in deutschen Familien, sobald es um Flüchtlinge oder die AfD geht. Man streitet bis aufs Blut oder schweigt sich um des lieben Friedens willen an."

Zu schreiben begann Akyün, als sie 30 und Single in Berlin war. Sie führte damals ein aufregendes Hauptstadtleben, aber das Einzige, was man in Deutschland über türkische Frauen hörte, waren Geschichten von Zwangsverheiratung und Ehrenmorden. "Und ich dachte mir: Ey, Alter, mich gibt's auch noch." Ihre Roman-Komödie "Einmal Hans mit scharfer Soße", die von ihrer Suche nach dem perfekten Mann erzählt, wurde 2014 erfolgreich verfilmt.

Seither habe sie viel Kritik von türkischen Frauenrechtlerinnen einstecken müssen. "Mir wurde vorgeworfen, meine Bücher seien unrealistisch und ich würde Märchen erzählen. Aber ich habe nun mal keinen schlagenden Vater, und meine Brüder tun mir nichts", sagt Akyün. "Ich habe als Türkin auch ein Recht darauf, lustig zu sein."

Im Interview in Berlin spricht Akyün auch über den Islam. Ihr humanistisches Weltbild habe "mit der Religion meines Vaters zu tun. Er lebt die Religion so, wie sie sein soll. Ohne Regeln, nur der Glaube zählt." Daher könne sie die Religion nicht verdammen, "nur weil andere sie für ihre Ideologie missbrauchen."

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