Türkei: Rauchverbot:Letzte Züge aus der Wasserpfeife

Türken sind leidenschaftliche Raucher. Doch ab Sonntag dürfen sie in Cafés keine Wasserpfeife mehr schmauchen. Über die Wirksamkeit von Verboten.

Kai Strittmatter, Istanbul

Istanbul - Bayern, aufgepasst, der Türke marschiert voran. Absolutes Rauchverbot von Sonntag an. In der Türkei! Wo seit Jahrhunderten Pfeife und Zigarette dem Manne so anverwachsen sind wie der Schnurrbart. Wo der Tabak seit altersher nicht "geraucht", sondern "getrunken" wird, sodass er sich harmonisch fügt zwischen zwei Schluck Mokka oder Tee. Wo das Rauchen den Leuten so zur zweiten Natur geworden ist, dass es in weiten Teilen Europas die Redewendung gibt: "Er raucht wie ein Türke." Wo sie einst auf endlosen Feldern die Pflanzen für jenen herben "Turkish blend" anbauten, dem mancher Raucher noch heute nachtrauert. Aus, vorbei. Die Nebel lichten sich.

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Die Istanbuler Kaffehäuser waren bereits kurz nach dem Import des Takabs derart verqualmt, dass man sich gegenseitig kaum mehr sehen konnte.

(Foto: Foto: Getty Images)

Ein neues Land soll das sein von nächster Woche an. Und allmählich dämmert den Türken, dass er es wirklich ernst meint, ihr Premier, jener Tayyip Erdogan, der zwar den Schnauzer noch gutheißt, der aber schon längst jeden Krümel Tabak auf den Anzügen der eigenen Leibwächter erspäht und jeden heimlichen Zigarettenhauch im Atem der Parteigenossen erschnüffelt. Bürgermeister weit hinten in der Türkei bekommen plötzlich Anrufe aus Ankara. Am Apparat Erdogan persönlich: "Du rauchst noch immer, mein Freund... Sie sagen, du rauchst viel..." Solche Geschichten enden in den Zeitungen mit dem reumütigen Versprechen der Lokalpolitiker, auf der Stelle dem Laster zu entsagen.

Das können nicht alle. Selbst in der eigenen Partei gab es Widerstand gegen das Gesetz, dessen erste Phase schon vor einem Jahr in Kraft trat. Seither ist Rauchen in öffentlichen Gebäuden und Verkehrsmitteln verboten. Von Sonntag an auch in allen Cafés, Bars und Restaurants. Ohne Ausnahme. Raucherzimmer nicht gestattet. Ein Drama, vergleichbar der "Trennung zweier Liebenden", fand der AKP-Mann Mahmut Durdu. Richtig sauer sind die Cafébesitzer. Der Chef des Kaffeehausbesitzervereins, Murat Agaoglu, malt eine Katastrophe für die 250000 Kaffeehäuser der Türkei an die Wand, er prophezeit das Fernbleiben jedes zweiten Kunden und beschwört das Ende "einer osmanischen Kultur".

Tatsächlich waren die Istanbuler Kaffeehäuser schon kurz nach dem Import des Tabaks aus Amerika "derartig verqualmt, dass die Leute drinnen einander nicht sehen konnten", wie ein Zeitgenosse Anfang des 17.Jahrhunderts berichtete: "Plätze und ganze Stadtteile stanken." Hauptsache, man sah noch das Tavla, das Backgammon-Brett. "Eine der wichtigsten Angelegenheiten der ehrlichen Türken ist, was sie ,Kief etmek‘, wörtlich: Laune machen, nennen", schrieb in den 1830er Jahren der spätere preußische Generalfeldmarschall Helmuth von Moltke in seinen "Briefen aus der Türkei". Also: "An einem gemütlichen Ort Kaffee trinken und Tabak rauchen." Er beobachtete das nicht ohne eine gewisse Sympathie: "Da sitzen die Türken nun mit untergeschlagenen Beinen und - schweigen." Andere urteilten ungnädiger. Johann Wolfgang von Goethe schimpfte sie allesamt "faule Türken", jene "Schmauchlümmel" unter den Deutschen, die die "Verkrüppelung" des Vaterlandes beförderten.

Wahrscheinlich hätte sich Goethe gut mit Premier Erdogan verstanden, der ähnlich patriotisch argumentiert. 110.000 Türken sterben jährlich an den Folgen des Tabakgenusses. "Es ist nichts weniger als eine Tragödie", sagt Elif Dagli, die Vorsitzende der nationalen Koalition zu Tabak und Gesundheit: "Atemwegserkrankungen sind Todesursache Nummer eins für Kinder unter fünf Jahren - und die meisten sind auf Passivrauchen zurückzuführen."

Vielleicht ist das eigentlich Erstaunliche, wie gelassen das Verbot im Volk aufgenommen wird. In einer Umfrage begrüßten 90 Prozent der Türken das neue Gesetz. Und wenn man sich in den Cafés umhört, trifft man auf Leute wie den 47-jährigen Ahmet Kuraz, der - Zigarette in der Hand - nach drei Jahrzehnten starken Rauchens sagt, er freue sich über das Verbot: "Ich will nicht, dass meine Kinder so werden wie ich."

Ein Gesetz - in der Praxis nicht viel wert

Die Istanbuler Psychologin Ilknur Ustunucar erzählt von ihrer Überraschung: "Wir erwarteten nach dem Gesetz vom letzten Jahr eine Trotzreaktion - aber das Gegenteil ist passiert." Sie und ihr Mann leiten eine Klinik, in der sie die Türken zu Nichtrauchern machen. Und sie sind vom Ansturm überwältigt: 4000 Kunden in drei Jahren. "Die Zahl der Leute, die zu uns kommen, hat sich jedes Jahr verdoppelt", sagt Ilknur Ustunucar, die selbst noch bis vor fünf Jahren zwei bis drei Schachteln am Tag rauchte: "Viele nehmen das Gesetz nun zum Anlass, aufzuhören."

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Altkanzler Helmut Schmidt qualmt trotz Rauchverbot weiter. Doch er da ist er nicht allein: Promis, die nicht vom Glimmstengel lassen können.

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Für Türken, so Ustunucar, sei das vielleicht noch ein Stück schwieriger als für andere: "In Deutschland musst du um eine Zigarette schnorren. Hier aber bietet jeder, der selbst rauchen will, erst einmal allen anderen auch eine an. Du bekommst Zigaretten hier ja aufgedrängt." Dann sei da noch der Fatalismus ihrer Landsleute: "Die Leute hier benutzen auch keine Kondome gegen Aids. Sie sagen: 'Mir passiert nichts. Und wenn's passiert, dann sollte es ohnehin passieren'."

Ein ähnlicher Mechanismus scheint nun bei den Besitzern mancher Cafés am Werke. "Wir haben klare Instruktionen", sagt ein Angestellter der Kaffeehauskette "Café Nero": "Einfach ignorieren. Wir tun so, als ob nichts wäre, wenn unsere Kunden rauchen." Ob sie damit durchkommen? Die Strafen sind happig: 560 bis 5600 Lira, also 260 bis 2600 Euro. Die Cafés und Restaurants einer großen Shoppingmall, hört man, hätten einen Solidarbund vereinbart: Man lässt rauchen - und teilt sich die Strafen. Andere setzen darauf, dass es diesem Gesetz so geht wie vielen Gesetzen in der Türkei: Klingt schön, ist in der Praxis nicht viel wert.

Ich komme seit fünf Jahren hierher, um Nargile zu rauchen und meinen Alltagsstress loszuwerden", sagt Fatih Cicek, ein Wirtschaftswissenschaftler: "Mich erinnert das alles sehr an Sultan Murat IV." Besagter Sultan ließ 1633 den Genuss von Tabak bei Todesstrafe verbieten. Raucher, die ihm unter die Augen kamen, unter ihnen auch Offiziere seiner Janitscharen, ließ er aufknüpfen. "Es sind Leute auszuschicken, die öffentlich und im Geheimen in den Zimmern spionieren", hieß es damals in seinem Erlass. Der Sultan ließ auch den Wein und den Kaffee verbieten - alles Verbote, die seinen Tod nicht lange überlebten. Wird Premier Erdogans Gesetz ein ähnliches Schicksal ereilen? Kellner Servet Ergül setzt darauf: "Schau mal, Bruder: Fremdgehen und Ehebruch sind auch Dinge, die man nicht tun soll. Und trotzdem gibt es Bordelle, oder? Wo sollen wir Kellner denn hin? Sollen wir Haschisch verkaufen oder Autoradios klauen?"

Nichtraucherpädagogin Ilknur Ustunucar glaubt hingegen an das Ende einer Ära: "Die Regierung ist ungewöhnlich konsequent. Da gibt es kein Wenn und Aber." Und wenn nun alle das Rauchen einstellen? Gehen ihr bald die Kunden verloren? Allein in Istanbul gebe es zehn Millionen Raucher, sagt die Psychologin: "Selbst deren Enkel werden noch rauchen. Uns geht das Geschäft nicht aus."

Vor allem eine Institution will noch nicht so recht glauben, dass ihr Ende gekommen sein soll: die Nargile-, die Wasserpfeifen-Cafés. "Das kann nicht sein", glaubt Servet Ergül, Kellner in einer der bekannten Nargile-Kneipen im Stadtteil Tophane: "Wir sind doch berühmt. Wir sind eine alte Kultur. Die Touristen kommen wegen uns." Allein, das Gesetz ist gnadenlos. Selbst den Ersatz des traditionellen aromatisierten Tabaks durch ein aus Zuckerrohr gewonnenes, nikotinfreies Ersatzkraut namens "Binar" wollen die Behörden nicht dulden. "

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