Trauer in Norwegen:Tränen einer Monarchie

Der König weint öffentlich und der Kronprinz ermutigt das Volk, für norwegische Werte zu kämpfen. Im Angesicht der nationalen Tragödie ist das Königshaus den Norwegern näher denn je.

Lena Jakat

Am Montagmittag steht die königliche Familie auf den Stufen vor der Osloer Universität. Ganz in Schwarz gekleidet leiten Kronprinz Haakon, König Harald V. und Königin Sonja das stille Gedenken für die Opfer der verheerenden Anschläge vom Freitag. Eine fehlt jedoch: Haakons Frau Mette-Marit.

Norway attacks - Mette-Marit und Haakon

Tränen statt falsche Zurückhaltung: Das norwegischen Kronprinzenpaar, Haakon und Mette-Marit, weint am Montag öffentlich mit seinem Volk.

(Foto: dpa)

Die Kronprinzessin steht 70 Kilometer von der norwegischen Hauptstadt entfernt an der Seite ihrer Mutter. In der Gemeinde Øvre Eiker nimmt sie am Gedenken für den Polizisten Trond Berntsen teil. Der Stiefbruder Mette-Marits hat offenbar als Wachmann auf der Insel Utøya gearbeitet und war als einer der Ersten von dem Attentäter ermordert worden.

Ein ganz normaler Norweger

Die norwegische Königsfamilie gilt als vergleichsweise zurückhaltend, König Harald als bodenständig und bescheiden, als einer, der sich von seinem Volk nicht unterscheiden mag. Und wie ein ganz normaler Norweger stand der 74-Jährige am Sonntagvormittag im Osloer Dom und weinte leise. Der beliebte Monarch wirkte unprätentiös - und ehrlich.

Ministerpräsident Jens Stoltenberg hatte den Doppelanschlag am Samstag als schlimmste Katastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg bezeichnet; eine Analogie, die bei König Harald Erinnerungen an unruhige Jahre wachrufen dürfte: Während sein Großvater König Haakon VII. und sein Vater, der spätere König Olav V., vom Londoner Exil aus die Regierung anführten, floh der junge Harald gemeinsam mit seiner Mutter und den Geschwistern 1940 vor dem Krieg in die Vereinigten Staaten. Erst 1945, unmittelbar nach Kriegsende, kehrte er in seine Heimat zurück, wo er wie jeder norwegische Junge an einer öffentlichen Schule erzogen wurde.

Als Harald 1991 im Alter von 53 Jahren den Thron bestieg, behielt er den Leitspruch seines Vaters und Großvaters bei: Alt for Norge - Alles für Norwegen. Am Sonntagvormittag galt es nun, die richtigen Worte für ein Volk zu finden, das in Schock und Trauer erstarrt war. Es gebe nun Menschen, die viel Wärme brauchten, sagte der König. Aber es dürfe auch nicht vergessen werden, dass einige Opfer und Angehörige vielleicht auch allein gelassen werden wollten, um all das Schreckliche in Kopf und Herzen abklingen zu lassen.

Für Kronprinzessin Mette-Marit allerdings ist das wohl keine Option. Sie muss ihre private Trauer der öffentlichen Aufarbeitung unterordnen. Irgendwann nach dem Gedenken am Sonntag dürfte sie erfahren haben, dass das beispiellose Attentat auch einem Mitglied ihrer Familie das Leben kostete. Der 51 Jahre alte Polizist und zweifache Vater Trond Berntsen war der Sohn des zweiten Mannes ihrer Mutter: Rolf Berntsen. Zu ihm hielt die Kronprinzessin engen Kontakt, bis zu dessen Tod 2008. Sein Sohn Trond soll zudem der Patenonkel von Mette-Marits ältestem Sohn Marius gewesen sein. "Die Gedanken der Prinzessin sind bei den nächsten Angehörigen", hieß es am Montag aus dem Palast.

Für die Kronprinzessin, früher oft kritisiert und inzwischen sehr beliebt bei den Norwegern, vermischen sich nationale Tragödie und persönlicher Schicksalsschlag. "Ich glaube, ich spreche für sehr viele Norweger, wenn ich sage, dass wir als Nation zusammenstehen sollen", sagte Mette-Marit am Montag dem schwedischen Fernsehen. "Wir müssen an die denken, die heute und in den letzten Tagen einen Angehörigen verloren haben." Gemeinsam mit ihrem Mann besuchte sie das Krankenhaus nahe der Insel Utøya, in dem die Überlebenden des Massakers behandelt werden.

Bemerkenswerte Worte

Es sind nicht nur die leisen Gesten, die Norwegens Monarchie findet, um ihr Volk zu trösten. Auch die Worte sind bemerkenswert: Am Montagabend steht Kronprinz Haakon vor einem Volk in Trauer. Doch wo anderswo Begriffe wie Rache oder Strafe fallen, sagt Haakon: "Heute sind unsere Straßen mit Liebe gefüllt." Gleich zweimal sagt er das, während seine Frau leise schluchzt.

Der sonst politisch sehr zurückhaltende Prinz spricht nicht vom Kampf gegen den Terror - sondern vom Kampf um die Freiheit. "Nach dem 22. Juli gibt es keine Ausrede mehr für den Kampf um eine freie und offene Gesellschaft", sagt er - und warnt, ganz leise, vor vorschnellen Reaktionen: Man könne die schrecklichen Morde nicht ungeschehen machen, sagt der 38-Jährige. "Aber wir können wählen, was sie mit uns machen."

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