Münchner Altstadt:Erbitterter Streit um Kultstätte für Michael Jackson

Michael-Jackson-Denkmal

Orlando di Lasso zeigt die Statue am Promenadenplatz in München. Der Rest ist Michael Jackson gewidmet.

(Foto: Sebastian Gollnow/dpa)

Mitten in München pflegen eingeschworene Fans eine improvisierte Pilgerstätte. Doch es gibt Ärger: Wer kümmert sich am besten? Und wer ist wirklich von Herzen für Jacko da?

Von Harald Hordych

Man fragt sich an diesem heißen Spätnachmittag doch irgendwann, was wohl Orlando di Lasso von alledem gehalten hätte. Zum Beispiel davon, dass sein würdiges Denkmal vor dem Hotel Bayerischer Hof in München seit sechs Jahren unablässig zu einer schreiend bunten Gedenkstätte für den Popsänger Michael Jackson umgeschmückt wird. Gut, di Lasso starb vor mehr als 400 Jahren, der Unmut dürfte sich in den Welten, zu denen wir Sterbliche keinen Zutritt haben, hoffentlich in Grenzen halten.

Jedenfalls wurde das Denkmal eines der größten Komponisten der Renaissance zweckentfremdet: Alle vier Seiten des Sockels sind mit Fotos eines der größten Pop-Stars beklebt, Michael singend, Michael lachend, Michael lockig, Michael chirurgisch stark bearbeitet. Immer: Michael allein. Blumen, Kerzen, Herzen, Schallplatten, Bekenntnisbriefe sind streng symmetrisch aufgebaut.

Warum die Pilgerstätte ausgerechnet hier entstand

Das ist das Werk von sechs Jahren, als nach dem Tod des King of Pop seine Fans begannen, hier eine Pilgerstätte für ihn zu errichten. Einfach weil die Statue Orlando di Lassos gegenüber dem Bayerischen Hof steht. Dort, wo Jackson abstieg, wann immer er nach München kam.

Die bayerische Staatsregierung, die für das Denkmal zuständig ist, hat das Spiel immer mitgemacht. Bis zwei Fan-Gruppen sich wegen der Deutungshoheit über das Mahnmal heillos zerstritten. Deswegen hatte das Kultusministerium kürzlich gedroht, den Erinnerungsort komplett zu räumen. Zumindest diese Gefahr ist vorerst gebannt, wie das Kultusministerium bestätigt. "Wir werden nichts mehr unternehmen, weil sich die Lage entspannt hat", sagt eine Sprecherin. "Bis auf Weiteres."

Bis heute ist unklar, wie es zu diesen Streitereien kommen konnte, in denen wiederholt die Polizei eingeschaltet wurde, Strafanzeigen eingingen und regelmäßig so martialische Vokabeln wie "bekriegen" fallen, beispielsweise wenn man mit der Vorsitzenden von MJ's Legacy e.V. über die Zwistigkeiten spricht. Der Name steht für Michael Jacksons Vermächtnis e.V.

Warum der Streit so schwer zu verstehen ist

Was ist eigentlich los, am Münchner Promenadeplatz, der weltweit einzigartigen Kultstätte für den erfolgreichsten Entertainer und Exzentriker des späten 20. Jahrhunderts? Auf jeden Fall sind sehr viele Emotionen im Spiel, obwohl es doch nur darum geht, das Andenken an einen toten Künstler zu wahren und auf der Webseite um Spenden für kranke Kinder zu bitten. Und damit ganz nebenbei jeden Tag aufs Neue seine Kunst und sein Genie zu feiern.

Kompliziert und natürlich komisch, aber im Fall des Michael-Jackson-Mahnmals gibt es noch eine andere Schwierigkeit: Die Lage ist sehr unübersichtlich. Kein Außenstehender hat den Durchblick, was genau die eine Seite der anderen Seite vorwirft. Und während eine Fraktion offiziell bekannt ist, weiß man von der ominösen anderen praktisch nichts, nur dass sie verglichen mit der anderen sehr klein ist.

Man muss an Monty Python denken

Michael Jackson Memorial in München, 2015

So sieht das Michael-Jackson-Denkmal aus der Nähe aus.

(Foto: Robert Haas)

Es fällt schwer, nicht an den Monty-Python-Film "Das Leben des Brian" zu denken, in dem die Widerstandsgruppen "Volksfront von Judäa" und "Kampagne für ein freies Galiäa" sich gegenseitig das Leben zur Hölle machen, obwohl sie sich beide mit großartigem, aber ins Leere laufendem Enthusiasmus für dasselbe Ziel einsetzen.

"Drei Frauen, ein Mann, das ist die andere Gruppe", sagt Nena Snezana Akhta, die Vorsitzende von MJ's Legacy e.V. "Mehr sage ich nicht, denn wenn ich hier Namen nennen würde, könnte mir das als öffentliche Verleumdung ausgelegt werden." Gerade jetzt wolle sie die zaghaften Fortschritte und eine geplante Mediationssitzung nicht gefährden. Wenn sie redet, klingt das ein wenig nach "Abbau der Spannungen" und "Alleinvertretungsrecht". Jawohl, das alles klingt vor allem leicht durchgeknallt.

"Wir werden beschimpft und beleidigt"

Sogar das Ministerium hat eine "friedliche Koexistenz" gefordert. Aber bis vor Kurzem galt: "Eine Vermittlung zwischen den Fangruppierungen nach Auskunft der zuständigen Polizeiinspektion war nicht möglich, da beide Gruppierungen das alleinige 'Besitzrecht' an dem Memorial beanspruchten." Die Legacy-Leute sagen, dass sie sich eineinhalb Jahre von einer anonymen Splittergruppe massiv angefeindet fühlen.

"Wir werden beschimpft und beleidigt, man fordert uns auf, wir sollen uns von dem Denkmal fernhalten, Bilder werden abgerissen, leere Prosecco-Dosen einfach in die Buchsbäume hineingestellt, Blumen kaputt gemacht", sagt Nena Snezana Akhtar an der Poster-Gedenkstätte. Sie trägt ein Sommerkleid und Schuhe mit funkelnden Paletten, am Handgelenk eine Uhr mit goldenem Armband.

So genau kann sie nicht erklären, was die andere Gruppe ihrem Verein konkret vorhält: "Am liebsten wäre denen, wenn alles so bliebe, wie es ist, aber wir verschwinden würden - wir sollen uns einfach verpissen, sagen die." Nena Snezana Akhta führt mit ihrem Mann zwei Bäckereien in München, sie ist eine zupackende Frau, aber manchmal wirkt sie ratlos, wenn sie versucht zu erklären, was sich hier abspielt.

Frische Schnittblumen, jeden Freitag

Wer in dem Wirrwarr der Gefühle etwas klarer sehen will, muss sich das Mahnmal und die Menschen anschauen, die sehr viel Zeit mit der Pflege und Instandhaltung dieser Bilder- und Blumencollage verbringen. Das Denkmal für Orlando di Lasso wurde 1849 errichtet (an anderer Stelle übrigens, das Denkmal wurde elf Jahre später hier aufgestellt). Das Michael Jackson Memorial wird von Bürgern freiwillig und auf eigene Kosten seit sechs Jahren liebevoll in Schuss gehalten.

Man sollte mit jemandem wie Mila Bulj sprechen, um zu verstehen, dass all die kleinen und großen Verrücktheiten im Namen der guten Sache von Menschen gemacht werden, die sich voll und ganz für etwas einsetzen.

Mila Bujl ist Frührentnerin, nach einem schweren Unfall konnte sie nicht mehr arbeiten. Die blonde Frau, die mit 19 vor mehr als 40 Jahren aus Serbien nach München kam, ist wie jeden Freitag gegen vier Uhr zum Mahnmal gekommen. Sie hat frische Schnittblumen mitgebracht, zwei Bünde rosafarbene und gelbe Lilien. Sie kommt nicht jeden Tag her.

Sie schauen jeden Tag in drei Schichten nach dem Rechten

Gedenkstätte für Michael Jackson in München, 2013

So sah das Michael-Jackson-Denkmal im Jahr 2013 aus.

(Foto: Catherina Hess)

Aber sie wechselt sich mit anderen Vereinsmitgliedern ab, die in drei Schichten jeden Tag nach dem Rechten sehen. "Es ist immer jemand da", sagt Mila Bulj. "Nur nicht nachts." Sie sagt das mit einem entschuldigenden Lächeln, als sei das ein schweres Manko. Denn ein wichtiger Vorwurf ist, dass die andere Gruppe nachts weggeräumt habe, was ihnen nicht gefallen hat. Das Lächeln gewinnt an Festigkeit, als sie sagt, dass sie manchmal genug Zeit hat, um fünf Stunden hier zu sitzen. Am Freitag, wenn sich der Verein trifft, bleibt sie oft bis 22 Uhr.

Ihre Verehrung für Michael Jackson hängt sicher mit seinem Talent zusammen, noch mehr aber mit seinem schwierigen Leben. Nach der Todesnachricht erfasste sie eine große Traurigkeit, die sie nicht mehr losließ. Der frühe Tod, vor allem aber die Tatsache, dass "er am Ende so verfolgt wurde, mit all den hässlichen Vorwürfen haben mir so unendlich leid getan für ihn".

Michael Jackson, ein Opfer seines Ruhms, allein und unverstanden - Mila Bulj fühlt sich voller Inbrunst in die Seele des King of Pop ein. Als sie ihr Lieblingsfoto am Sockel zeigt, "das seinen ganzen Schmerz ausdrückt", kämpft sie augenblicklich mit den Tränen und muss aufhören zu sprechen. Dass sie einen Tag nach seinem Tod am 25. Juni 2009 zum Denkmal kam, wo Unbekannte ein paar Kerzen aufgestellt hatten, hing wohl auch mit ihrem eigenen Schicksal zusammen, der schwere Unfall und das Scheitern ihrer Ehe machten ihr zu schaffen. Trost findet sie bis heute an diesem Mahnmal.

Besuchergruppen schwanken zwischen Amüsement und Ehrfurcht

Es steckt viel Emotion in der Verehrung, in der ungebrochenen Hingabe an einen Mann, den keiner aus dem Verein je persönlich kennengelernt hat. Der resoluten Nena Snezana Akhtar hat es besonders "die grenzenlose Kinderliebe", die sie in Jacksons Augen entdeckte, angetan und bewogen, den Verein zu gründen und an dieser Stelle das Andenken an den King of Pop zu bewahren. Als im Januar ein verheerender Sturm wütete, sind sie nachts bei Windstärke 10 hergefahren, um die Bilder, die Briefe, die Blumen und Briefe in Sicherheit zu bringen.

Ach, es könnte alles so schön sein bei diesen selbstlosen Einsätzen - wäre da nicht diese gegnerische Gruppe. Prosecco trinkend säßen sie auf der Wiese, um dann irgendwann Streit zu suchen. Ihre Erklärung dafür ist, dass diese Leute eifersüchtig seien auf die Beachtung, die das vom Verein gestaltete Memorial finde - und damit natürlich auch der Verein. "Wie viele Leute zu uns kommen, uns ansprechen, sich bei uns bedanken." Wer kümmert sich am besten? Wer ist für Michael da? Fällt so ein bisschen Jackson-Ruhm auf die Jünger?

Auch an diesem Nachmittag scharen sich regelmäßig Besuchergruppen um das Denkmal, in einer schönen Mischung aus Amüsement, Staunen und Ehrfurcht. Und immer wieder entwickeln sich Dialoge wie dieser, wenn Mila Bujl mal wieder am Denkmal weilt, weil sie gerade ein Bild zurechtrückt oder frische Blumen hinstellt.

"Das ist doch das Denkmal eines anderen Mannes!"

"Warum ausgerechnet hier?", begehrt eine von zwei Damen aus Schwäbisch Hall zu wissen. "Das ist doch das Denkmal eines anderen Mannes!" Hilfsbereit klärt Mila Bujl sie über die Hintergründe auf.

"Er war ja ein Supermusiker." Die Dame aus Schwäbisch Hall blickt streng zu Mila Bujl. "Allerdings auch sehr umstritten."

"Das sind Lügen. Das geschieht immer, wenn Neid und Missgunst zusammenkommen", entgegnet Mila Bujl, der im Vorstand des Vereins das Fachgebiet Denkmalpflege obliegt. "Er war ein armer Mensch! Gejagt von der Presse und den Fans."

Die Frauen sehen die beseelte Mila Bujl schweigend an. Dann ziehen die beiden weiter. Mila Bujl schaut versonnen auf das Denkmal. "Manche Leute sagen zu mir, wenn ich hier stehe: Du blöde Kuh, warum putzt du das Grab dieses Kinderfickers?"

Sie hebt seufzend die Schultern, als wäre damit alles über die Schlechtigkeit der Welt gesagt.

Das sind so die Dramen, die sich zu Füßen von Orlando di Lasso abspielen. Immerhin, diese zweckentfremdete Berühmtheit war auch Musiker. Tonsetzer war er, wie die Inschrift auf dem Denkmal verrät. Und ein Kind, das es nicht leicht hatte. Weil er eine wunderschöne Stimme hatte, wurde der Chorknabe seinen Eltern von einem mächtigen Fürsten weggenommen. Da also ein Kinderstar, der Willkür seines Förderers ausgeliefert - dort der Wunderknabe aus der Jackson-Familie, die diktatorisch vom Vater zum Erfolg getrieben wurde. Und noch etwas haben di Lasso und Michael Jackson gemeinsam: Auch di Lasso war ein Multitalent, er war Komponist und Kapellmeister, als der er an den Hof Albrechts V. von Bayern nach München geholt worden war, er war Schauspieler und Regisseur. Di Lasso, der Mann für die große Bühne.

Da kann ja ab und zu ein bisschen Theater am Denkmalsockel nicht schaden.

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