Tod des Partners:Dem Leben die andere Wange hinhalten

Tod des Partners: Petra Mikutta beim Spaziergang an der Elbe: Mit dem Tod endet alles, das Gefühl, Ereignisse und das Schicksal in der Hand zu haben, die Gewissheit, Dinge erreichen zu können, wenn man sich nur Mühe gibt, und auch die Logik.

Petra Mikutta beim Spaziergang an der Elbe: Mit dem Tod endet alles, das Gefühl, Ereignisse und das Schicksal in der Hand zu haben, die Gewissheit, Dinge erreichen zu können, wenn man sich nur Mühe gibt, und auch die Logik.

(Foto: Antonia Gern)

Die Hamburger Journalistin Petra Mikutta hat plötzlich ihren Mann verloren. Über ihr erstes Trauerjahr, über Liebe, Lachen und Loslassen hat sie ein "Überlebensbuch" geschrieben.

Protokoll: Lars Langenau

"Mein Mann starb Ostern vor zwei Jahren. Als er mit dem Rad auf dem Weg zu mir war, explodierte in seinem Körper eine Zeitbombe. Er ist nicht obduziert worden, ich weiß nicht, ob die Todesursache Herzversagen oder ein arterieller Verschluss oder etwas anderes war. Es spielte keine Rolle für mich, nichts war mehr wichtig.

Mehr als fünf Jahre hatte unser gemeinsames Leben gedauert. Als wir uns kennen lernten, beide deutlich über 40 Jahre alt, mit erwachsenen Kindern, waren wir für einander die wichtigsten Menschen, wir brauchten dazu keinen Trauschein. Ohne meinen Mann endete die Welt. Ich war verloren im Zwischenreich der Trauer.

Zeichen und Wunder

Wie fühlt es sich an, an diesem Ort? Er ist fremd, kalt und feindlich, ich bewege mich darin in Zeitlupe, in einem Film, der zu schnell abgespielt wird. Viele Szenen und Handlungsstränge scheinen surreal. Am dritten Morgen nach dem Tod meines Mannes erscheint zum Beispiel ein Hundekopf am Fenster beim Schreibtisch. Im Gegenlicht ist die etwa handgroße Schliere als Silhouette deutlich zu erkennen. Der Kopf ist das Zeichen, nach dem ich in der Nacht gefleht habe. Gib mir ein Zeichen, dass du gut angekommen bist, dass du in Ordnung bist, bitte.

Glaube ich daran, an Zeichen, an ein Reich der Toten, an den Himmel, die Hölle, das Fegefeuer? Nein. Glaube ich, dass mein Mann tot ist? Nein. Ich weiß es, aber ich glaube es nicht. Mit dem Tod endet alles, das Gefühl, Ereignisse und das Schicksal in der Hand zu haben, die Gewissheit, Dinge erreichen zu können, wenn man sich nur Mühe gibt, und auch die Logik.

Während der ersten Wochen stehen mir die Toten näher als die Lebenden. Ich verkrieche mich in meinem Kopf, in Erinnerungen und Tagträumen. Darin kehrt mein Mann zurück, ich schaue aus dem Fenster, und erkenne sein Auto. Ich gehe ins Wohnzimmer und rechne damit, dass er auf dem Sofa Zeitung liest, aufblickt und mich anlächelt. Da bist du ja endlich wieder, tu mir das nie mehr an, einfach so zu verschwinden, wo warst du denn? Und er hätte eine Erklärung, sein Tod würde sich als großer Irrtum erweisen. Ich halte an meiner Hoffnung fest, wider alle Vernunft.

Damals habe ich ein Buch gesucht, das von diesem Verlorensein erzählt und davon, wie man zurück ins Leben finden kann. Zwar deuten einige Autoren an, dass auch sie ein 'Jahr des magischen Denkens' erlebt haben, so der Titel, den die Amerikanerin Joan Didion für ihre Trauergeschichte gewählt hat, doch alle halten die Leser auf Sicherheitsabstand. Die Schilderungen sind warm, beherrscht und klug. Meine Gefühle sind wilder, kälter und heißer. Meine Trauer hat mein Herz zerrissen und dann, allmählich, neu zusammengesetzt. Von dieser Intensität der Emotionen und Metamorphose erzählt mein Buch.

Heute, nach rund zweieinhalb Jahren, bin ich eine andere als die, die ich vor dem Tod meines Mannes war, trauriger, doch auch weicher, heiterer, demütiger und dankbarer. Mein Herz ist durch die vielen gekitteten Risse größer geworden. Alle Tage, auch die schlechten, erlebe ich als kostbare Wunder.

Du machst das schon, sagt er zum Abschied

Meine Trauer fordert Anstrengungen und Wagnisse. Die erste Mutprobe bestehe ich nach wenigen Tagen, als ich mich zum ersten Mal aus der Wohnung traue. Kaum 20 Meter weit schaffe ich es, bis zur Kreuzung. Ich bin eine Frau mit Sonnenbrille, die an einem trüben Nachmittag an der grünen Ampel stehen bleibt, sich am Mülleimer, der an ihrer Säule befestigt ist, festhält und schluchzt. Niemand bemerkt mich. Ich bemerke niemanden. Der mich findet, ist etwa Anfang 20, schmächtig, einen halben Kopf kleiner als ich. Er hat einen geschorenen Schädel, keine Brauen und schwarze Augen, die böse starren, wie er es, vermute ich, aus Rap-Videos kennt. Er trägt eine billige Lederjacke. Sie ist viel zu dünn für die Kälte, gibt ihm jedoch etwas Schneidiges.

Was hast du, fragt er mit dem türkischen Akzent, den Komiker lustig finden. Er zuckt nicht, als ich es sage, und da ist kein Schrecken, den ich in dem fremden Gesicht lese. Es ist etwas anderes, mit dem ich nicht gerechnet habe, es sind Wärme und Mitgefühl. Er nimmt mich in die Arme. Ach du Scheiße, sagt er. Die Wörter erreichen mich, als wären wir unter Wasser. Er hält mich fest, es kostet ihn Kraft. Seine Umarmung ist eine Folge von Wellen. Sie zerren zwingend und zielstrebig an mir, als wisse er genau, was er tut. Er schwimmt mit mir an die Oberfläche. Schnaufend, triefend und frierend erreiche ich sie. Du machst das schon, sagt er zum Abschied. Der Satz trägt mich nach Hause. Wenn ich wanke, fängt mich jemand auf. Das ist mehr, als ich erwartet habe.

Mut und Mitgefühl

Nach einer knappen Woche gehe ich wieder zur Arbeit. Als Freiberuflerin ohne Urlaubs- und Krankengeldansprüche bleibt mir keine Wahl. Die Radfahrt ins Büro gelingt in meiner Abwesenheit. Ich bin währenddessen auf einer anderen Strecke unterwegs, wo ein blinkender Krankenwagen den Radweg blockiert. Ich steige ab, die Tür ist geschlossen, ich klopfe, vorsichtig, sie öffnet sich, ich schiebe mich zwischen den Arzt und die beiden Sanitäter, die an der Bahre stehen, ein Monitor zeigt eine grüne Linie und summt das monotone Lied vom Tod. Liebe kann Tote erwecken. Dornröschen ist durch einen Kuss erwacht. Ich war jedoch nicht da, um meinen Mann zu küssen.

Der Pförtner grüßt wie immer. Die Morgenkonferenz schaffe ich nicht. Ich bin nicht verhandlungsfähig. In einem Raum zu sitzen, mit so vielen Augen voller Ratlosigkeit und Fragen und Vorwürfen. Der Konferenzsaal ist ein Gerichtssaal, und ich sitze auf der Anklagebank. Wie ist es passiert, so plötzlich? Und du hast nichts bemerkt? Hätte ich nicht Anzeichen sehen und es verhindern müssen? Kein Richter wird mich verurteilen, aber Indizien und der gesunde Menschenverstand sprechen gegen mich, und jeder fällt ein Urteil. Ein Freispruch macht nicht frei von Schuld und Scham.

Sie werden lachen. Mein Mann ist tot

Mein Büro betrete ich, als wäre der Boden Treibsand. Auf meinem Schreibtisch steht eine Vase mit einer weißen Calla. So vertrage ich Wärme und Mitgefühl, in kleinen Dosen, auf Distanz. Für die richtige Menge und den idealen Abstand gibt es jedoch keine Formel. Der förmliche Händedruck des Bankberaters schnürt mir den Hals zu. Eine Freundin, die anruft, um mir zu sagen, dass sie mich lieb hat, lässt mich dagegen aufatmen. Man kann geben, was man will, und muss damit rechnen, alles schlimmer zu machen.

Eine Kondolenz ist eine undankbare Angelegenheit. Lachen ist ansteckend. Schmerz auch. Wer Mitleid haben will, muss leiden. Er wird fühlen, was ich fühle. Einige gehen mir aus dem Weg. Es ist eine vernünftige Reaktion, die ich verstehe und die mich dennoch verletzt. Eine Kollegin sagt: Ich weiß nicht, wie ich reagieren soll. Es tut mir so leid, aber ich will nichts Falsches sagen oder machen. Du kannst nichts Falsches sagen oder machen, sage ich, weil alles falsch ist am Tod meines Mannes. Sie umarmt mich, und ich halte sie. Ich tröste sie, ein weinendes Bündel, und weit entfernt erahne ich einen möglichen Rückweg.

Lachen und Überleben

Sie werden lachen. Mein Mann ist tot, heißt mein Buch. Die Betonungen liegen auf 'Sie' und 'Mein'. Die Sätze sind Anklagen: 'Wie können Sie nur!' Fröhlichkeit, Spaß, Liebe sind nach dem Tod meines Mannes unvorstellbar geworden. Doch es dauerte nicht lange, wenige Tage, bis ich das erste Mal wieder lache. Monatelang erscheinen mir Fröhlichkeit unangebracht und Glück undenkbar. Doch jeder wird sich, wie ich, der Frage stellen müssen, wie man weiterleben will? Ich habe entschieden, mich nicht mit einem harten, nachtschwarzen Panzer gegen den Schmerz zu wappnen, sondern weich und offen zu bleiben. Ich habe dem Leben, ganz biblisch, die andere Wange hingehalten: Hier, ich füge mich.

Ein Therapeut hat mir geholfen, die Kraft aufzubringen, mich einzulassen, auf Spaziergänge, zu denen ich keine Lust hatte, auf Kinobesuche, auf Einladungen zum Essen, auf die Liebe zum Leben. Meine Familie, Freunde und Kollegen haben Tränen getrocknet, Schweigen und schroffe Zurückweisungen auf gut gemeinte Gesten ertragen. Ich liebe das Leben bewusster als zuvor, und ich liebe meinen toten Mann. Er steht meinem Glück nicht im Wege, er vergrößert es. Das ist sein Abschiedsgeschenk. Es hat mehr als ein Jahr gedauert, bis ich es erkennen und annehmen konnte."

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Petra Mikutta, 55, wohnt in Hamburg. Sie hat gerade ihr ungemein offenes, berührendes und sehr persönliches Buch veröffentlicht: "Sie werden lachen. Mein Mann ist tot. Ein Überlebensbuch", Knaus, 304 Seiten, 19,99 Euro

Überleben

Wir veröffentlichen an dieser Stelle in loser Folge Gesprächsprotokolle unter dem Label "ÜberLeben". Sie handeln von Brüchen, Schicksalen, tiefen Erlebnissen. Menschen erzählen von einschneidenden Erlebnissen. Wieso brechen die einen zusammen, während andere mit schweren Problemen klarkommen? Wie geht Überlebenskunst? Alle Geschichten finden Sie hier. Wenn Sie selbst Ihre erzählen wollen, dann schreiben Sie eine E-Mail an: ueberleben@sz.de

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