Tiere:Die Tricks der Wildpferde

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Ohne Sattel, Stall und Futtertrog - eine der letzten Herden von frei lebenden Pferden in Europa kann man mitten in Deutschland bestaunen.

Von Katrin Langhans

Joseline klettert auf den Zaun und blickt auf die Pferde auf der Wiese. Das Fell der Tiere ist sandfarben. Sie sind sehr kräftig gebaut und sehen aus wie große Ponys. "Ein Fohlen", ruft Joseline. Bisher hat sie wild lebende Pferde nur im Fernsehen gesehen. Aber heute besucht die Achtjährige die größte Wildpferdeherde Deutschlands in der Nähe der nordrhein-westfälischen Stadt Dülmen.

In einem umzäunten Gebiet leben dort 400 Pferde auf sich allein gestellt in der Natur. Niemand reitet oder striegelt sie. Försterin Friederike Rövekamp kümmert sich darum, dass sie immer genug gesunde Bäume und Gräser zu fressen haben. Heu gibt es nur, wenn der Winter besonders kalt ist.

Joseline und ihre Eltern dürfen heute mit der Försterin hinter den Zaun, ganz nah ran an die Pferde. "Wir müssen leise sein", sagt Rövekamp und öffnet das Gatter. Die Tiere sind Besucher gewohnt. Eine Stute wirft sich auf den Rücken und suhlt sich im Sand. "So duscht das Pferd", erklärt Försterin Rövekamp. Der trockene Sand reibt mit seinen Körnern den Dreck aus dem Fell wie ein Peeling. Pferde haben viele solcher Tricks in der Natur. Wenn sie zum Beispiel Magenprobleme haben, fressen sie einfach Eichen- oder Erlenrinde. Die Bitterstoffe stärken die Verdauung und sorgen dafür, dass es den sogenannten Wildlingen wieder besser geht.

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(Foto: Katrin Langhans)

Sie sind sogar ihr eigener Tierarzt: Bei Magenproblemen knabbern Wildpferde gern an Eichenrinde. Das stärkt die Verdauung. Es gibt heute nur noch ganz wenige Pferde in Europa, die in freier Wildbahn leben können. Auf Sardinien zum Beispiel, und auch in Rumänien und in Ungarn.

Joseline, 8, hat zusammen mit ihren Eltern die Dülmener Wildpferde besucht.

"Diese Pferdeherde", erklärt Rövekamp, "existiert seit 700 Jahren." Früher gab es viele Wildpferde in Europa. Aber dadurch, dass sich der Mensch immer weiter ausgebreitet hat, wurde ihr Lebensraum immer knapper. Die Dülmener Wildpferde hatten Glück, die Familie Herzog von Croÿ hat ihnen Mitte des 19. Jahrhunderts die Wälder und Wiesen als Reservat überlassen. Es gibt heute nur noch wenige Pferde, die in Europa in freier Wildbahn leben, zum Beispiel auch in Rumänien und in Ungarn.

"Was machen Pferde, wenn es regnet?", fragt Rövekamp. Ein Kind aus der Besuchergruppe antwortet: "Es stellt sich unter einen Baum." Rövekamp nickt. Sie erzählt, dass die ranghöchsten Pferde den Wetterumschwung als erste wittern und sich in Bewegung setzen. Die jüngeren Pferde folgen ihnen dann nach und nach.

Die Wildpferdeherde ist ähnlich organisiert wie eine Schule. Alle teilen sich die Wiesen und Wälder wie einen großen Schulhof, aber es gibt verschiedene Klassen. In jeder Gruppe sind etwa zehn Tiere. Und die halten zusammen. "Bis auf die Fohlen sind alle Tiere weiblich", erklärt Rövekamp. Der Hengst kommt nur im Frühling für einen Monat zu Besuch, damit es Nachwuchs gibt. Die einjährigen Junghengste werden jedes Jahr eingefangen, aus der Herde genommen und verkauft. "Das ist umstritten, aber notwendig", sagt Försterin Friederike Rövekamp. Die Jungtiere würden sonst mit dem Leithengst darum buhlen, selber Chef zu sein. Um eine eigene neue Herde zu gründen, reicht der Platz nicht aus. Denn die Wildnis ist auch in Dülmen sehr begrenzt.

Sie sind sogar ihr eigener Tierarzt: Bei Magenproblemen knabbern Wildpferde gern an Eichenrinde. Das stärkt die Verdauung. (Foto: Katrin Langhans)
© SZ vom 16.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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