Tiere:Die Mär vom Wolf

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Bei Rotkäppchen ist er ein böser Gegner, der Kinder und Omas frisst. Hat der Wolf es wirklich auf Menschen abgesehen - oder ist das nur erdichtet?

Von Thomas Hahn

Schon in der Steinzeit lebten Wölfe in den deutschen Wäldern. Sie streiften dort unbehelligt herum, bis die Menschen sich von ihnen bedroht fühlten. Die Menschen jagten die Wölfe so lange, bis es in vielen Landstrichen keine mehr gab. Im 20. Jahrhundert war der Wolf in Deutschland ausgestorben. Aber seit etwa 15 Jahren kehren die Wölfe in ihre alte Heimat zurück. Es werden immer mehr, und das ist eine gute Nachricht. Denn das bedeutet, dass die Menschen nicht mehr die ganze Natur für sich alleine beanspruchen. Trotzdem macht es vielen Menschen Angst, dass sich die Wölfe wieder breitmachen. Warum eigentlich?

Vielleicht liegt das daran, dass manche Menschen zu viele Märchen lesen. In den alten Märchen tritt der Wolf nämlich immer als Bösewicht und gefräßiges Monster auf. Die Geschichte vom Rotkäppchen zum Beispiel ist eines der berühmtesten Märchen der Welt. Darin denkt sich ein Wolf eine List aus, um das Rotkäppchen aufzuhalten, das auf dem Weg zu seiner kranken Großmutter ist. Der Wolf frisst die Großmutter, setzt deren Haube auf, legt sich ins Bett der Großmutter. Als das Rotkäppchen ans Bett herantritt, denkt es erst, der Wolf sei die Großmutter. Und dann frisst der Wolf auch das Rotkäppchen mit Haut und Haaren. Ist da etwas Wahres dran? Fressen Wölfe Menschen?

"Nein", sagt Jana Endel vom Kontaktbüro der Wolfsregion Lausitz: "Der Mensch gehört nicht zu ihrer Beute." Ein Wolf würde sich normalerweise weder für das Rotkäppchen noch für dessen Großmutter interessieren. Er würde sogar darauf achten, dass er ihnen aus dem Weg geht. Wölfe sind vorsichtige Tiere. Wenn sie sich doch an Menschen heranwagen, liegt der Fehler meistens beim Menschen. Wer zum Beispiel einen Wolf füttert, braucht sich nicht zu wundern, wenn der Wolf immer wieder kommt.

Unterschätzen darf man den Wolf allerdings auch nicht. Er ist ein Raubtier. Wenn er Hunger hat, geht er auf die Jagd. In einer Hinsicht stimmt das Märchen vom Rotkäppchen sogar: Der Wolf ist listig. Er treibt seine Beutetiere in die Enge. Wenn er die Wahl hat, greift er immer das schwächere Tier an. Und wenn es ihm nützt, dringt er auch ins Revier der Menschen ein. Der Wolf frisst nämlich nicht nur Rehe, Hirsche oder Wildschweine, die wie er im Wald leben. In den vergangenen Jahren haben Schäfer immer häufiger erfahren müssen, dass Wölfe ihre Herden anfielen, wenn die nicht gut genug geschützt waren. Das ist schlimm für die Schäfer. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass sie von ihren Landesregierungen Geld zur Entschädigung bekommen, wenn ein Wolf eines oder mehrere Schafe umgebracht hat.

Die Menschen müssen erst wieder lernen, mit den Wölfen in der Nachbarschaft zu leben. Der Wolf wiederum hat darunter zu leiden, dass die Menschen sich seit der Steinzeit doch sehr breitgemacht haben in der Natur. Die häufigste Ursache dafür, dass Wölfe frühzeitig sterben, sind Autounfälle.

© SZ vom 19.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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