Theater:Spaß beiseite

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Er füllt die Theater, das Theater erfüllt ihn: Rainald Grebe mit typischem Kopfschmuck. (Foto: Paul Zinken/dpa)

Der Berliner Liedermacher Rainald Grebe zählt zu den lustigsten Künstlern des Landes. Manchmal muss er aber die traurige Wahrheit erzählen. Auch wenn es schwer fällt.

Von Verena Mayer

Rainald Grebe will sich in Berlin-Mitte treffen. Das ist erwähnenswert, weil Grebe seine Berühmtheit einem Lied verdankt, in dem er sehr gemein über genau diesen Bezirk herzieht. "Dreißigjährige Pärchen" heißt es, ein Hassgesang auf eine Szene-Gegend und alle, die darin von Agentur-Jobs oder dem Geld ihrer Eltern leben. In Berlin-Mitte also, an einer dieser Ecken, an denen man nie weiß, ob die Leute noch zum Yoga gehen oder schon zur Fashion Week, liegt das Café, das Grebe vorschlägt. So, als wolle er an einem Ort sein, an dem er sich abarbeiten kann.

Vielleicht liegt es aber einfach daran, dass es nicht mehr so viele Orte in Deutschland gibt, die Rainald Grebe noch nicht verspottet hat. Er hat ein Lied über Prenzlauer Berg geschrieben, über die Hipster, die Jungfamilien und deren Parole "Ho, ho, Holzspielzeug". Er hat über Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt gesungen und natürlich über Brandenburg. Eine Anti-Hymne auf ein Bundesland, aus dem alle so schnell wie möglich wegwollen. Und die in dem Satz gipfelt: "Ich fühl' mich so leer, ich fühl' mich Brandenburg."

Grebes Lieder sind Hits zum Mitgrölen, "Brandenburg" ist ein solcher Selbstläufer

Rainald Grebe wurde als Systemkritiker unter den deutschen Comedians bekannt. Der Mann, der stets mit Indianer-Kopfschmuck vor einem Konzertflügel sitzt und fortissimo auf das falsche Leben derer draufhaut, die glauben, das Richtige zu tun. Grebe hat über die Millennials gelästert, die alles anders machen wollen als ihre Eltern und sich doch nur bei Pärchenabenden und Gesprächen über Asien langweilen. Er hat sich über die feuchten Träume der Alt-68er lustig gemacht ("Dörte hat jetzt zugegeben, sie onaniert auf Andreas Baader") und den Umgang mit der Vergangenheit durch Leute wie Guido Knopp ("Er wohnt im deutschen Fernsehen, er wurde dort geboren / mit Adolf Hitler und anderen Senioren"). Das alles mit einer Band, die sich Orchester der Versöhnung nennt, ironischer geht es kaum.

Seither ist einiges passiert. Grebes Lieder sind Hits zum Mitgrölen geworden, "Brandenburg" ist inzwischen ein solcher Selbstläufer, dass Grebe es auf seinen Konzerten gar nicht mehr spielen mag, "höchstens vielleicht mal auf Sorbisch", wie er sagt. Witze über Großstädter, Grün-Wähler oder Germanistikstudentinnen hat inzwischen jeder Hobby-Komiker drauf, während die professionellen Spaßmacher sich zunehmend als investigative Journalisten verstehen. Die sich für die "Heute Show" unter AfD-Sympathisanten mischen oder von Jan Böhmermann in eine RTL-Doku-Soap eingeschleust werden, um das Privatfernsehen in seiner Sensationsgeilheit bloßzustellen. Und selbst einer wie Mario Barth beschränkt sich nicht mehr auf Witze über Männer, Frauen und den Berliner Flughafen, sondern berichtet live vom Trump Tower in New York, was wiederum viele Leute für eine seriöse Nachrichtenquelle halten. Kann man da als klassischer Kabarettist und Liedermacher überhaupt noch mithalten? Wie findet man seine Themen, seine Pointen?

Der neue kalte Krieg ist nichts für ihn: "Da beschäftige ich mich lieber mit Dadaismus."

Fragen, die sich Rainald Grebe selbst seit Langem stellt. Erstes Gespräch, Ende August 2016, Grebe frühstückt in seinem Stammcafé in Berlin-Mitte. Er spricht nicht so stakkatoartig und mit aufgerissenen Augen wie auf der Bühne. Sondern langsam und bedächtig, als wende er jeden Gedanken mehrmals hin und her, bevor er ihn formuliert. Grebe arbeitet gerade wieder an einem Soloprogramm, "ich und mein Klavier", das erste seit vier Jahren. Das Schreiben sei nicht leicht, sagt er und guckt auf die Zeitungen, die im Café auslegen. Sie sind voll von Krisen und Terror, eine Welt in Aufruhr. Als Künstler müsse man "extrem sein, scharf und aberwitzig", aber derzeit sei ja die Realität selbst extrem, "früher hätte man nicht glauben können, welche Positionen vertreten werden."

Draußen wackeln junge Touristinnen mit ihren Yoga-Matten vorbei, und Grebe wirkt, als würde er am liebsten aufspringen und seinen alten Feindbildern hinterherlaufen. Das Problem sei, dass es inzwischen immer nur mehr darum gehe, wo man steht. Ob man für oder gegen Flüchtlinge ist, für Merkel oder für Pegida, Putin oder die Vereinigten Staaten, "eine Logik wie im Kalten Krieg". Und das sei ihm "zu grobporig", sagt Grebe. "Da bin ich bockig und beschäftige mich dann lieber mit Dadaismus."

Er trinkt einen Schluck Kaffee und erzählt, was er die vergangenen Jahre gemacht hat. Theater nämlich. Grebe, 45, kommt selbst vom Theater. Anfang der Neunzigerjahre ging er aus Köln nach Berlin, um sich an der Schauspielschule zu bewerben. Im Nachwende-Berlin tat er dann das, was alle taten. "Lange aufbleiben, spät aufwachen." Dazwischen zog er durch den Osten, den er neu und aufregend fand, "so grau und kaputt, und überall konnte man etwas abschrauben oder sich ein Honecker-Bild von der Straße mitnehmen." Grebe studierte schließlich Puppenspiel und lernte, "wie man Dinge belebt oder animiert, da ist alles möglich". Er hebt seine Kaffeetasse in die Höhe und lässt sie über den Tisch tanzen. Zuletzt hat er an der Berliner Schaubühne eine Art Revue über West-Berlin herausgebracht, über die Zeit vor dem Mauerfall, als die Rumpfstadt ein Laboratorium für Lebensentwürfe aller Art war.

Er wäre gerne damals dabei gewesen, sagt Grebe. Als alle beschäftigt waren, aber keiner arbeiten musste, "wenn man sechsmal im Monat gekellnert hat, reichte das Geld." Ist es das, was einem Kabarettisten heute bleibt? Sich mit der Vergangenheit beschäftigen, um der Gegenwart zu entkommen? Nö, sagt Grebe. "Das war eher Archäologie." Er habe einfach über eine Stadt erzählen wollen, die man mit der boomenden Metropole von heute nicht mehr in Verbindung bringt.

Aber zurück in die Realität des Spätsommers 2016, mit all ihrem Hass und Extremismus und einem amerikanischen Präsidentschaftskandidaten, der alle paar Stunden einen polarisierenden Tweet gegen Politiker, Journalisten oder Ausländer raushaut. Als Künstler frage er sich, ob es besser sei, nicht mehr zu kritisieren, sagt Grebe. Nicht mehr zuspitzen, einfach die Mitte verteidigen, das, was sich bewährt hat. Er hält inne, und man weiß nicht, ob das jetzt eine Frage ist oder die Antwort darauf.

Oktober 2016, Premiere seines neuen Soloprogramms. Es heißt "Das Elfenbeinkonzert", und Grebe steht wie immer mit seinem Kopfschmuck vor dem Klavier. Er singt ein paar dadaistisch-komische Lieder, über Stadtmarketing oder darüber, wie es ist "als mittelalter Mann auf einem Mittelaltermarkt". Dazwischen sinniert er über seine ehrgeizigen Konkurrenten, "dieser Böhmermann, wie der brennt". Sonst ist der Abend jedoch eine Art kabarettistischer Deutsch-Leistungskurs geworden. Rainald Grebe spricht über deutsche Volkslieder, über Herder, Goethe und die Brüder Grimm, erklärt, was ein Endreim ist. Er erzählt in seinem Stakkato-Tonfall über die "Mütter und Väter des Grundgesetzes", wobei "die Mütter des Grundgesetzes den Vätern des Grundgesetzes den Rücken freigehalten haben". Es geht um seine Reise in die Elfenbeinküste, die nur durch eine ehrwürdige deutsche Kultureinrichtung zustande kam, das Goethe-Institut. In Abidjan hat er zusammen mit Einheimischen deutsche Lieder einstudiert, auf einer Skype-Aufnahme sieht man, wie afrikanische Deutsch-Studenten voller Inbrunst die Zeile intonieren: "Ich fühl' mich so leer, ich fühl' mich Brandenburg". Was ziemlich absurd ist, aber auch auf eine rührend altmodische Art völkerverständigend.

Wenn rundherum alles extrem wird, muss ich als Kabarettist eben derjenige sein, der die Mitte verteidigt."

Und wie kommt das an? Dezember 2016, Anruf bei Rainald Grebe. Er ist jetzt seit zwei Monaten auf Tour, man erreicht ihn zwischen zwei Auftritten, er hat schon in Köln, München und Mainz gespielt, jetzt geht es weiter in den Osten, nach Schwerin, Neubrandenburg, Rostock, Greifswald. Es laufe gut, sagt Grebe. Sein Publikum sei wie immer, die typischen Kabarett-Besucher, Studentinnen, Lehrer, Dreadlock-Träger, die Leute, von denen auch seine Lieder handeln. Nur an dem Abend, als er in Nürnberg auftrat, hätte er lieber ein heißes Bad genommen oder mit Freunden geredet; kurz zuvor war Trump gewählt worden. Kommt jetzt eine gute oder schlechte Zeit für Kabarettisten? Das könne er nicht sagen, so Grebe. Er versuche es mal "mit Überforderung, das ist ja eine ganz schöne Packung, die ich versende". Comedy als Wertekurs.

Im Laufe seines neuen Solo-Abends erzählt Grebe dann noch, was mit der Leiterin des Goethe-Instituts Elfenbeinküste geschah, die ihn nach Afrika eingeladen hatte und die für all das stand, was Grebe drei Stunden lang beschwört. Sie wurde ermordet, als islamistische Terroristen im März 2016 in einer Hafenstadt Badegäste und mehrere Hotels beschossen. Grebe hat lange überlegt, ob er das ansprechen soll. Aber warum hätte er es aussparen sollen? Denn auch das ist inzwischen die Aufgabe von Spaßmachern: dass sie die traurige Wahrheit erzählen.

© SZ vom 10.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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