Telemedizin:Standleitung zum Arzt

Per Funk, Telefon oder Tele-Home-Monitoring können Mediziner sogar Herzoperationen durchführen, obwohl sie von ihren Patienten räumlich getrennt sind. In der Telemedizin stecken viele Chancen - doch die Skepsis gegenüber der Technik ist groß.

Felicitas Witte

Sie steht zwischen Orchideen in einer Ecke des Wohnzimmers in Koblenz. Sie sieht unauffällig aus. Und sie hilft gegen die Angst vor Herzschwäche.

Auf dieses Gerät, eine elektrische Waage, stellt sich Heinz Zugehör jeden Morgen. Nach wenigen Sekunden ertönt ein Piepston. "Haben Sie es gehört? Jetzt werden die Daten nach Stuttgart geschickt", sagt der 81-Jährige und steigt von der Waage, um aus dem Wohnzimmerfenster auf den Rhein zu blicken.

Als es zum zweiten Mal piepst, stellt er zufrieden fest: "Und jetzt sind sie angekommen. Einfach, oder?"

Kein Anruf, also passt die Dosis

Wie fast alle Menschen mit einer Herzschwäche muss auch Heinz Zugehör Medikamente einnehmen. Ob die Tabletten wirken, zeigt sein Körpergewicht, denn die Arzneimittel schwemmen Wasser aus, das sich im Gewebe eingelagert hat, weil das Pumporgan so schwach ist.

Die Spezialwaage ist Teil eines Programms seiner Krankenkasse, an dem der Rentner seit einigen Wochen teilnimmt. Die Daten gehen an ein telemedizinisches Zentrum, das sich als Servicecenter bezeichnet.

Dort registrieren Krankenschwestern oder Ärzte das Gewicht von Herrn Zugehör und rufen ihn an, wenn sie eine ungewöhnliche Zunahme feststellen und er sich bei seinem Hausarzt melden sollte. "Bislang habe ich noch keinen Anruf bekommen", sagt Zugehör. Das heißt, dass seine Tablettendosis passt.

Nach einer Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bedeutet Telemedizin, dass Ärzte oder andere Therapeuten medizinische Dienstleistungen erbringen und dabei von ihren Patienten räumlich getrennt sind.

Elektroden unter Stickereien

Diese Distanz wird auf elektronischem Wege überwunden, zum Beispiel über Funk oder ein Mobiltelefon. Bei diesem Tele-Home-Monitoring sorgen Patienten oft selbst für die Datenerfassung: Herr Zugehör stellt sich auf die Waage, Menschen mit Diabetes messen ihren Blutzucker mit einem speziellen Stift.

Bei Menschen mit Herzrhythmusstörungen werden die Daten mit Hilfe eines tragbaren EKGs erfasst, das ständig die Aktivität des Herzens aufzeichnet.

Doch gerade die Überwachung von Herzkrankheiten ist für Patienten lästig: Es gibt Drähte und Schnüre, die im Alltag stören. Wissenschaflter aus der Schweiz haben daher ein T-Shirt mit Stickereien entwickelt, die Elektroden verbergen. Hiermit kann die Herzaktivität des Patienten kabellos aufgezeichnet werden.

Ein anderer Einsatz der Telemedizin betrifft die Diagnostik. Mit Hilfe der Teleradiologie beurteilen Röntgenärzte ein Bild, das Hunderte von Kilometern entfernt aufgenommen wurde. Mit der Telepathologie oder der Teledermatologie können sich Pathologen oder Hautärzte ein Präparat oder einen Hautbefund ansehen, obwohl der Patient weit entfernt ist.

Operation via Satellit

Doch Telemedizin ist nicht nur dazu da, Daten zu dokumentieren und Diagnosen zu stellen. Kürzlich führte der italienische Herzspezialist Carlo Pappone zum ersten Mal eine telemedizinische Herzoperation durch. Während er in Boston per Roboter und Katheter operierte, lag sein Patient 8000 Kilometer entfernt in einer Mailänder Klinik. Die Handgriffe von Carlo Pappone wurden durch eine Standleitung via Satellit übertragen.

Krankenkassenvertreter, Klinikchefs, Gesundheitspolitiker und natürlich die Hersteller sind begeistert von der neuen Technik. "Wir erwarten von der Telemedizin eine deutliche Verbesserung der medizinischen Versorgung", sagt Hans-Jochen Brauns, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Telemedizin (DGT).

"Ein fernüberwachter Herzschrittmacher oder eine im Notfall rasch eingeholte Meinung eines entfernten Experten kann Leben retten." Das hat etwa das Telemedizinische Pilotprojekt zur integrierten Schlaganfallversorgung (Tempis) in Südostbayern gezeigt.

Patienten, die in Tempis-Kliniken betreut wurden, starben seltener am Schlaganfall als Patienten in normalen Kliniken. Außerdem erlitten diese Patienten seltener eine Behinderung und mussten seltener in einem Pflegeheim aufgenommen werden.

Standleitung zum Arzt

Heinz Zugehör ist jedoch nicht überzeugt, dass er mit der Tele-Waage besser versorgt wird. ,,Ich habe mich früher immer schon regelmäßig gewogen und bin zum Hausarzt gegangen, wenn es mir schlecht ging.'' Tatsächlich können gewissenhafte Patienten vermutlich gut ohne Telemedizin auskommen.

"Der persönliche Kontakt zwischen Arzt und Patient geht zudem verloren", sagt Georg Marckmann, Medizinethiker an der Universität Tübingen. Dass sich Arzt und Patient nicht mehr so häufig sehen, kann für den Patienten jedoch auch von Vorteil sein, da zeitraubende Arztbesuche wegfallen.

"Ideal ist die Telemedizin als Ergänzung einer guten Arzt-Patienten-Beziehung", sagt Marckmann. "Bei den derzeitigen Einsparmaßnahmen im Gesundheitswesen sehe ich die Gefahr, dass die ohnehin knappe Gesprächszeit durch telemedizinische Anwendungen ersetzt wird."

Angst vor Daten-Missbrauch

Neben dem Verlust der Arzt-Patienten-Beziehung fürchten Kritiker, dass die Privatsphäre der Patienten nicht mehr gewahrt wird. Im Fokus steht hierbei die elektronische Gesundheitskarte, die Zugang zu sämtlichen Daten des Patienten wie Vorerkrankungen, Allergien, Operationen oder Impfungen und aktuelle Untersuchungen und Therapien gewähren soll.

"Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten hinsichtlich seiner Daten muss auf jeden Fall gewahrt werden", sagt Christoph Nachtigäller, Bundesgeschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Selbsthilfe. Neben der rechtlichen Sicherheit fürchten manche Kritiker, dass Computersysteme abstürzen oder Daten verloren gehen könnten.

Was die Patienten, um die es geht, von der Telemedizin halten, wurde in diversen Studien untersucht. Eine Studie des Bundesinstituts für Sozialforschung (BfS) aus dem Jahr 2003 zeigt, dass 70 Prozent der über 50-Jährigen Interesse an Telemonitoring haben.

Auch in der Sensave-Studie, initiiert von fünf Fraunhofer-Instituten, sagten mehr als 70 Prozent der Patienten, sie würden ein telemedizinisches Überwachungssystem nutzen. Doch in beiden Studien äußern die Patienten auch Skepsis. Unter den vom BfS Befragten äußerte ein Fünftel Angst vor den neuen Techniken. Sie fürchteten, dass Daten von Unbefugten gelesen werden. Und womöglich könnten Krankenkassen Beiträge erhöhen, wenn sie von den Leiden ihrer Patienten wissen.

Skepsis durch Informationsmangel

Die Skepsis gegenüber der Telemedizin entsteht häufig durch mangelnde Information: Kaum ein Patient weiß, was Telemedizin genau ist und was sie für Vorteile bieten könnte. "Die Patienten werden in die Entscheidungen über die Gesundheitskarte und andere telemedizinische Anwendungen nicht einbezogen", sagt Christoph Nachtigäller.

"Wir Patientenvertreter können nur beraten, nicht mitentscheiden." Zusätzlich stünden Patientenvertretern nicht genügend Ressourcen zur Verfügung, um sich ausreichend über die neuen Techniken zu informieren.

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