Teenager-Mode:Schau mal, was die da anhat!

Laufsteg Schulhof: Am Wochenende machen Mädchen Powershopping, um montags in der Schule nicht ausgelacht zu werden.

Miriam Stein

An einem Samstag im verregneten Teil dieses Sommers drückt sich eine Welle williger Käufer über Berliner Einkaufsmeilen auf der Jagd nach Stützen fürs Gemüt und Verstärker des Seelenheils: kleine, kurze Momente von Befriedigung in bunten Tüten und multiplen Labels, in den Farben des Sommers, den Schnitten der Saison. Die großen Ketten von H&M und Zara bis zu Pimki und New Yorker visieren gnadenlos die empfindlichsten Stellen der jugendlichen Käuferinnen.

Teenager-Mode
(Foto: Foto: istock photos)

"Wenn die Welt eine Bühne ist, sind die Klamotten dein Kostüm'', formuliert der Modedesigner Kostas Murkudis auf der Webseite der globalen Chic-to-go Marke H&M. Das ganze Leben ist eine Show, "Dress for the Moment", wie der Slogan von New Yorker proklamiert. "Die alte Regel, dass Mode in Zyklen verläuft: Die (Surf-)Mode von heute ist eine peppigere Version der Sachen, die vor 10, 20 Jahren getragen wurden. Und sie dient immer noch demselben Zweck: Mode soll Ausdruck des Lebensgefühls sein."

Was für ein und wessen Lebensgefühl da aber in überarbeiteter Form von der nächsten Generation ausgedrückt werden soll, verraten die Texter von H&M nicht. ,,Gesund und positiv'' nennt Pimki sein Lebensgefühl. Dabei bedienen sich die Kollektionen gern Ikonen vergangener Jahrzehnte, Pirat-Look bei New Yorker, Surfer bei H&M, Hippies bei Pimki, farbenfroh und untergeordnet, mit, wie es heißt, ,,Blumen und Totenköpfen, frisch vom Strand''.

Mode, diese immerzu kurzfristiger Veränderlichkeit unterworfene Form der inneren und äußeren Lebenshaltung, beruht auf dem Nachahmungs- und Geltungstrieb, dem großen Wunsch nach Abwechslung, Abgrenzung und eigenem Geschmack. Sie ist auf dem Boden einer Gesellschaftsschicht gewachsene Hülle und Trägerin von Wunschvorstellungen über das Selbst. Welch unberechenbarer, überflüssiger und doch so notwendiger Teil des Alltags, der nie dominanter, nie ernsthafter, nie wichtiger und schwerer zu beschreiben ist als in diesen langen harten Jahren zwischen Kindheit und Erwachsenwerden, wenn die Persönlichkeiten sich stündlich mit den Hormonen entwickeln.

Niemals wieder spielt die Meinung des Milieus, ob als Gegenpol, Inspiration oder Erkennung, eine so massive Rolle in der Entscheidungsfindung und auch Beurteilung des eigenen Dresscodes. Die Einordnung. Die Anpassung. Die Abgrenzung. Nach innen uniformiert, nach außen rebellierend. Wochenlanges Sparen auf ein Paar Schuhe, das noch niemand in der Klasse hat. Blöde Zettel austeilen und Zeitschriften austragen für einen Wintermantel, der die Ziege in der ersten Reihe vor Neid erblassen lässt. Stundenlange Fahrten aus der Provinz in die nächstgrößere Stadt, um auf einem Konzert ein Band-T-Shirt zu ergattern, das klar sagt: Ich war da. Und du nicht. Letztlich befindet man sich als Teenager doch niemals auf sicherem Terrain. Mitunter ändert sich der Kurs rapide. Was eben noch schwer angesagt war, ist morgen vielleicht schon wieder reif für die Altkleidersammlung.

Die Qual der Wahl am Kleiderschrank

Der Blick auf Fotos aus den Phasen der eigenen Adoleszenz zaubert ein Lächeln auf die Miene des Betrachters. Was damals als totschick galt, kann, aus der Distanz gesehen, gelegentlich als Fauxpas oder grand malheur betrachtet werden. Die Erinnerung an die Überzeugung, mit der man zielsicher am guten Geschmack vorbeigegriffen hat, heilt die Pein. ,,Meine Freunde in Brasilien haben nur Rock gehört, und dann hab ich auch damit angefangen und mir Gedanken über Klamotten gemacht. Da war ich aber noch ganz klein. Mit der Zeit hat sich das geändert. Ab da hab ich dann auch nicht mehr so auf andere gehört'', erzählt die fünfzehnjährige Verena aus Schöneberg. Verenas Mutter ist Brasilianerin, ihr Vater Deutscher. Sie ist in Berlin groß geworden. In der Masse der Wochenendshopper ihrer Altersklasse fällt sie wegen ihres geschmackvollen Indie-Stylings als Latina Chic auf. Die Smashing Pumpkins und Blink 182 sind ihre Lieblingsbands. Skinny Black Jeans, Schwarzes T-Shirt, +44 Tasche und Skater-Schuhe.

Die Schuhe, Vans-Style Skater Sneakers aus Leoparden-Print, sorgen laut Verena für Gesprächsstoff: ,,Die Jungs, mit denen ich rumhänge, mögen meine Klamotten nicht. Da habe ich mich aber dran gewöhnt. Die lästern über meine Schuhe. Die sagen manchmal Jungle-Mädchen.'' Aber nicht nur die Schuhe sind Grund für Spott: ,,Die mögen auch meine Bands nicht, da lästern sie auch gern drüber, weil sie wissen, dass es mich ärgert.'' Verena hat soeben die neunte Klasse abgeschlossen. Den Sommer wird sie in Brasilien verbringen und dann weiter in Berlin zur Schule gehen. Später möchte sie etwas mit Musik oder Mode machen, etwas, "das Spaß macht."

Schau mal, was die da anhat!

Die bunten Hunde von Gelsenkirchen

Patrizia, 17, aus Kleinmachnow, steht am unteren Ende des Kurfürstendamms und verteilt Werbezettel für fünf Euro in der Stunde. Das Geld, das sie mit ihrer Arbeit verdient, spart sie und kauft nur gelegentlich Kleidung, meistens gemeinsam mit ihrem Freund. Zu silbernen Hoop-Ohrringen trägt sie eine Perlenkette und einen Trenchcoat. In ihrer Stufe ziehen sich allerdings wenig Mädchen an wie Patrizia, ,,sondern eher die älteren Mädchen aus dem höheren Jahrgang''. Die tragen ähnliche schicke Klamotten'', erklärt sie. Ihr Freund darf mitbestimmen, was in die Tüte kommt und auch darauf hinweisen, wenn ein tiefer Knopf zu viel von Patrizias Dekolleté freigibt.

Im nächsten Jahr wird sie die elfte Klasse besuchen und dort Bio, Erdkunde und Englisch im Leistungkurs belegen. Nach einem Praktikum im Kostümshop des Berliner Friedrichsstraßenpalast in der neunten Klasse beschloss sie kurzzeitig, Modedesignerin zu werden, doch jetzt hat sie es sich anders überlegt. ,,Ich denke, ich hätte keine Chance. Man muss auch zeichnen können. So viele Mädchen in meiner Generation wollen Designerin werden." Ihr Interesse an selbstgenähter Mode bleibt von dem starken Konkurrenzkampf allerdings unberührt. ,,Ich mach' mir gern Sachen selbst. Wenn ich zu Hause ein Stück Stoff übrig habe, nähe ich mir ein T-Shirt daraus.''

,,Schade, dass wir uns nicht gestern getroffen haben,'' erklärt Melina, 17, aus Gelsenkirchen, ,,da hatten wir nämlich selbstgenähte Klamotten an.'' Mit ihrer Freundin Lena, ebenfalls 17, ist sie aus dem Ruhrgebiet nach Berlin gereist, um die Britische Band Arctic Monkeys in der Columbia-Halle zu sehen. Gemeinsam shoppen die Mädchen die Kastanienallee hinunter.

Melina trägt ein rotes Baby-Doll-Kleid mit weißen Punkten zu schwarzen, blickdichten Strümpfen und ebenfalls Skater-Schuhe. Lena kombiniert pinkfarbene Strümpfe, Nierentasche und Spaghettiträger-Top mit einen pastellfarbenen Rock mit Regenbogen und Wolken. Ihre Haare sind irgendwo zwischen Erdbeerrot und Orange, im Ansatz aschblond. ,,Wir befinden uns in der Rosa-Herzchen-Phase'', erklären die Musik-Touristinnen, ,,wir haben als Kinder niemals Rosa getragen, und das holen wir nun nach. Pink und Plüsch und Teddys und Herzchen. Wir ziehen uns an wie Fünfjährige.''

Als Mädchen sehen sie sich, nicht als Frauen, und Mode ist für sie ein Hobby. Die meisten Accessoires machen die beiden aus Schleifen, Perlen und Stoff selbst. Dabei spielen Farben eine große Rolle.,,Wir sind Messiasse, die die Botschaft der Farben verbreiten'', erklärt Melina, ,,es wäre schön, wenn mehr Leute in Gelsenkirchen so rumlaufen würden, dann fühlte man sich nicht so allein, wie ein bunter Hund.''

Natashah vermisst ihre namibische Schuluniform

,,Anderseits wär's auch schade, wenn alle so rumlaufen würden. Dann wäre das Besondere weg'', gibt Lena zu bedenken. Nachdenklich blickt sie auf ihre Finger. ,,Wir fallen eher durch unsere Haare auf'', erzählt Melina, ,,wir ändern sehr oft unsere Frisuren.'' Lenas Lehrer seien traurig, wenn sie einmal über einen längeren Zeitraum ihre Haare nicht färbe. Alle erdenklichen Farben umrahmten bereits ihr Gesicht. ,,Der Vorgang selbst ist aufregend. Schließlich weiß man nie genau, was dabei rauskommt.''

Innerhalb all der Unsicherheit, verschiedener Einflüssen und Ideen soll Individualität und Unverwechselbarkeit entwickelt werden. ,,Die größte Stilikone ist deine eigenen Individualität'', proklamiert der ,,Vivalicious''-Style-Tag von Viva und Bravo Girl!. Teenagermode ist ein riesiger Markt, in dem Konzerne ähnliche Kollektionen in variierenden Farben und Schnitten unter verschiedenen Labels anbieten. Wirkliche Unterschiede gibt es bei näherer Betrachtung kaum. Alle Marken bedienen sich bei den Laufstegen der Haute Couture.

,,Wenn mir irgendwas im Glamour-Magazin gefällt, dann gucke ich, ob es etwas Ähnliches bei H&M gibt'', sagt Patrizia. Sie würde nicht mehr als 50 Euro für ein Oberteil ausgeben, es sei denn, es handelte sich um einen besonderen Anlass. Getragen wird, was gefällt und bezahlbar ist. Der Einfluss der Eltern auf die Kleidung der Mädels scheint, zumindest im urbanen Raum, nicht mehr vorhanden. Haben eure Eltern jemals gesagt: So gehst du mir nicht aus dem Haus? ,,Nein'', lacht Sulay, 14, aus Berlin, ,,meine Mutter fragt mich eher, was sie anziehen soll.'' Sulay kauft ,,dann ein, wenn ich was brauche.'' Schick macht sie sich, wenn sie ausgeht, aber ,,auch nur in Maßen, wenn man die Schminke total sieht, dass es schon fast nuttig ist- so würd ich nie aus dem Haus gehen.''

Der Blick in den Schrank ist für die Mädchen vor der Schule ebenso wichtig wie der in Bücher. Genaustens wird das Tagesoutfit überdacht, ab und zu sogar am Abend vorher ausgewählt, um morgens Zeit zu sparen. Die Ankleide nimmt zwischen zehn Minuten bis zu einer Stunde in Anspruch. Ungeschminkt würden die meisten Mädchen nicht in die Schule gehen. Natashah geht seit zwei Jahren in Berlin zur Internationalen Schule. Sie ist fünfzehn und kommt aus Namibia. Ihre Eltern sind aus beruflichen Gründen in die Hauptstadt gezogen und werden noch ungefähr zwei Jahre hier bleiben.

Natashah mag Berlin, doch sie vermisst Namibia. ,,Bei uns haben alle in der Schule Uniformen an. Da braucht man sich keine Gedanken über Klamotten zu machen, weil ja doch alle die gleiche Uniform tragen.'' Am Wochende hat Natashah zwölf Stunden lang ausgeharrt, während ihre Haare zu feinen Zöpfen geflochten wurden. Mit ihren 15 Jahren spricht Natashah fünf Sprachen, darunter Deutsch, Englisch und Afrikaans. Sie mag Handtaschen und geht am liebsten mit ihrer Freundin Stella, 13, die aus Mosambique stammt und ebenfalls die Internationale Schule besucht, am Kurfürstendamm shoppen. Natürlich interessiere sie, was Jungs von ihrer Kleidung halten, erklärt sie.

Teenagermode als Kodierung für unterschiedliche kulturelle Bewegungen scheint passé. Erkannte man einst Mod, Rocker, Rockabilly, Skin und Punk an deren Outfit, so ist die Hülle dieser Tage eben nichts als Hülle, egal, wie viel Zeit an der Garderobe verbracht wird. Verwässert von Stilmixern in den Designabteilungen der Konzerne, begünstigt von billigen Kunstfasern und Arbeitskraft am anderen Ende der Welt, überfluten Angebote den Markt - und die Aufmerksamkeitsspanne ihrer jungen Käufer. Bedeutete man mit Doc Martens, Converse, Haarschnitt und Minirock einst Haltung und gar Widerstand, schluckt die Gier nach Absatz Symbolik und Romantik der Teenie-Kleidung.

,,Ich würde schon sagen, dass ich gewisse feministische Einflüsse habe'', erklärt Lena, während sie an ihrer Blumenspange spielt, ,,ich übertrage das nur nicht auf mein Aussehen.'' Gibt Melina dazwischen: ,,Ich finde das sowieso blöd, dass man sofort subkulturell eingestuft wird. Leute kommen zu einem und sagen: Biste Emo, biste 'n Punker? Ich sag dann nur, nein, ich zieh doch nur an, was mir gefällt!"

Mode, dieses so präzise Instrument sozialer Anpassung und Nivellierung, Ausdruck individuellen Charakters: Das Angebot ist ausufernd, doch die Vielfalt ist, gemessen an der Sehnsucht nach etwas Eigenem, gering.

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