SZ-Serie: Kinder, Kinder:"Haben Sie auch Kinder?"

Geschrei, Genörgel, böse Blicke: Wenn Familien in der Öffentlichkeit auftreten, bringen sie das Chaos mit sich. Neun Erfahrungsberichte.

Die Situation bleibt angespannt. Der Grund: Kinder sind Anarchisten, ihre Eltern meinen es immer nur gut, und Kinderlose wollen einfach nur mal ihre Ruhe haben. So ist die Lage. Ständig prallen Welten aufeinander - auf der Straße, im Restaurant, im Museum, in der Kirche.

Kind im Restaurant, Foto: iStockphoto

Ist sie nicht süß? Vielleicht ist sie aber auch laut und nervig. Etwa, wenn sie Abend für Abend im Hotel neben einem sitzt. Die hat man doch nicht mitgebucht!

(Foto: Foto: iStockphotos)

Natürlich fallen die, die Kinder haben, in der Öffentlichkeit am meisten auf. Geschrei, Genörgel, böse Blicke, Schweißausbruch, Selbstzweifel. Auf der anderen Seite: die Kinderlosen. Sie fragen sich: "Müssen die wirklich so einen Lärm machen? Können die ihrem Bengel nicht endlich mal eins. . .?" - Summerhill-Gründer Alexander S. Neill prägte vor langer Zeit den Satz: "Es gibt kein problematisches Kind, es gibt nur problematische Eltern". Problematisch bleibt vor allem: das Leben.

"Mein Papa hat . . ."

Meine fünfjährige Tochter kann recht schüchtern sein, und meist begegnet sie Fremden mit einer, sagen wir mal, gesunden Distanz. Nur merkwürdigerweise nicht in der U-Bahn, wo sie unbekannte Personen, die ihr freundlich zulächeln, immer wieder ohne Vorwarnung mit den Dingen konfrontiert, die sie gerade besonders beschäftigen. Dies sind zuvorderst natürlich die Missgeschicke ihrer Eltern - zum Beispiel akute Verdauungsprobleme oder katastrophale Zahnarztbesuche. "Mein Papa hat . . ." beginnen diese Sätze und bringen dann die Lage, die man ihr zuvor im Vertrauen erklärt hat, in großer Lautstärke und äußerster Klarheit auf den Punkt. Das halbe Abteil bricht in Lachen aus, und man selbst möchte gedemütigt im Sitz versinken. Ihren bisher größten Erfolg erzielte sie, als sie einmal mitten im Berufsverkehr die Penisgröße ihres Vaters - nun ja - thematisierte. Ausnahmsweise, sicher aus Mangel an Vergleichsmaßstäben, hatte ihre Angabe einmal wenig mit der Wahrheit zu tun - sie war entschieden zu schmeichelhaft. Und just in diesem Moment war ich nicht dabei. Nur hinterher, als ich davon erfuhr, dachte ich voller Zärtlichkeit: Das ist meine Tochter!

Zur Stoßzeit

Zu den Tücken einer Kinderwagen-Tour im öffentlichen Nahverkehr zählt: der Aufzug zur U-Bahn. Entweder ist er a) so gut versteckt, dass man ob der Sucherei den Zug verpasst. Oder b) er ist besetzt von einer Horde Schüler, die auch die Treppe nehmen könnten. Außerdem ist c) die Stimme, die die Stockwerke ansagt, so laut, dass das mühsam in den Schlaf gefahrene Kleinkind aufwacht - als Entschädigung dafür lernt es früh das Wort "Sperrengeschoss", ein Schenkelklopfer auf jeder Familienfeier. Oft ist d) der Aufzug auch defekt, und wenn gleichzeitig das Defekt-Licht defekt ist, steht man da und wundert sich - derweil fährt unten die Bahn ab. Sei"s drum, das sind die Macken der Technik, der Fahrstuhl denkt sich immerhin nichts Böses dabei. Und meistens trifft man nette Menschen, die einem den Wagen die Treppe hinunterschleppen. Dieses Land ist gar nicht so kinderfeindlich. Meistens jedenfalls. Neulich, gegen 18 Uhr, in der Münchner Trambahn. Der Zug ist recht voll, aber mit ein bisschen Zusammenrücken würde der Buggy locker hineinpassen. Eine Dame mault: "Ja Herrgott, die Leute fahren von der Arbeit heim. Da müssen doch Sie nicht auch noch die Tram nehmen."

Quengelkonzert

Frühförderung ist eine tolle Sache, und wer seinem Fötus Mozart vorspielen oder seine Kinder mit drei Jahren zum Japanisch-Unterricht schicken will - bitte sehr. Öffentliche Frühförderung allerdings ist eine Zumutung: Eltern, die ihre Kleinkinder mit zu den Münchner Philharmonikern oder ins moderne Ballett nehmen, sollten zur Strafe für einen Monat bei Dauerbeschallung mit japanischen Kunstliedern eingesperrt werden. Dieses Gerutsche und Gestöhne der gelangweilten Kids! Das Hin- und Hergehebe von Mamas Schoß auf Papas Schoß und dann wieder auf Mamas Schoß! Das Gewisper des Nachwuchses: "Wie lange noch?" Die leisen Beratungen der Eltern: "Gehst du mit ihr raus oder soll ich?" - all das ist eine Pein für jeden, der in Ruhe hören und sehen will. Und: für die Kinder, mehr Opfer als Genießer, auch. Weil man ja aber nicht kinderfeindlich sein möchte, unterdrückt man den Ruf: "Lassen Sie Ihre Bälger gefälligst zu Hause", trauert über die 50 Euro, die man für die Karte gezahlt hat, versucht, hinter dem mal greinenden, mal turnenden Kind hindurchzuschauen - und flucht im Rhythmus der Musik. Cathrin Kahlweit

Weiter geht's mit: Buggy-Express, Pommesmassaker

Buggy-Express

Museumsbesuche mit Kindern können nervig sein - für die Eltern, aber auch für alle anderen. Sonntags vor dem Museum Brandhorst in München. 40 Minuten Anstehzeit, Nieselregen. Der Museumswärter hat gerade wieder das Absperrband zugezogen. Nochmal zehn Minuten warten. Da taucht ein Vater (Barbour-Jacke, Lederslipper, um die 40) mit seiner Frau (Barbour-Jacke, Zopf, um die 40) und seinem Kind (schlafend im plastikumhüllten Kinderwagen) auf. Wo denn der Extra-Eingang für Kinderwagen sei? Der Museumswärter schüttelt den Kopf, zeigt auf die Schlange. "Aber wir haben doch. . ." Erneutes Kopfschütteln. Unter den Wartenden regt sich Unmut. Die Frau stellt sich samt Kinderwagen hinten an. Der Vater gibt nicht auf, verschwindet, taucht nach zwei Minuten wieder auf. "Luiiiiise komm, wir können rein!" Ein anderer Museumswärter gewährt der kleinen Familie Einlass, ein weiteres Elternpaar schlüpft samt Kinderwagen hinterher. Vor einer Twombly-Rose trifft man sich wieder. "Ganz schön praktisch, so ein Kinderwagen", entfährt es einem. Verständnisloser Blick des Vaters. So seien nun mal die Regeln des Museums. Nein, lieber Vater, sind sie nicht.

Das Pommesmassaker

Kinder sollen selbständig werden. Kinder sollen ihre Meinung haben. Kinder sollen aufmerksam sein. Aber bitte doch nicht alles auf einmal. Neulich im Restaurant: Die Bestellung Pommes mit Schnitzel, Pommes mit Fischstäbchen und Pommes nature für die drei Jungs ist aufgegeben. Nach zwei Minuten fragt der Siebenjährige die Bedienung: "Wann kommt endlich das Essen?" Der Fünfjährige zermalmt die Tischdeko, zeigt auf die Servierkraft und sagt: "Ich finde die Frau ziemlich dick." Der Vierjährige macht herzhaft Bäuerchen, nachdem er seine Fanta in einem Zug getrunken hat und sagt dann in die Stille des Gastraums: "Man sieht die Unterhose von der Frau." Ketchup-Gelage, Fanta-Pfützen, Ellbogen auf dem Tisch. Es muss an uns Eltern liegen. Sagt man auch "fremdschämen", wenn man die eigenen Kinder meint? Am Wochenende sind die drei zu einem Geburtstag eingeladen. Die Gastgeber sagen hinterher: "Eure Kinder sind ja so gut erzogen." Es muss an uns Eltern liegen, definitiv. Werner Bartens

Friede sei mit Dir

Daheim. Der Vater: "Na Kinder, sollen wir mal wieder in die Kirche gehen?" Die Kinder: "Nö." Der Vater: "Doch, doch. Janosch hat mir gesagt, dass er mitkommen möchte." Janosch: "Aber nur, wenn auch die Marisa mitkommt." Marisa: "Aber nur, wenn auch der Janosch mitkommt." Der Vater: "Los jetzt. Das kann man schon mal machen. Einmal im halben Jahr wenigstens."

Auf der Straße. Der Hundebesitzer: "Na, auch schon so früh unterwegs am Sonntag?" Der Vater: "Wir gehen in die Kirche." Der Hundebesitzer: "I-n d-i-e K-i-i-i-r-c-h-e?" Der Vater: "Ja." Der Hundebesitzer: "Dort trifft man viele Abtreibungsgegner, nicht?" Der Vater: "Bitte?" Der Hundebesitzer: "Na, im neuen Haneke sieht man ja, wozu Christenmenschen fähig sind. Schönen Sonntag noch." Der Vater: "Schönen Sonntag noch." Janosch: "Wer war der Mann?"

In der Kirche. Marisa: "Was sagt der Pfarrer?" Der Vater: "Dass man sich selber nicht so wichtig nehmen soll." Janosch: "Gääähn." Der Vater: "Janosch, setz dich endlich gerade hin." Marisa: "Und was sagt der Pfarrer jetzt?" Der Vater: "Dass es nach dem Tod weitergeht." Marisa: "Mit was?" Der Vater: "Mit dem Leben." Es kracht. Janosch ist aus der Bank gefallen. Er liegt im Gang. Die Ordensschwester: "Psssssssst." Die Gemeinde: "Amen."

Reise mit "Ritter Rost"

Die Frage "Haben Sie selbst Kinder?" gibt es in zweierlei Intonierung. Die erste ist die neugierig-freundliche Version, meist ein verkappter Smalltalkversuch: Nachdem man einander schon zum Fernsehprogramm / zum Wetter / zu Markus Söder nichts zu sagen hatte, könnte ein Austausch über fehlende Krippenplätze und vollgekotzte Babylätzchen das Eis endlich brechen. Die zweite Version ist die anklagend-selbstherrliche und gar nicht als Frage gemeint. Der Fragende geht vielmehr davon aus, dass der andere ganz bestimmt keine Kinder hat und deshalb von Kindern nichts versteht / ein schlechter Mensch ist / die Klappe halten sollte. Zuletzt hat man diese Nicht-Frage in einem Großraumabteil der Deutschen Bahn gehört. Vierersitzgruppe. Auf der einen Seite die Mutter mit einer etwa vierjährigen Zoe. Auf der anderen Seite man selbst. Die Fahrt dauerte drei Stunden. Nach zwei Stunden hatte man eine nasse Hose (Zoes Orangensaft), wunde Ohren (Zoes "Ritter Rost"-CD) und zerrüttete Nerven (Zoes Wut, Zoes Elend, Zoes Versuch, den Schaffner ins Bein zu beißen). Ob es möglich sei, fragte man schließlich, den "Ritter Rost" ein bisschen leiser . . . ? "Haben Sie selbst Kinder!", bellte die Mutter. Und da konnte man doch frohen Herzens sagen: "Ja." Tanja Rest

Bussi, Bussi

Dass Kinder sich in den Büros ihrer Väter wohl fühlen würden, ist eine Legende. Es ist nur so, dass Bürobesuche selten sind und damit im Leben eines Kindes die große Abwechslung darstellen. Deshalb erträgt Romy, dass sie nichts darf in meinem Büro: Sie darf die Schokomilch nicht in die Tastatur massieren, die Wände nicht mit den grellen Stabilo Boss Markern bestreichen, sie darf nicht herumschreien und auch kein Fernsehen schauen.

Romy, zweieinhalb Jahre alt, kennt nur DVDs, und den Kleinen Maulwurf oder Bob der Baumeister (eine Million mal gesehen) habe ich jedes Mal absichtlich vergessen, wenn sie mit mir in den18. Stock kam. Trotzdem fragt sie regelmäßig: "Papa, Arbeit?" Und wenn ich "Ja, aber ohne dich" sage, jammert sie. Das kann nur an den vielen hilfsbereiten wunderbaren Kolleginnen aller Altersklassen liegen, die mit einem blonden kleinen Mädchen gerne für 20 Minuten alles machen, was Kinder und sie selbst so lieben: Bonbons verfüttern, Kuchen kaufen und vor allem: Bussi, Bussi.

Rubens im Blick

Alte Meister, das ist doch auch was für junge Menschen. Es müssen nicht immer die kindgerechten Ausstellungen im Deutschen Museum sein, wo es viel zu drehen, zu schrauben, anzufassen gibt und so wahnsinnig viel zu lernen ist. Also ein Sonntagsbesuch in der Alten Pinakothek: Es ist eine aufsehenerregende Rubens-Ausstellung. Der Andrang ist groß, viele Touristen, ältere Leute. "Nicht schreien, nicht rennen, nichts anfassen", sind die Ratschläge für die Kinder. Auf einmal sagt die Zwölfjährige, schon seit dem Morgen ziemlich blass, "mir ist jetzt schlecht" und läuft zum Ausgang. Zu spät, es ist nichts mehr zu machen. Direkt vor dem leuchtenden Rubens spuckt sie auf das glänzende Parkett. Peinlich. Besucher bleiben stehen, reichen Papiertaschentücher, eine Putzfrau kommt sofort und wischt alles weg, ein Trinkgeld lehnt sie ab: "Das passiert doch öfter." Gut zu wissen. Caspar Busse

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