SZ Magazin:Buy, buy

Mode ist eine Form von Religion. Und der Ausverkauf ist ihr Begräbnisritual.

Harald Gründl

Zweimal im Jahr, im Frühling und im Herbst, regiert das Hässliche die Modeschaufenster vieler Luxusboutiquen. Die Scheiben der Geschäfte sind einige Tage lang zugeklebt, nackte Schaufensterfiguren stehen herum, die Ware hat man einfach auf den Boden geworfen. So wird die Mode präsentiert, am Ende ihres Lebenszyklus, der nur ein halbes Jahr währte.

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(Foto: Foto: AP)

Es sind Bilder, die wir in keinem der Hochglanzbücher über kunstvolle Schaufenstergestaltung finden. Schlägt man die Tageszeitung auf, sieht man Annoncen von Luxusmarken, die wie Todesanzeigen aussehen: das schwarz gerahmte Wort "Sale", das Logo des berühmten Labels und der Ort der Bestattung, das Geschäft in bester Innenstadtlage.

Dort empfängt uns dann beispielsweise eine Schaufensterfigur im Papierkleid: Wo sonst Roben für Tausende von Euros ausgestellt sind, hängt jetzt ein einfacher Bogen braunes Packpapier herunter. Diese Phase des Hässlichen steht im krassen Gegensatz zur gewöhnlichen Verherrlichung der Mode.

Der französische Philosoph Roland Barthes hat in der Saison 1958/59 die Sprache der Mode analysiert. Es ist eine fast mathematisch konstruierte, rituelle Sprache, die bis heute gilt. Und der Frühling ist laut Barthes eine entscheidende Zeit: Durch ihn bietet die Mode den Käufern "die Gelegenheit, alljährlich an einem Mythos zu parti-zipieren, der aus der Tiefe der Zeiten auf uns überkommen ist. Die Frühlingsmode ist für die moderne Frau ungefähr das, was die großen Dionysien oder die Anthesterien für die alten Griechen waren." Man könnte dieses kurze Zitat als kleinen poetischen Ausflug abtun. Doch die Rede vom Mythos ist mehr als eine bloße Metapher.

Die "unsterbliche Gabe der Erneuerung der Mode", wie die französische Vogue im Frühling 1959 formulierte (und an die Fashion Victims immer noch glauben), hat tatsächlich die Züge eines antiken Festes, wie es die alten Griechen in Form der Dionysien feierten. Dionysos ist der sterbliche Gott, der rituell geopfert und wiedergeboren wird. Der Kult um ihn lässt seine Anhänger während ausgelassener Bacchanalien auf Erlösung und Wiederkehr hoffen. Durch die symbolische Dramatisierung der Auferstehung glaubt man, dass auch die Natur im Frühling neues Leben erhält, und die Pflanzen aus dem "toten" Zustand im Winter auferweckt werden.

Die griechischen Riten hatten eine Reihe von Dramatisierungselementen - die wichtigsten unter ihnen waren die Prozession und das Opfer. In der Welt der Mode kehren diese Elemente nun auf erstaunliche Weise wieder.

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