Surfer-Legende:Reiter vor dem Sturm

Bunker Spreckels war der Stilgott unter den Surfern, Spieler und Frauenheld. Doch dann stürzte er ab.

Eva Karcher

"Hey Beach Boy - gimme a ride!" Und dann folgte er dem Ruf von Sommer, Sonne, Wellen und Wind. Surfte in aquamarinblau und türkis funkelnden Fluten, zischte über silbern perlende und glitzernde Gischt, bezwang die launischsten Breaks, ritt die gefährlichsten Tubes, carvte selbst auf Freak Waves, wagte die härtesten Turns und besaß überhaupt den animalischsten Stil aller Surf-Idole der frühen Siebziger: "... schnell wie ein Tiger, giftig wie eine Schlange, tanzend wie ein Kranich''. So beschrieb Miklos, "Miki" Sandor Dora, der surfende Antiheld der Malibu Ära der fünfziger und sechziger Jahre, die besonderen Qualitäten von Bunker Spreckels, seinem vielleicht legitimsten, weil ebenso freigeistigen und dabei noch viel exzentrischeren Nachfolger.

Dora wie Spreckels sind inzwischen Surf-Legenden. Aber nur Bunker selbst brachte jene Voraussetzungen mit, die Draufgänger über ihre Epoche hinaus zu unsterblichen Ikonen machen: Geburt in eine berühmte und reiche Familie, eine Biographie aus Surfen und Kampfsport, Frauen, Sex, Drogen und Destruktion im Rhythmus von live fast, die young. Nur siebenundzwanzig Jahre kurz, vom 15. August 1949 bis zum 7. Januar 1977, dauerte das manisch-exaltierte Dasein von Adolph B. Spreckels III., wie sein voller Name lautete, und er verbrannte es mit Muskelkraft und Leidenschaft, dabei zwei nur auf den ersten Blick gegensätzlichen Motti folgend: Let's rock until we drop, Leitspruch aller ewig jungen Rock'n Roll-Kids und carpe diem, die Empfehlung des römischen Dichters Horaz, den Tag zu pflücken.

Was in Bunker Spreckles Philosophie auf dasselbe hinauslief: "Ich ging mit einer irgendwie anarchistischen Einstellung ans Leben heran", erzählt er C. R. Stecyk III in seinem einzigen, dafür umso ausführlicheren Gespräch, das der Jugendfreund, der heute als Schriftsteller und Künstler in Venice in Kalifornien lebt, einen Monat vor dem plötzlichen Tod Spreckels aufnahm. "Lebe so viel wie möglich heute, weil du morgen vielleicht schon tot bist. Und das habe ich dann auch getan."

Und zwar mit allen Konsequenzen. Dies belegen die Schnappschüsse, Porträts und Stillleben von Art Brewer, einem anderen engen Vertrauten und bekannten Surffotografen, der Spreckels von 1974 an fast ständig mit der Kamera begleitete. Schon die Familie, in die der göttlich dekadente Surfprinz hinein geboren wurde, erfüllte alle Bedingungen einer Soap Opera de luxe. Sein Urgroßvater Claus Spreckels, der noch in Hannover geboren wurde, war 1846 nach Amerika ausgewandert, in New York in die Lebensmittelbranche eingestiegen und hatte danach in San Francisco mit einer Brauerei ein Vermögen verdient. Einen Teil des Geldes investierte er in Kalifornien und Hawaii in Zuckerrüben und Zuckerrohr, entwickelte neue Maschinen und Methoden für die Herstellung und kontrollierte bald darauf den ganzen hawaiianischen Zuckerhandel der Neuen Welt. Zu seinem ständig wachsenden Imperium zählten eine Eisenbahngesellschaft, Hotels und eine Besitzurkunde der Insel Maui, auf der er seit Ende des 19. Jahrhunderts lebte.

"Claus war der beste Freund von König David Kalakaua", berichtet der Urenkel, ,,er gab ihm das Geld, das er dringend brauchte und erhielt dafür Land für seine Zuckerrohrplantagen und den Ort Spreckelsville auf Maui''. Dort und im Royal Hawaiian Hotel in Waikiki verbrachte auch Bunker, wie ihn seine Familie nannte, als Kind viel Zeit beim Angeln, Kajakfahren und Wellenreiten. Als er sechs Jahre alt war, heiratete seine Mutter Kay, ein ehemaliges New Yorker Mannequin, 1955 den King of Hollywood Clark Gable; es war ihre zweite und seine fünfte Ehe.

Reiter vor dem Sturm

Weizenblondes Haar und Schokohaut

Spätestens von jetzt an war ihr Sohn für eine standesgemäße Upperclass Karriere als Börsenmakler oder Botschafter verdorben. Plötzlich baten ihn kleine Mädchen um Autogramme, und der Superstar-Stiefvater brachte ihm dann bevorzugt männliche Tugenden bei - "wie man schießt und mit Waffen umgeht, Messern, Ochsenziemern und so. Er war gut mit der Peitsche. Lasso, überhaupt alle Cowboykünste konnte er gut."

Auch Reiten, Jagen und Fischen gehörten zum Ausbildungsprogramm eines echten Kerls, außerdem - darauf achtete Clark besonders - "gutes Aussehen, gute Bildung'' und "dass ich für Frauen sorgen soll". Als Gable 1960 starb, war sein Stiefsohn, wie er zu Protokoll gibt, "ungefähr einen Tag traurig'', doch eigentlich fehlte ihm "der Mann, der sich nie verstellte", als Vaterfigur sein ganzes Leben lang. Er wuchs mit der Mutter, der jüngeren Schwester Joan und seinem kleinen Bruder John Clark aus der Ehe mit Gable in Hollywood auf, surfte an den feinen Privatstränden von Point Dume und wurde wie alle rich poor kids schon damals von Paparazzi und Klatschkolumnisten rund um die Uhr verfolgt.

Es war die Zeit, als die Beach Boys mit ihren ersten Singles "Surf" und "Surf Safari" in der Hitparade landeten und das Wellenreiten von Hawaii aus Kalifornien, Australien, Afrika und den Rest der Welt eroberte. ,,He's My Blonde-Headed Stompie-Wompie Real Gone Surfer Boy" trällerte Little Pattie 1963 - und da saß er am Strand von Oahu in Hawaii, weizenblondes Schnittlauchhaar, Schokohaut, dünn und sehnig durchtrainiert, sein Shortboard "Alma" mit der feuerroten Unterseite und den flachgeschliffenen Kanten vor sich und die Banzai Pipeline hinter sich. Bunker hatte sie damals, 1969, gerade erobert, eine der halsbrecherischsten Wellen der Welt, gefährlich deshalb, weil sie sich steil über ein seichtes Riff bricht.

Mit zwanzig Jahren hätte Bunker Spreckels also einer der begehrten Goldboys von Malibu sein können, verlobt mit Miss Teen California und nach der Militärschule am Beginn einer Karriere im Big Business. Aber er zog es vor, wie viele andere Flowerpower-Teenies seiner Generation "James-Dean-mäßig gegen die Gesellschaft, Eltern und alle Werte zu protestieren, die uns aufgezwungen wurden." Folgerichtig ging er nach Hawaii statt auf die Universität, ernährte sich von Avocados, Papayas und Bananen, lebte eine zeitlang einsam im Wald und tat nichts, als an der Nordküste Oahus die riesigsten Wellen zu umarmen. Es war die einzige Phase seines Leben, in der er "völlig naturstoned" war, "auf dem totalen Naturtrip".

Er entwarf seine Bretter selbst, radikal kurz und mit harten Kanten, und steuerte sie liegend, kniend und stehend mit akrobatischer Geschmeidigkeit selbst durch die teuflischsten Wogen. So wurde er zum Helden einer neuen Technik des Speed-Surfens, bewundert von Meistershapern wie Barry Kanaiaupuni und berühmten Wellenreitern wie Rory Russell. Den faszinierte vor allem, wie Bunker sich immer wieder "ohne Sicherung in diese verbotene Fantasiewelt, in diesen Drei-Meter-Wahnsinn" der Monsterwasserberge stürzte.

Kein Risiko konnte groß genug sein, wenn er dafür dieses erhabene Gefühl erleben durfte, "frei zu sein", so frei, wie er es nur auf dem Wasser war. "Wellenreiten reinigt den Körper, und wenn man sich richtig darauf einlässt, auch den Geist", erkannte Spreckels. Auf dem Land dagegen passierten leider dauernd "Sachen, die mit Drogen, Frauen oder Gewalt zu tun haben, und die hindern mich daran, jedes Mal eine erstklassige Leistung abzulegen, wenn ich rausgehe".

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Täglich zugedröhnt

Da war er, der Grundkonflikt des motzigen Spontan-Revoluzzers und Dandys, den die eigene Energie immer wieder überwältigte, und, leider: Geld machte ihn nur noch schlimmer. Die Summe, die er mit 21 erbte, holte er angeblich bar im Panzerwagen ab und versteckte sie in seiner "geheimen Höhle". Reich zu sein, bedeutete für Spreckels wie schon für Vater und Großvater einen unersättlichen, manischen Luxus-Egotrip: feiern, saufen, Drogen nehmen, Autos und Häuser kaufen - und, vor allem, "vögeln": "In einer Woche habe ich mal 64 Mädels genagelt".

Das war allerdings, nachdem ihn Ellie 1974 verlassen hatte, das einzige Mädchen, das es drei Jahre mit ihm aushielt. Von nun an inszenierte er sein Leben mehr und mehr als bizarre Reality-Show. Noch immer betrachtete er Surfen als seine größte Herausforderung, doch jetzt umgab er sich mit einer Entourage aus Fotografen, Chauffeuren, Bodyguards, Groupies und anderen Dienstleistern, wenn er Erster Klasse von einem Sternehotel und einem Hot Spot zum nächsten reiste.

Auch war er nicht mehr clean wie in seiner Naturburschen-Phase, sondern regelmäßig zugedröhnt mit Drogen aller Art von Gras über Kokain bis LSD. Letzteres beschreibt er als Surfer-Halluzinogen par excellence, das Rauschmittel, dem nach seinen Worten fast die gesamte psychedelische Underground-Avantgarde der Surfheroen der sechziger und siebziger Jahre verfallen war. Bunker selbst schniefte das Dope des angeblich so idyllischen Kultsports phasenweise täglich, "nur eine Nase morgens, Psilocybin mit Meskalin und LSD gemischt, zu Pulver gehackt und in ein Röhrchen gefüllt".

Als neues Traumziel wählte er 1972 die Strände Südafrikas, Durban und Jeffrey's Bay, wo er zum ersten Mal die im phänomenalen Filmklassiker,, The Endless Summer'' von 1966 verewigten Bruce`s Beauties surfte: meterhohe, atemberaubende Wellenkämme. Allmählich wurden selbst an seinem muskelgestählten Körper die Folgen der Ausschweifungen sichtbar. Statt 61 wog er inzwischen 95 Kilogramm, was er jedoch keineswegs verbarg, sondern - im Gegenteil - durch knappste Badeshorts, Silberkettchen um die Oberarme und ein freches Grinsen betonte. Damals perfektionierte Bunker seinen charmant-abgewrackten Outlaw-Glamour weiter. Er stilisierte sich dazu abwechselnd mit hellen, hautengen, handgenähten Leder-Hüfthosen und bis zum Nabel offenen Hawaiihemden, Schlaghosenjeans und breitem Kummerbund über der Taille oder Bermudas, kniehohen Fellstiefeln und Weste über dem nackten Oberkörper. Außerdem liebte er es, sich mit Trophäen zu zeigen, wahlweise einem selbst erlegten Kudu, einer afrikanischen Antilopenart oder dem Poster eines blonden Pinup Girls. Die Allüre des Provokateurs wurde zur Lieblingsrolle. Mal fuchtelte er mit Schwertern und Nietenmanschetten um die Handgelenke, mal imponierte er mit Kara-Ho Kempo kung-fu-Gesten, die er tatsächlich beim hawaiianischen Meister Professor Chow studiert hatte oder grapschte als Edelzuhälter mit Felljacke und schwarzer Sonnenbrille seiner Freundin an den Busen.

Damals verwischten sich für Spreckels die Grenzen zwischen Realität und Fiktion. Als ,,The Player'', der Spieler, wollte er sich irgendwie neu erfinden und begann, mit einem Team einen autobiographischen Film zu drehen, den er ,,Decado'' nannte. Doch die Szenen, die er lieferte, waren immer brachialeres Schmierentheater - freak-ische Auftritte eines entfesselten Prinzen der Finsternis, der sich durch die Kneipen Durbans prügelte, seine Haare schwarz färbte, um seinem Idol Elvis Presley tatsächlich erstaunlich ähnlich zu sehen, oder sich als deutscher U-Boot-Kommandant mit nach oben gegelten Haaren, Kapitänsjackett und schwarzen Lederhandschuhen zu verkleiden.

Kein Zweifel, Bunker befand sich in einer tiefen Identitätskrise, die ihn vor allem innerlich deprimierte und isolierte, die er nach außen jedoch nur durch noch mehr Show verdrängen konnte. Rührend naiv glaubte er tatsächlich, dass die Images, die er wechselte wie seine Huren, ,,eine Testphase'' seien, bis jemand wie ,,Andy Warhol, Stanley Kubrick oder Kenneth Anger'' käme, um mit ihm zu drehen. Ja, Bunker hatte einen neuen Traum: Jetzt wollte er nicht mehr den Ozean rocken, sondern sein eigenes Leben. Und plötzlich war alles vorbei. Zur Belohnung scheint Bunker Spreckels als neuer Superman des Surf-Chic nun endlich in den Olymp all jener Götterkinder einzuziehen, die ihr Leben lieber an beiden Enden anzündeten, als für nichts zu entflammen. Seine Boards werden zu Rekordpreisen über 10000 Dollar versteigert, und Anfang kommenden Jahres soll ihm zu Ehren und über ihn der Dokumentarfilm ,,Super X Media Combine'' auf den Markt kommen - von einem anderen Fan, dem Surf Champion Takuji Masuda.

Im Mythos allein ist das Leben endlos.

Alle Fotos und Zitate aus: "Bunker Spreckel's, Surfing's Divine Prince of Decadence", von Art Brewer und C.R. Stecyk III, erscheint September bei Taschen, 29.99 Euro, www.taschen.com.

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