Studie in Schweden:Fressen für die Forschung

Studenten sollten 30 Tage lang Unmengen Fastfood essen - das Ergebnis überrascht.

Sebastian Herrmann

In Fredrik Nyström wandelte sich Faszination langsam zu Ärger. Der schwedische Mediziner saß im Kino und ließ sich von einer Tortur unterhalten, der sich ein 33-Jähriger freiwillig für einen Dokumentarfilm unterworfen hatte: ,,Super Size Me'' von Morgan Spurlock.

Nyström, der sich an der Linköping Universität mit Ernährung und ihren Wirkungen auf den Körper beschäftigt, sah, wie Spurlock 30 Tage lang nichts als Hamburger und Fritten aß.

Nyström war fasziniert, dass es der Amerikaner durchhielt, einen Monat lang höchstens 5000 Schritte pro Tag zu gehen. Und er sah dabei zu, wie Spurlock zu einem fetten, faulen und depressiven Menschen mutierte.

Doch dann stieg Ärger in Nyström auf, als er damals 2004 im Kino saß: ,,Mich hat enttäuscht, dass dieser spannende Selbstversuch nicht mit wissenschaftlich korrekten Methoden gemacht wurde.'' Der Effekt, den die Fast-Food-Kur auf Spurlock hatte, sei deshalb höchstens von anekdotischem Wert. Zumal es Zweifel gebe, dass bei ,,Super Size Me'' alles mit rechten Dingen zugegangen ist.

6600 Kilokalorien pro Tag

Nyström schickte sich an, es besser zu machen: Er wiederholte das Fress-Experiment, gab ihm einen wissenschaftlichen Rahmen und betrat damit Neuland: Gesunde, schlanke Menschen, die im Namen der Forschung systematisch gemästet werden, das hat die moderne Ernährungswissenschaft lange vermieden.

Das vorläufige Ergebnis verblüfft: Wenn bei ,,Super Size Me'' nur Hamburger und Fritten im Spiel waren, dann muss die Reaktion Spurlocks als extrem gelten.

Nyström erhöhte zunächst die Anzahl der Probanden. Aber wer will einen Monat lang bis zu 6600 Kilokalorien pro Tag in sich hineinstopfen - das entspricht mehr als zwölf Big Macs? Wer will seinem Körper zumuten, 30 Tage lang nur Fast-Food zu essen und vor allem mit tierischen Fetten sein Kalorienpensum zu erreichen?

,,Junge Männer'', sagt Nyström. Die reagierten erstaunlich positiv, als der Mediziner bei einer Vorlesung über die Übel der Völlerei sein Vorhaben vorstellte. Frauen ließen sich schwieriger zum Fressen für die Forschung bewegen.

Zwölf Männer und sechs Frauen traten schließlich für Nyström an, 30 Tage lang Burger, Speck, Milchshakes und andere Fastfood-Sünden zu essen. Alle waren Studenten der Linköping Universität, alle waren Anfang 20, kerngesund, schlank und sportlich.

Die Studenten wurden mit Pedometern ausgestattet, die überwachten, dass sie nicht nur gefräßig sondern auch faul waren. Ein extra Busservice zur Universität wurde eingerichtet, alles mit einem Ziel: ,,Die Probanden sollten sich so wenig wie möglich bewegen'', sagt Nyström. Einmal wöchentlich wurden die Studenten von Bauch bis Fuß untersucht. Blut- und Leberwerte, Hormonspiegel, Blutdruck, Stoffwechsel, ein Körperscan, mit dem Veränderungen des Fett- und Muskelgehalts bestimmt wurden.

Auch die psychische Verfassung der Fastfood-Fresser wurde in Gesprächen überwacht. Und natürlich das Gewicht: ,,Wir hatten festgelegt, dass ein Proband abbrechen muss, wenn er mehr als 15 Prozent seines Ausgangsgewichts zugenommen hat'', sagt Nyström.

Ein Glas Olivenöl am Abend

Finanziert habe die Studie ausschließlich die Universität, betont der Wissenschaftler. ,,Ich habe auch eigenes Geld vorgestreckt.'' Mit dem Geld gingen die Studenten ihr Essen selbst einkaufen. Die Quittungen reichten sie ein, um zu belegen, dass sie sich an den vereinbarten Speiseplan hielten.

Die meisten Probanden mussten sich quälen, um die geforderten 6600 Kilokalorien pro Tag zu sich zu nehmen. ,,Das ist auch wahnsinnig viel'', sagt Nyström. So empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung Männern bei normaler körperlicher Aktivität täglich 2900, Frauen 2300 Kilokalorien.

Nyströms Probanden versuchten sich durch radikale Maßnahmen zu helfen. Einer mischte regelmäßig bis zu zwei Becher Sahne in seine Milchshakes, um so viel Fett wie möglich auf einen Rutsch zu sich zu nehmen.

Fressen für die Forschung

Andere berichteten, dass sie praktisch den ganzen Tag nur damit beschäftigt waren zu essen. Ein Student trank Olivenöl, als er nach einem Tag voller Burger, Speck und Pizza merkte, dass noch 1000 Kilokalorien fehlten.

,,Ich habe mich so schwerfällig gefühlt'', erzählte Studienteilnehmerin Lotta Karlsson dem britischen New Scientist, ,,so als wäre ich im fünften Monat schwanger.'' Probanden brachen nach wenigen Schritten in Schweiß aus. Viele Teilnehmer klagten, dass es ihnen extrem schwer fiele, auf Bewegung zu verzichten.

Das alles scheint zunächst für Spurlock zu sprechen: Der Amerikaner nahm im Film elf Kilo zu, 13 Prozent seines Ausgangsgewichts. Sein Arzt drängte ihn abzubrechen, da seine Leberwerte sich dramatisch verschlechtert hatten. Seine Cholesterinwerte waren stark angestiegen, Stimmung und Libido im Keller.

Diese extremen körperlichen Reaktionen - die viele Forscher für unglaubwürdig hielten - lassen sich offenbar nicht zur Regel erklären.

,,Mein Experiment zeigt, wie individuell jeder Mensch auf Essen reagiert'', sagt Nyström. Nur ein Proband habe abbrechen müssen, da er die kritische Grenze von 15 Prozent Gewichtszunahme erreicht hatte. Dagegen hätten andere Studienteilnehmer so gut wie gar nicht zugenommen. Nach Ablauf der Fresskur hätten alle Probanden rasch wieder Gewicht verloren.

,,Die Bandbreite war sehr groß'', sagt Nyström, der die Ergebnisse noch nicht publiziert hat. Er will seine Studie erst bei medizinischen Fachzeitschriften einreichen. Die Leberenzyme stiegen laut vorläufigen Ergebnissen zunächst stark an, fielen nach kurzer Zeit aber wieder auf ein normales Niveau.

Die gemessenen Cholesterinwerte überraschten Nyström: Der LDL-Cholesterinspiegel nahm fast gar nicht zu, das erwünschte, ,,gute'' HDL-Cholesterin nahm im Schnitt um 20 Prozent zu. ,,Was die Ursache dafür ist, das können wir noch nicht erklären'', sagt Nyström.

,,Das Experiment relativiert den Unsinn, den Spurlock in die Welt gesetzt hat'', kommentiert Lebensmittelchemiker Udo Pollmer. Nyström habe gezeigt, wie ,,Super Size Me'' abseits der Filmleinwand hätte ausgehen müssen: unspektakulär.

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