Stilvoll in Leder:Der Hirschhaut reine Seele

Lesezeit: 6 min

"Fühlen Sie mal, wie weich das ist!" Markus Meindl will die Lederhose nicht den Dimpfeln überlassen und kämpft für ein Kulturgut mit Glamour.

Willi Winkler

Die jungen Mütter im Zug hinter Mühldorf vergleichen den jeweiligen postnatalen Gewichtsverlust und setzen das Baby sicherheitshalber gleich noch mal an; die älteren Geschwister testen derweil sämtliche freien Sitze im Waggon und sind doch mit keinem zufrieden. Schon laufen die Mütter hinterher und bieten ihnen biologisch-moralische Bananen, auch gelbe Rüben an, aber genommen wird dann doch wieder nur die Milchschnitte, die aus dem Kühlregal; also gut, ausnahmsweise. Wenigstens geben sie jetzt für einen Augenblick Ruhe an diesem schönen Tag, den die Schulfreundinnen unbedingt für eine gemeinsame Fahrt ins Blaue nutzen wollen.

Die Lederhose an sich hat zu wenig Glamour. Dagegen muss man was tun, findet "Lederhosen-Papst" Markus Meindl. (Foto: Foto: oh)

In Kirchanschöring steigt keiner aus, die Mütter mit ihren Schratzen fahren weiter. Auf dem Perron kein Schaffner, der winkte und pfiffe, niemand weit und breit. Nicht einmal ein Bahnhof ist das, nur ein knapp 38-sekündiger Halt im ostbayerischen Voralpenland, hinten die Berge, Almen, Kühe und (mit bloßem Auge kaum mehr zu erkennen) resche Sennerinnen, also: Bilderbuchbayern. Aber wenn es ganz flach wäre und die Felder wären abgeerntet, könnte jeden Moment ein doppeldeckriges Flugzeug auftauchen, ein bisschen exotisch zwar hier, aber auch wieder interessant, und dann würde es aus diesem grundlos heiteren Himmel auf den einsamen Reisenden zu schießen beginnen, ratatata!!!

Halt, das ist ein anderer Film, Cary Grant auf der Flucht in Hitchcocks "Unsichtbarem Dritten". Das hier ist bloß Kirchanschöring, 3115 Seelen überwiegend römisch-katholischen Bekenntnisses, traumhaft niedrige Arbeitslosigkeit, Gesangsverein, Blaskapelle, Dirndlschaft - was man halt so braucht auf dem Land. Hier ist Markus Meindl zu Hause. Wenn er doch einmal auf den Party- und Gesellschaftsseiten auftaucht, heißen sie ihn den "Lederhosen-Papst", und vermutlich gefällt ihm das Urbi-Et-Orbitale daran, denn Meindls Gerb- und Stickware geht von hier hinaus an alle Völker und Nationen. Bis zur anderen Seite Amerikas hat sich die Schmiegsamkeit seiner Hirschhäute herumgesprochen, schaute doch erst neulich der Gouverneur von Kalifornien auf einen Sprung herein.

Die Meindl-Schuhe macht der Bruder

Am Himmel droht kein Flugzeug; der blaut vorschriftsmäßig und spannt sich grenzenlos weit hinüber bis über die Salzach nach Österreich hinein. Kirchanschöring hat wie jedes Dorf die Medaille "Unser Dorf soll schöner werden" und könnte wie jedes Dorf eine Aufhübschung vertragen, besonders um die Mitte, wo die Meindl-Werkstatt wuchert. Der Besucher leidet in all seinen Schuhen und hätte sich mit Markus Meindl gern über die richtigen Schuhe für seine Füße unterhalten, solche, die was aushalten, aber den Fuß nicht nach wenigen Kilometern so peinlich ödipal anschwellen lassen. "Aber das ist der Bruder", sagt die Assistentin, "der Bruder macht die Meindl-Schuhe." Der hat nämlich die berühmten Schuhe genäht, in denen Wolfgang Büscher von Berlin bis nach Moskau gegangen ist.

Die beiden Meindl-Brüder sind die Erben eines Familienunternehmens, das sich mit dem entsprechenden genealogischen Fleiß bis ins 17. Jahrhundert zurückverfolgen lässt; 1683 wird in Kirchanschöring zum ersten Mal ein Schuhmacher namens Petrus Meindl urkundlich erwähnt. Vor achtzig Jahren machte sich sein Nachfahr Lukas selbstständig und begann, an der Nähmaschine zum derben Schuh auch noch Lederhosen zu fertigen.

Heute sind es mehrere tausend Modelle, die in der Werkstatt geplant, entworfen, zugeschnitten, genäht und in Heimarbeit weitum im Land bestickt werden; allein zehntausend Lederhosen gehen von Kirchanschöring jährlich hinaus in die Welt. Meindl verlagert nicht, bleibt bodenständig und ernährt das halbe Dorf. Wie ein guter Vater gibt er nicht nur Arbeit, sondern auf Nachfrage auch Geld für den Sozialfonds der Gemeinde.

Markus Meindl, der Lederhosen-Meindl, hat sich ein wenig draußen in der Welt herumgetrieben, fährt auch noch immer gern zu Modenschauen in Mailand und hat sich am Ende doch in diesem Herrgottswinkel niedergelassen, aus dem die Familie kommt. Wie er so dasitzt im Besprechungsraum der Firma - tailliertes Hemd, Lederhose natürlich, Haferlschuh (er ist ja daheim) -, wirkt er mit seinen 38 Jahren immer noch jugendlich-zart. Erst der graue Fünf-Tage-Bart macht ihn so männlich-herb, wie er wirken will. Bei manchen Foto-Produktionen taucht er als Model unter seiner neuen Kollektion auf. Meindl steht ihm.

Dass er lieber Tom Ford oder sonst was Modeschöpferisches wäre, wird er nicht bestreiten, aber er ist in einem Familienunternehmen groß geworden; in der Schule, erzählt er stolz, sei er der einzige gewesen, der sich sein Federmäppchen selber genäht hat. Der junge Meindl hat wieder Schumacher gelernt, dazu Betriebswirtschaft studiert, denn er will seine Produkte auch an den Mann bringen.

Aber schon das Wort "Produkt" ist ihm zu technisch, er spricht von der "Seele" des Ganzen, von "authentisch", von den "Emotionen", die sich mit der strikt mittelständischen Arbeit an der Hose und dann mit dem Tragen verbinden, als wären diese Emotionen direkten Wegs in die Lederhose gewandert. Ein Schuft, wer Böses dabei dächte, denn schon immer diente die Krachlederne zu mehr als nur der wachsenden Leibesfülle Schutz und Zier zu geben, forcierte ein aggressives Stenzgebaren, das in rituellen Balztänzen wie dem Schuhplattler ganz ungeniert vorgeführt wird.

Die Lederhose an sich hat zu wenig Glamour

Die Lederhose anundfürsich trägt schwer am geringen Glamour-Faktor; es gibt einfach nicht genug schwule Schauspieler, die echten Hirsch sexy finden und damit herumparadieren würden. Die von norddeutschen Munich by night-Besuchern noch immer gern genommene Mär, es sei die speckige Mattglanzschicht auf der Lederhose nur durch jahrelanges Absitzen im Hofbräuhaus zu erzielen, wäre womöglich sogar besonders durabel gemacht durch direktes Abschlagen des reichlich vereinnahmten Bieres, wird in Kirchanschöring sofort zuschanden.

Hier werden - jedenfalls soweit es der Besucher beurteilen kann - nicht bloß Emotionen, sondern regelrechte Kunstwerke hergestellt, keine CSU-Fraktionsloden, sondern Ausstattungseinzelstücke. Der Laie ist schon von den traditionellen Schnittmustern überfordert, streicht über das Ebenseer, das Ausseer, das Salzburger Modell, staunt über Ziege "rauchgold", das Velours des Herren-Jacketts "Romeo" mit den so abenteuerlich aufgesetzten Taschen. Und die Janker erst! "Fühlen Sie das mal", sagt Meindl und streicht über den weichen Stoff, "fühlen Sie bloß!"

Nein, er schwärmt wirklich von seinen Sachen und mit Grund. Sogar die besorgten Tagesausflugsmütter von vorhin im Zug würden bedenkenlos ihre Babys drin bergen. Meindl weiß, dass Hirschleder im Mittelalter auf der bloßen Haut getragen wurde. Sie haben sich zwar nie gewaschen, die Saubären, den Körper aber mit feinstem, atmungsaktiven Hirschleder verwöhnt. Für ein richtiges Ensemble geht mehr als ein Tausender weg, aber es sei, versichert der Meister der Emotionen, eine Investition fürs halbe Leben, und so weich! Und wenn sogar der Schwarzenegger darin regiert...

Meindl ist wahnsinnig elitär. Er schimpft auf die sogenannte "Landhaus-Mode", die lächerlichen Trachten, die irgendwie zusammengesampelt werden, um darin die dirt road von der Maximilianstraße an den Chiemsee stilgerecht unternehmen zu können. Von "Vermassung und Nivellierung" schimpft er und klingt gar nicht viel anders als der Philosoph Hans Sedlmayr, der vor Jahrzehnten von Salzburg aus den "Verlust der Mitte" beklagte. Landhausmode, das ist für ihn die Billigware. Dabei hat er einst selber Aufsehen erregt mit einer Kollektion "Luis Trenker". Danach hat er sich bessere Lederhosen- und Werbeträger gesucht.

Der Musikant Hubert von Goisern wurde über Jahre von Meindl eingekleidet und sang auch dazu; heute sind es Fußballer und Sterne-Köche, die Meindl nicht an den Füßen tragen, sondern als Janker, Wams und Hose; kleinere Ausgaben gibt es für die Kinder, dazu das Dirndl für die Damen.

Das verhasste Plastik

Nur elitär geht nicht, schon gar nicht bei dem (geheimgehaltenen) Umsatz, bei fast fünfhundert Arbeitsplätzen. Meindl fertigt auch Motorradkleidung für BMW, und da kommt das sonst so verhasste Plastik (natürlich atmungsaktiv) zum Einsatz, und da wird dann auch in der balkanischen Nachbarschaft gefertigt. Was gut ist für BMW, ist auch gut für Meindl. Nicht aus München, sondern "aus dem arabischen Raum" ist ein Auftrag ergangen, der ihn besonders stolz macht, weil so was nicht jeden Tag hereinkommt.

Nicht nur, weil sich der Ruf der Meindl'schen Lederverarbeitung bis zum Persischen Golf herumgesprochen hat, sondern weil der auftraggebende Scheich sich etwas ganz Besonderes wünscht. Eine kommode Joppe soll es sein, aber bitte ganz aus Reptil. Acht Krokodile oder doch deren äußere Werte werden dafür verarbeitet. Kein Angst, liebe Tierschützer: Die Viecher haben alle Selbstmord in freier Wildbahn begangen. Und wieder fährt Markus Meindl über das exquisite Leder, diese Struktur!

So ein Scheich hat's doch gut, nicht nur viele Weiber, sondern auch viele Krokodile.

Auf dem Rückweg - die Assistentin ist noch schnell ins Salzburgische hinein, weil es sich dort billiger tankt - führt die Inntalautobahn ganz schnell wieder zurück in die Großstadt und das Münchner Leben und dorthin, wo Leuchtstoff-Loden und Dirndl mit kürbisgroßen Herz-Applikationen auf dem Busen getragen werden, aber im Festzelt auf der Wiesn muss das so sein.

Doch das ist München und weit weg von der Meindl-Manufaktur. Und bitte, auch das abgelegene Kirchanschöring geht mit der Zeit, das "Preisplattln" konkurriert in der laufenden Woche mit einem Aerobic-Kurs, und die Volkshochschule bietet "Entspannung und gute Laune" durch Qigong. Neben der Fahrbahn brennt still ein Smart aus. Wundersames Bayernland.

© SZ vom 20.09.2008/vs - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: