Stille Post im Internet:Wenn überall das Falsche übers Kindergeld steht

Die Panik war groß, doch die Information falsch: Wie sich ein Gerücht über angebliche Behördenwillkür verbreitete.

Von Barbara Vorsamer

Was stimmt eigentlich?

Das Wichtigste zuerst, um mit diesem Text nicht auch noch weiter zur Verunsicherung beizutragen: Niemand - wirklich niemand - muss befürchten, ab 2016 kein Kindergeld mehr zu bekommen.

Richtig ist, dass von 1.1.2016 an die Steuernummer des Kindes angegeben werden muss, um Kindergeld zu beziehen. Die Nummer wird allerdings bereits seit Jahren in den Antragsformularen abgefragt, bislang war sie nur noch keine Pflichtangabe. "Bei 90 Prozent der Kindergeldanträge liegt uns die Identifikationsnummer längst vor", sagt Ilona Mirtschin von der Bundesagentur für Arbeit.

Die restlichen zehn Prozent werden im Laufe des kommenden Jahres von der Kindergeldkasse angeschrieben und gebeten, bis spätestens Ende 2016 die Nummer nachzureichen. Das Kindergeld wird währenddessen weiter ausgezahlt.

Gestrichen wird die Zahlung nur Personen, die auch nach der schriftlichen Aufforderung keine Steueridentifikationsnummer einreichen. Kommt außerdem heraus, dass jemand unberechtigerweise Kindergeld bezogen hat, muss er dieses zurückzahlen.

Was wurde stattdessen verbreitet?

Eltern haben sie in den vergangenen Tagen dutzendfach erhalten: eine Ketten-Whatsapp, die mit vielen Ausrufezeichen und falschen Angaben darauf hinwies, dass "bis Dezember 2016(!!!)" die Steuernummer nachgereicht werden müsse und alarmistisch hinzufügte:

Kindergeld

Kindergeld Whatsapp Screenshot

(Foto: Screenshot: SZ.de)

"Der Haken: Wer diese Steuernummern nicht bis spätestens Dezember 2015 der Familienkasse mitgeteilt hat, bekommt das Kindergeld gestrichen, muss u.U. das Kindergeld 2016 zurückzahlen und einen neuen Kindergeldantrag stellen (der dann vermutlich eine längere Bearbeitungszeit hat). Das Kindergeld wird dann auch nicht rückwirkend gezahlt. Was weg ist, ist weg. Auf die Frage, ob das noch veröffentlicht wird, hat die Familienkasse "nein" gesagt; jeder Leistungsbezieher müsse sich über bevorstehende Änderungen informieren. Auf die Frage, was passiert, wenn ganz viel Bürger das einfach nicht mitbekommen, kam "dann haben diese Familien Pech gehabt". Bitte informiere Dich (bei Google über das Stichwort "Kindergeld 2016" gibt es gsnz viele Infos) und gib die Info möglichst schnell an Betroffene weiter!"

Welche Person diese Fragen an die Familienkasse gerichtet hatte, welcher Mitarbeiter der Familienkasse diese Aussagen gemacht hatte und ob sie überhaupt jemals gemacht wurden - unklar. Beim Versuch, den Urheber der Whatsapp-Nachricht zu finden, telefonierte sich die SZ von der Freundin über den Nachbarn zur Cousine durch. Jeder bezeichnete seine Quelle als vertrauenswürdig, Zitat: "Das ist jetzt nicht eine, die unreflektiert irgendwelchen Quatsch postet."

"Aber ich hab's gegoogelt!"

Doch nach einer Handvoll Telefonaten ging es meistens nicht mehr weiter, weil der oder die Betreffende nicht mit der Presse sprechen wollte. Vielen Whatsapp-Nutzern war es merklich unangenehm, die Nachricht weitergeleitet zu haben. Die meisten betonten, zuerst gegoogelt zu haben, ob es wirklich stimme - doch weil das Gerücht auch im Netz allerorten war, fanden sie sich schnell bestätigt und leiteten es weiter.

Noch immer findet sich das Thema in vielen Facebook-Timelines und erbost die Nutzer. Einer schreibt zum Beispiel:

Alle die Kinder haben, sollten dieses Wissen! Eigentlich schon eine Frechheit, dass die Eltern überhaupt gar nicht informiert werden!"

Ein anderer:

LESEN LESEN LESEN LESEN LESEN ! ! ! ! ! ! Ich behaupte jetzt ganz einfach; ,,das hat System und ist gewollt ", auf die Art und Weise spart der Staat Millionen wenn nicht gar Milliarden. Das perfide an der Sache ist ja nicht das Vorhaben an sich, sondern die Art und Weise der stillschweigenden Einführung.

Und wieder andere nutzen die (Falsch-)Nachricht als Bestätigung für ihre eigene verquere Weltsicht:

was? bestimmt weil der Staat das ganze Geld den Flüchtlinge gibt für Unterkunft und alles ,da bleibt dann wohl kein Geld mehr für uns hart arbeitende Menschen mehr übrig um unsere Kinder zusätzlich noch zu unterstützen !!!

Alle diese Zitate stammen von Facebook-Nutzern, die die Nachricht öffentlich gepostet haben. Der ein oder andere wundert sich auch über das Ganze:

Das ist mal wieder ein typisches Facebook-Beispiel!!!!!!!!!! Ich lese täglich mehrmals Artikel, daß man die Steuernummern für Kinder melden muß, weil man sonst kein Kindergeld mehr kriegt - und jetzt das???????? Manchmal finde ich FB wirklich informativ, lese ich lieber wie Zeitung. Aber so langsam geht's mir auf den Keks, was ständig irgendwelche Gerüchte irgendwo durch irgendwen verbreitet werden!

Wie entstehen virale Gerüchte?

Irgendwas wird irgendwie durch irgendwen verbreitet, das trifft es ganz gut. Das Kindergeld-Gerücht hatte alle Eigenschaften, um sich viral zu verbreiten:

  • Es hat einen wahren Kern.
  • Die Behörden machen angeblich etwas falsch und kommunizieren nicht gut - das glaubt man gerne.
  • Es geht ums Geld - da bekommen alle Angst, etwas zu verlieren.
  • Dann diese Steuernummer - keiner kennt seine, geschweige denn die seines Kindes. Die Panik steigt.
  • Und dann gibt es auch noch eine Frist und das aktuelle Kalenderjahr ist fast zu Ende (die Frist endet erst im nächsten Jahr, aber das wird in all der Aufregung überlesen.)

Andre Wolf von Mimikama, einer Community, die Internetgerüchte überprüft, sagt dazu: "Oft entstehen Gerüchte in den sozialen Netzwerken, wenn jemand oder eine Organisation - zum Beispiel Pegida - sie gezielt lanciert. In diesem Fall würde ich aber vom Phänomen Stille Post ausgehen." Es gibt also vermutlich keinen konkreten Urheber dieser Falschmeldung, sondern eine eigentlich korrekte Information wurde so oft unvollständig weitergegeben oder falsch verstanden, dass irgendwann nur noch Panik herrschte.

Wie entstand das Kindergeld-Gerücht?

In diesem Fall begann alles vor sechs Wochen mit zwei Facebook-Posts zum Thema. Der eine bezog sich auf eine Zeitungsmeldung, der andere auf das Bundeszentralamt für Steuern - eigentlich verlässliche Quellen, doch die Nutzer posteten statt vollständiger Links nur Screenshots von Überschrift und erstem Absatz. Ein Großteil der Informationen fehlte.

Als nächstes verlagerte sich die Diskussion auf Whatsapp, was ihr Andre Wolf zufolge eine neue Dynamik gab: "Whatsapp ist kein Netzwerk, sondern meistens eine Eins-zu-Eins-Kommunikation unter Menschen, die sich kennen. Daher wird dem Inhalt vertraut, es fehlt aber wie bei Facebook das Korrektiv der Masse, dass also vielleicht einer unter den Freunden ist, der drunter schreibt: 'Aber das kann doch gar nicht stimmen.'"

Das Gerücht verbreitete sich wie ein Lauffeuer über Mailverteiler, Whatsapp-Gruppen und wieder zurück auf Facebook, bis vor ein paar Tagen auch Nachrichtenwebsites aufsprangen - nicht alle mit dem Ziel, nüchtern aufzuklären. "Ohne Steuernummer kein Kindergeld!" hieß es zunächst bei T-Online, viele Konkurrenzseiten titelten noch reißerischer - um dann frühestens im letzten Absatz die Fakten zu präsentieren. Das bringt Klicks. Inzwischen haben jedoch die meisten ihre Headlines in harmlosere und korrektere Varianten umgeändert.

Was lernen wir daraus?

Nur weil etwas "im Internet" steht, ist es noch lange nicht richtig. Auch wenn es tausendfach geteilt wird und auf hunderten Seiten steht, muss es nicht stimmen. "Vielen Menschen fehlt es an Medienkompetenz", sagt Wolf von Mimikama, "sie können nicht zwischen verlässlichen und weniger verlässlichen Quellen unterscheiden."

Daher verlassen sie sich auf die Masse und vermuten: Na, wenn es überall steht, wird es schon stimmen. So steht in Zeiten von Copy-Paste, Teilen und Weiterleiten der größte Unsinn ganz schnell überall.

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