Stilkritik: Der vorgetäuschte Orgasmus:Publikumswirksamster Höhepunkt aller Zeiten

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Wir haben Nora Ephron viel zu verdanken. Die Drehbuch-Autorin von "Harry und Sally" lehrte uns den Spaß am gespielten Höhepunkt. Die weibliche Showeinlage ist nämlich besser als ihr Ruf. Eine Huldigung.

Violetta Simon

In den Drehbüchern von Nora Ephron, Schöpferin der Hollywood-Komödie "Harry und Sally", ging es meistens darum, was Männer und Frauen sich gegenseitig alles antun. Und dass es zwischen ihnen manchmal trotzdem funktionieren kann. Nach ihrem Tod taucht nun unweigerlich die Erinnerung an jene Filmszene auf, die sie berühmt gemacht hat. Und mit ihr ein Phänomen, das bis heute als Synonym für kollektive Verunsicherung steht: der vorgetäuschte Orgasmus.

Der öffentlichste Orgasmus aller Zeiten: Sally (Meg Ryan) demonstriert Harry (Billy Crystal) eine eindrucksvolle One-Woman-Show. (Foto: imago stock&people)

Die Szene aus "Harry und Sally", in der Meg Ryan in einem Deli in New York ihrem Filmpartner Billy Crystal beweist, dass er nicht in der Lage ist, einen falschen von einem echten Höhepunkt zu unterscheiden, ging nicht nur in die Filmgeschichte ein. Der publikumswirksamste Höhepunkt aller Zeiten erschütterte das männliche Selbstbewusstsein in Mark und Bein.

Regisseur Rob Reiner berichtete später von einer Test-Vorführung des Films: Während die anwesenden Frauen sich über die Szene ausschütten konnten vor Lachen, verzogen die Männer keine Miene.

Vermutlich reagierten beide aus demselben Grund so verschieden: Weil sie sich in Sally bzw. Harry wiedererkannten. Wenn Sally sich ziemlich erwartbar mit Schlafzimmerblick in ihrem Haar verkrallt, zu stöhnen beginnt und schließlich "Yes" Yes! Yes!" durchs Lokal schreit und dabei rhythmisch auf die Tischplatte schlägt, muss man als Frau einfach lachen. Weil man nicht glauben kann, dass man mit so etwas durchkommt.

Auch die Männer trauten offenbar ihren Augen nicht: Es war genau dieselbe Showeinlage, die ihnen so oft schon die Absolution erteilt hatte. Nicht nur Harry war bekehrt und gab sich mit hochrotem Kopf geschlagen.

So mancher Liebhaber blickt noch heute zweifelnd auf die sich windende Frau, die stöhnend und wimmernd in seinem Bett liegt und die Augen verdreht, und fragt sich: Ist das nun echt oder nur gespielt?

Während die einen jedoch am liebsten die Blutdruckmanschette zücken oder der Partnerin den Finger an die Halsschlagader legen würden, um die Pulsfrequenz zu messen, wollen andere die Wahrheit gar nicht so genau wissen.

Schlechtes Image

Sicher ist: Es gibt wenige Angelegenheiten, die ein derart schlechtes Image in der Männerwelt haben wie der vorgetäuschte Orgasmus. Seine eindeutige Botschaft: "Du bringst es nicht, also bringe ich die Sache endlich zu Ende."

In der Frauenwelt steht der vorgespielte Höhepunkt nicht viel besser da, denn auch hier geht es ums Image: Gut im Bett ist, wer abgeht wie ein Zäpfchen. Eine Showeinlage zeugt somit von der Unfähigkeit, jederzeit und überall zu kommen. Dabei handelt es sich doch wohl eher um die Unfähigkeit, dem anderen zu sagen, was und wie man es gerne hätte.

Doch hat der vorgespielte Orgasmus wirklich so viel Verachtung verdient? Schließlich befindet er sich in bester Gesellschaft. Unser Leben wird bestimmt von Menschen und Dingen, die nicht halten, was sie versprechen: von einem Tankstellenpächter, der behauptet, er sei entführt worden und in Wirklichkeit nur Geld braucht. Von einem Verteidigungsminister, der sich seine Doktorarbeit zusammenkopiert und Plagiatsvorwürfe als "abstrus" bezeichnet. Von einem US-Präsidenten, der eine Zigarre in seine Praktikantin einführt und behauptet, das sei kein Sex gewesen.

Nur weil Leinwand-Sex nicht echt ist, würden wir an der Kinokasse niemals den Eintritt zurück verlangen. Doch im eigenen Bett hört der Spaß auf. Da legt sich der Mann schließlich höchstpersönlich ins Zeug.

Dabei ist der vorgespielte Orgasmus besser als sein Ruf. Denn auch wenn er den kleinen Tod nicht streift, macht er aus einem ahnungslosen einen passablen Lover. So gesehen kann der gespielte Orgasmus durchaus dazu beitragen, dass sich beide besser fühlen. Zyniker würden ihn wohl als harmoniefördernde Maßnahme in der Partnerschaft bezeichnen.

Noch heute weist ein Schild in Katz's Deli über dem Tisch, an dem die beiden saßen, darauf hin: "Where Harry met Sally - hope you have what she had". Wenn es im Bett mal nicht so gut läuft, setzt man sich an ihren Platz, neigt den Kopf vertrauensvoll dem Kellner entgegen und raunt: "Ich hätte gerne genau das, was sie hatte."

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