Stilduell: Grillen:Fleischeslust? Würstelfrust!

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Asche über unser Fleisch: Die eine kann Grillfanatiker nicht verstehen, die andere ist selbst einer. Ein Pro und Contra.

Franziska Seng und Christina Herbert

Grillen verwandelt zivilisierte Menschen in glühende Fanatiker, außerdem nerven Vegetarier nirgends so sehr wie beim Teilen einer gemeinsamen Kochfläche, findet Franziska Seng.

Für die einen der Himmel auf Erden, für die anderen das Fegefeuer: Die Grillsaison ist eröffnet und erhitzt die Gemüter. (Foto: ap)

Grillen ist maßlos überschätzt. Man darf das nicht laut sagen, denn sofort steigen Rauchsäulen der Entrüstung in den sommerlichen Himmel. Wer keine Lust auf das Gruppenritual hat, gilt als hoffnungslos asozialer Fall, der lieber alleine isst und trinkt, womöglich vor dem Fernseher. Was unter Umständen sogar stimmt. Doch abgesehen davon sprechen auch sachliche Gründe gegen das Grillen.

Schon aus kulinarischer Sicht ist Grillen eine Grenzerfahrung - selbst wenn man für ein eigenes, genießbares Kotelett oder Steak gesorgt hat: "Isst bitte jemand die Würstl, so kalt sind die noch gar nicht!" Diese Aufforderung schließt das warme Bier und den gärenden Kartoffelsalat mit ein. Als höflicher Herdengriller tunkt man das verschrumpelte Grillgut, das eine unsichtbare Hand auf dem eigenen Teller abgeladen hat, in einen See aus Knoblauchdip und Zigeunersauce pikant. Fleisch im Übergangsstadium zu Asche, dazu warmes Bier, so muss das Fegefeuer schmecken. Nur eigentlich wollte man das niemals wissen.

Über das mittelmäßige Essen wäre noch hinwegzusehen. Schlimmer ist der Gemütswechsel bei den Freunden, sobald es ums Grillen geht. Im Abendrot verwandeln sie sich zu Diktatoren, die atavistischen Feuerkulten oder seltsamen Produktfetischen huldigen. Es ist also weniger mangelnde Zuneigung, warum man nicht mit ihnen grillen will, im Gegenteil. Man möchte sie weiterhin als zivilisierte Mitteleuropäer schätzen dürfen.

Dass Feuer und Fleisch eine fatale Kombination ergeben, die bei jedem Mann imaginären Neandertalerflaum sprießen lässt, ist bekannt. Trotzdem ist es immer wieder verstörend, wenn der eigene Partner nur noch in rohen Häppchen - "Fleisch her", "Fleisch fertig", "mehr Fleisch, kein Salat-Grünzeugs" - kommunizieren will. Zwischendurch schürt er die Weißglut oder trommelt auf der gorillamäßig geblähten Brust. Bei der besten Freundin, die stolz die Deckel ihrer Original-Tupperware-Kollektion klacken lässt und von den Möglichkeiten der Tupper-Produkt- und Firmenphilosophie faselt, muss man sich Sorgen machen, ob sie anfällig für sektenähnliche Kulte ist.

Am schlimmsten sind die Vegetarier. Sie sind beim Grillen so fehl am Platz wie die Karfreitagsprozession im Hofbräuhaus, was sie natürlich nicht einsehen. Super fröhlich packen sie ihr vorgeschnibbeltes Gemüse aus, zum Beispiel käsefußbleiche Zucchini-Spalten. Die müssen auf dem Rost in Sonderzonen, die noch nicht mit Fleischessaft kontaminiert sind und nehmen richtigem Essen die Glut weg. Irgendwann beißen Vegetarier lächelnd in ihr knackendes, selbst nach zwei Stunden halbgares Gemüse. Das nicht zu überhörende Geräusch signalisiert: "Seht, ich kann mit fader Kost glücklich sein, ohne Tiere zu Tode zu quälen."

Das Ritual zieht sich bis tief in die Nacht: Zu vorgerückter Stunde hat die unsichtbare Hand halbgare, käsefußbleiche Zucchini-Spalten auf dem eigenen Teller abgeladen. Der Partner stochert resigniert in der längst verloschenen Glut. Man möchte die Haare als Vorhang vor die Szenerie fallen lassen und sich schlafend stellen, aber die riechen penetrant nach Ruß. Im Fernsehen liefe jetzt bestimmt eine geschmacksneutrale Tatort-Wiederholung.

Grillen ist nicht nur Grillen. Hier darf jeder machen, was er will und trotzdem sind alle irgendwie entspannter als sonst. Wer über das Gemeinschaftsbrutzeln meckert, hat das Prinzip nicht verstanden, findet Christina Herbert.

Grillen geht immer und beim Grillen geht alles: Es ist die Demokratie in Reinform. (Foto: ag.ap)

Zur kleinen Sachkunde der heißesten aller Jahreszeiten: Sommer ist, wenn die Sonne einfach nicht untergehen will. Erdbeeren haben Geschmack. Und von Buxtehude bis nach Rosenheim mischt sich der Duft von frisch gemähtem Gras mit frisch aufgelegter Holzkohle. In diesem wabernden Dunst verfestigt sich eine Gewissheit: Sommer, das ist vor allem Grillen!

Aber neben Sommer ist Grillen auch Demokratie in Reinform. Jeder bestimmt selbst, was auf den Teller kommt. Knobi-Liebhaber schaufeln Zaziki, der Knobi-Hasser setzt sich unbemerkt eine Decke weiter. Obwohl der selbsternannte Grillmeister über überzeugte Fleischverweigerer frotzelt, landen deren Zucchini-Spalten und Soja-Kotelettes doch auf dem Rost, neben Käsekrainer und Nackensteak. Und der Vegetarier selbst kann sich nirgends besser der Notwendigkeit seines Verzichts vergewissern, als angesichts einer Dreiwochenration eingeschweißten Fleisches aus dem Kühlregal.

Selbst Koch-Nieten, die nicht einmal einen Nudelsalat zustande bringen sowie hartnäckige Verfechter des Statements "Fladenbrot vom Döner muss reichen" werden in die soziale Grill-Demokratie integriert. Auch wenn sie kaum oder wenig zur Grill-Gemeinschaft beitragen, dürfen sie sich über Couscous-Salat und gefüllte Champignons freuen. Das Prinzip der Umverteilung funktioniert. Und der aufkeimende Groll der Leistungskochelite vergeht beim Grillen so schnell wie das erste Bier des Abends.

Längst nicht ausreichend gewürdigt ist auch der Fitness-Aspekt des Grillens. Neben der Möglichkeit, die Menge des Würstchenverzehrs unter sportlichen Gesichtspunkten zu betrachten, hat das Essen im Freien auch einen anderen Vorteil: Irgendwer spielt immer gerade Volleyball oder ähnlich Gesellschaftsfreundliches. Die letzte Portion Kartoffelsalat mit extra Mayo lässt sich also zeitnah wieder abtrainieren. Aufgehört wird erst, wenn der Ball trotz zusammengekniffener Augen nicht mehr vom Nachthimmel unterschieden werden kann und ein Spieler jaulend in die entsorgte Grillkohle getreten ist.

Unter dem klaren Sternenhimmel halten die zuvor getankten Sonnenreserven oder wahlweise der Freund nebenan warm. Gespräche über den Sinn des Lebens und ob man seine Zeit richtig nutzt, wirken nirgendwo natürlicher als in der lauen Sommerluft. Vielleicht auch, weil man sich an diesem Tag nichts vorzuwerfen hat. Da ist diese Gewissheit: Der neue Tatort wird im Winter noch mal wiederholt. Heute war Sommer. Und ich hab ihn gelebt.

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