Stammtisch an der Raststätte:Schwere Last

Mit 40 Tonnen über die Autobahn donnern: Das war früher mal cool. Heute kämpfen die Fernfahrer gegen immer mehr Regeln und Konkurrenten.

Von Martin Wittmann

Runter von der A9, Ausfahrt 31, vorbei am Spielcasino in Richtung Erotic-Markt. Davor links rein zum Autohof Berg bei Hof, der "Ein Stück Heimat für unterwegs" verspricht. Auf dem Parkplatz stehen Hunderte Tonnen Lastwagenburg im Abendlicht. Brummidämmerung.

Drinnen, im Nebenraum der Gaststätte, sitzen die ersten Teilnehmer des Fernfahrer-Stammtisches an Tischen, die zu einem Hufeisen geformt sind. An dessen offenem Ende sitzt Ralph Müller, Polizist aus Franken, 52 Jahre alt. Weiches T, weiche Formen. Seinen Stuhl hat er umgedreht, die massigen Arme auf der Rückenlehne abgelegt. Der Stammtisch-Leiter erwartet den Abend in Therapeutenhaltung.

Werner ist auch schon da. Er trägt einen Schnauzer und Augenringe. "Schon als Kind war Lastwagenfahren mein Traum", sagt der Dresdner. Mit 22 habe er damit angefangen, damals noch in der DDR. Aber nun, 33 Jahre später, "hab' ich keine Lust mehr." Warum so verdrießlich? "Weil da draußen auf den Straßen Krieg herrscht."

Es ist Punkt 19 Uhr, und Müller eröffnet den Stammtisch, wie immer um diese Uhrzeit an jedem ersten Mittwoch eines Monats. Solche Stammtische gibt es viele in Deutschland. Die Idee: Lieber hier drinnen miteinander reden, als sich da draußen am Seitenstreifen anschnauzen.

Müller sitzt vor zehn Männern und einer Frau. Alle leger bis sportlich gekleidet, dick, dünn, groß, klein, zwischen Mitte 30 und Mitte 60. Keine Krawatten, aber auch keine Cowboy-Hüte. Müller ist mit allen gleich per Du. Die Teilnehmer dürfen sich nicht eingeschüchtert fühlen, sie sollen den Beamten als Experten, vielleicht als Verbündeten sehen. Frei sprechen, offen fragen. Müller will an solchen Abenden nicht wissen, was die Fahrer auf der Ladefläche haben; er will wissen, was sie auf dem Herzen haben.

"Früher waren wir eine eingeschworene Gemeinde. Heute sind wir auf der Straße umgeben von brutalen Fahrern."

Zum Aufwärmen werden Themen behandelt, die Müller als "Klassiker" bezeichnet. Diskutiert werden Straßenschäden sowie die Tücken des digitalen Kontrollgeräts. Diese Blackbox zeichnet jede Bewegung des Lkws auf, Vergehen können nach 28 Tagen noch geahndet werden; vor allem aber speichert sie alle Nicht-Bewegungen. Nichts scheint in diesem mobilen Geschäft so ehrgeizig geregelt zu sein wie die Immobilität der Fahrer: Zweimal pro Woche dürfen sie maximal zehn Stunden am Tag am Steuer sitzen, an den restlichen Tagen neun; alle 4,5 Stunden müssen sie 45 Minuten Pause machen; die Ruhezeit beträgt elf Stunden. In kaum einer anderen Branche müssen sich die Arbeiter so beflissen darum bemühen, nicht zu arbeiten.

Dem Pkw-Fahrer ermöglicht sich beim Stammtisch der Blick in eine andere Welt, so nah und doch so fern. Zwei Meter Luftlinie nur trennen Kleinwagen- und Brummifahrer auf der Straße, dieselbe Strecke, dasselbe Ziel, und doch ist der Graben riesig. Man trifft die Trucker vielleicht am kleinsten gemeinsamen Nenner, der Raststätte, die für die einen ein Stück Heimat und für die anderen eine ewig fremde Durchgangsstation ist. Aber die Fernfahrer, die mit einem kurzen Schlenker jedes Auto zermalmen könnten, bleiben für das fahrende Volk doch unbekannte Größen. Trotz der Namensschilder am Armaturenbrett.

Der Stammtisch klagt nun über doppelten Zeitdruck: Die Polizei mahne zur sicheren Gemütlichkeit, der Auftraggeber immer öfter zur Eile. "Die Just-in-time-Lagerhaltung findet heutzutage ja auf der Straße statt. Und bei Paketdiensten zählt jede Minute", sagt einer. Das Gespräch über den Pausenzwang führt direkt zum nächsten Aufreger: zu den chronisch vollen Parkplätze an den Autobahnen. Belegt seien die von Lastwagen aus dem Ausland, sagt einer. Jetzt fällt wieder das Wort Krieg.

"Früher waren wir eine eingeschworene Gemeinde. Heute sind wir umgeben von brutalen Fahrern", sagt Werner. Wenn er einen Platten habe, helfe ihm niemand. Wenn er einen Lastwagen überhole, gehe dessen Fahrer keine Sekunde mehr vom Gas, "das gibt ein Elefantenrennen über zehn Kilometer". Früher habe man sich über Funk unterhalten, heute kämpfe jeder für sich. Überall Druck, Druck, Druck.

Angefangen mit der Rücksichtslosigkeit hätten in den Neunzigern die Polen und die Russen, sagt einer. Noch heute rühme sich manch Ausländer damit, 17 oder 18 Stunden am Stück zu fahren. Müller wird nun gefragt, warum ausländische Fahrer seltener kontrolliert würden. Schließlich würden sie selbst in Tschechien ständig herausgezogen und wegen jeder landesspezifischen Kleinigkeit belangt (es schließt sich ein kurzer Dialog unter Wutfahrern an: "Warum sind wir denn in der EU, wenn jedes Land seine eigenen Gesetze macht" - "Damit die anderen unser Geld kriegen!"). Der Polizist gibt zu: "Es kann schon mal vorkommen, dass Kollegen bei ausländischen Fahrern zögern. Weil sie ihre Sprache nicht sprechen und den erhöhten Schreibaufwand fürchten." Müller schafft jetzt Vertrauen, ehrlich fährt am längsten. Er kennt sich aus, mehr als 2500 Fernfahrer hat der Hauptkommissar begrüßt, seit er 1999 diese Abende zu leiten begann.

Draußen biegen immer mehr Maschinen in den Parkplatz ein. 560 PS, fünf Achsen, sechs Zylinder, 40 Tonnen Gewicht. Nebenan füllt sich der Hauptraum mit ihren Fahrern. Etwa zwei Dutzend sind da, die meisten sitzen für sich vorm Bier, ins Handy starrend. Die Spielautomaten sind alle in Beschlag, und weil im Klo auch noch ein Travelpussy-Automat hängt, verfestigt sich der Eindruck vom einsamen Fernfahrerwolf. Danach gefragt, erzählt Werner von der Strecke zwischen Wolfsburg und Bremen, wo die vielen Wohnwagen der Prostituierte stünden. Für ihn sei das nix. "Ich habe Frau und Kinder. Eine gute Frau, die hält das aus, ich bin ja viel unterwegs. Aber das gibt es nicht oft. Die meisten der Kollegen sind geschieden", sagt Werner. Vielleicht ist es diese Einsamkeit, die viele Junge heute abschreckt. Liest man sich ein in die Arbeitsmarktanalysen, ist jedenfalls von den romantischen Trucker-Motiven - als King of the Road die Welt bereisen, frei und unabhängig - nicht mehr viel übrig. Das Exotischste, was der einstige Abenteuerberuf noch zu bieten hat, scheint das c im Erotic-Markt zu sein. Reich wird man auch nicht, die Branche steckt vor allem in Ostdeutschland in der Mindestlohn-Debatte. Und weil die Fahrer sich kaum in Gewerkschaften organisieren, sind Streiks wie bei der Bahn keine Lösung.

Bei einer Umfrage vor ein paar Jahren, welchen Beruf man auf keinen Fall ausüben wollen würde, belegte "Fernfahrer" den dritten Platz (hinter Politikern und Versicherungsvermittlern). Mehr als eine halbe Million Berufskraftfahrer gibt es in Deutschland insgesamt, bei den Brummifahrern unter ihnen beträgt das Durchschnittsalter laut "Zukunftsstudie Fernfahrer" bedrohliche 47 Jahre; 40 Prozent von ihnen gingen bis 2024 in den Ruhestand, und Nachwuchs sei kaum in Sicht. Das Image des Berufs sei zu schlecht.

Und auch im Autohof Berg wird immer klarer, was die Fernfahrer am ärgsten quält. Die Arbeitszeiten, die Technik, die Konkurrentenkollegen, die Ausländer, die Polizei, die Chefs, die Politiker, sie alle behindern die Krieger. Doch der wahre Gegner in diesem Kampf um Anerkennung ist die Gesellschaft, die immer höhere Ansprüche an die Transportbranche stellt und doch immer weniger Wertschätzung zeigt für die Transporteure; die Gegner sind jene Leute, die da unten in ihren Autos sitzen und doch herabsehen auf die Fahrer dort oben. Die fühlen sich nicht einsam, die fühlen sich allein gelassen.

"Ich habe auch Gefühle", bricht es aus einem Teilnehmer in Kapuzenpulli heraus. Ob im Fernsehen, in der Freizeit oder im Job, überall werde er als Mensch zweiter Klasse behandelt. Nicht als einer, der auf der Straße Verantwortung trage, sondern als Gefahrenquelle. Die anderen nicken. Die Respektlosigkeit zeige sich täglich auf der Straße, sagt einer: Die Autofahrer zögen nach dem Überholen viel zu knapp vor dem Lkw in dessen Spur. Gefährlich sei das, sagt er, "den nächsten schieß' ich ab." Müller beruhigt die Runde.

Nach drei Stunden geht der Abend zu Ende, die Fahrer zahlen und verschwinden nach draußen und in ihre Schlafkabinen. Auf einem der Lkw steht: "Ohne mich wäre die Autobahn schön leer. Genau wie Ihr Kühlschrank." Müller steigt zufrieden ins Auto. Die Fernfahrer aber sind müde.

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