Spreebogen:Nachruf auf die Snack Box

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Wenn ein Mann seinen Dienst tut, hat er Belohnungen verdient. Sie liegen in einem Karton und bergen Süßes. Aber alles im Leben endet.

Von Nico Fried

Neulich habe ich so einen wirklich dramatischen Moment erlebt, auf den ich in meinem Arbeitsleben gut verzichten könnte. Es geschah nach einer meiner stündlichen Inspektionstouren durch die Flure der Parlamentsredaktion, bei der ich alle anwesenden Kolleginnen und Kollegen sehr zu meiner Zufriedenheit intensiv in ihr Tagwerk vertieft angetroffen hatte. Nun wollte ich mich dafür belohnen, dass ich meinen Laden so gut im Griff habe. Also betrat ich die Küche, vor meinem geistigen Auge schon einen leckeren Schokoriegel aus der Verpackung schälend, als mich fast der Schlag traf: Die Snack Box war weg.

Die Snack Box war eine Kiste von der Grundfläche einer Pizzapappe, aber so hoch wie ein Schuhkarton, und sie war stets vollgestopft mit Schokolade, Gummibärchen, Karamell, Krokant, Lakritz. Außerdem gab es Erdnüsschen und getrocknete Brezn, für den Fall, dass man nach zu viel Süßigkeiten doch wieder Lust auf etwas Salziges bekam. Es gab einen Schlitz, in den man das Geld hineinwarf, wobei ich mich in der Regel darauf verließ, dass meine Untergebenen, im Bemühen, ihren Chef bei guter Laune zu halten, stets ein paar Münzen extra einwerfen würden. Alle paar Wochen kam ein Lieferant, holte die leere Box ab und stellte eine volle wieder hin.

Die Snack Box war aber noch viel mehr. Zum Beispiel während der endlosen Sondierungen und Verhandlungen bis zur Koalitionsbildung 2013, wo man nächtelang bis zum Redaktionsschluss bleiben musste, obwohl klar war, dass die Gespräche erst danach fertig würden. An diesen einsamen Abenden bot die Snack Box dem von Frau und Kindern getrennten Redakteur Trost in Form von Weingummi und Kaubonbons. Ohne Aufpreis lieh sie mir auch ein Ohr und hörte sich widerspruchslos politische Analysen an, zum Beispiel mein Lamento, dass sich die Grünen am Ende doch sowieso nicht trauen würden, mit Merkel zu regieren. Wenn der Snack Box meine Ausführungen gefielen, was sehr häufig geschah, winkte sie zur Belohnung mit einem kleinen, schokoummantelten Cerealienriegel, was ich sehr umsichtig fand, weil ich so nicht nur naschte, sondern mich mit den Ballaststoffen auch noch gesund ernährte. In diesen Nächten ist mir die Snack Box quasi als Mensch ans Herz gewachsen und ihr Inhalt ein bisschen weiter unten dran.

Der Abschied von der Snack Box begann, als einzelne Kollegen den Ärger über ihre eigene Disziplinlosigkeit und Charakterschwäche an der armen Kiste ausließen. Wenn das Zeug da rumstehe, könne man ja nie Nein sagen, es sei einfach zu verführerisch, im Vorbeigehen hineinzugreifen, hieß es plötzlich. Wie ich es bei anderen Chefs gelernt hatte, tat ich so, als nähme ich die Sorgen meiner Leute ernst, erstellte ein Meinungsbild - Mehrheit für Abschaffung der Snack Box - heuchelte die Bereitschaft, mich dem demokratischen Votum zu stellen, und ließ en passant in meinem Sekretariat einen Halbsatz fallen, der allenfalls so gemeint war, dass man mal eine Prüfung veranlassen könnte, unter welchen Umständen die Kiste eventuell abzubestellen wäre. Kurz darauf war sie abbestellt.

Es hat nicht nur Vorteile, wenn man seinen Laden so im Griff hat wie ich.

© SZ vom 17.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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