Spreebogen:Elfmeter verpennt

Fried, Nico

Nico Fried war von Angela Merkels Entscheidung völlig überrascht. Noch wenige Tage vorher hatte er geschrieben, dass sie auf dem Parteitag wieder kandidieren werde. Fried, Jahrgang 1966, leitet trotzdem einstweilen noch das SZ-Parlamentsbüro.

Wenn ein politischer Journalist als Reporter ins Fußballstadion geht, tut er das aus Neigung und mit einem gewissen Appetit. Aber das ist gefährlich.

Von Nico Fried

Neulich war ich zur Berichterstattung über ein Fußballspiel im Berliner Olympiastadion. Ich sprang für einen verhinderten Kollegen ein. Hertha BSC traf auf den 1. FC Köln. Das Spiel endete 0:0, die Begegnung war für den Sportreporter so unterhaltsam wie für den Politikjournalisten ein Interview mit Frank-Walter Steinmeier. Aber im Presseraum gab's Penne alla Bolognese.

Eigentlich wollte ich immer Fußballreporter werden. In meiner Kindheit las ich nur den Sportteil der Zeitung. Meine Eltern lasen die Politikseiten und meine Mutter außerdem noch die Glossen im SZ-Lokalteil von Hansjürgen Jendral. Am meisten liebte sie eine, die vom verzweifelten Versuch handelte, einen Tetrapak zu öffnen. Diese Glosse konnte ich damals fast auswendig, weil meine Mutter sie immer wieder neuen Leuten vorgelesen hat.

Um meine sportjournalistische Laufbahn zu fördern, gab ich in jungen Jahren eine eigene Zeitung heraus. In Anlehnung an unsere Ulmer Lokalzeitung Südwestpresse nannte ich sie Südwestpressele. Sie erschien alle zwei Monate, hatte acht DIN-A4-Seiten und wurde zu 50 Pfennig das Stück unter Nachbarn und Bekannten meiner Eltern vertrieben. Auf sieben Seiten berichtete ich über die Fußballspiele des SSV Ulm. Die letzte Seite füllte ich mit lokalen Ereignissen.

Nach den ersten Ausgaben schrieb mir ein Leser, die Zeitung sei ihm ein wenig zu sportlastig. Also erweiterte ich sie um einen Kulturteil. Mein ehemaliger Büroleiter, der heute mein Chefredakteur ist und gelegentlich über Leonard Cohen schreibt, hat ja keine Ahnung, dass ich wahrscheinlich schon vor ihm über Cohen berichtet habe. Allerdings ging ich nicht zum Konzert, sondern schrieb meine Kritik von einer Kritik in der großen Zeitung ab, eine Methode, mit der man es bis zum Verteidigungsminister bringen kann, wenn auch nicht dauerhaft.

Ich schaffte es immerhin bis zur Journalistenschule. Der heutige Sportchef der SZ sieht zwar noch jung aus, war aber damals, im vorigen Jahrhundert, schon mein Lehrer im Fach Sportberichterstattung. Daran erinnerte ich ihn jetzt, bevor er mich ins Stadion entsandte. Ich wollte ihn beruhigen. Verschwiegen habe ich ihm natürlich, dass er von dem Bericht über ein Basketballspiel, den ich an der Journalistenschule übungshalber verfasst hatte, damals nicht sonderlich begeistert war.

Nach dem 0:0 zwischen Hertha und Köln schrieb ich meinen Artikel und schickte ihn nach München. Dann fuhr ich nach Hause und hörte im Autoradio den Bericht des Kollegen vom Hörfunk über dasselbe Spiel, in dem er eine sehr umstrittene Situation im Strafraum schilderte und sagte, das sei ein klarer Elfmeter gewesen. Da geriet ich ins Schwitzen, denn diese Szene hatte ich gar nicht mitbekommen. Wie ich später feststellte, hatten die Kollegen in München aber aufgepasst und die Schilderung der Situation in meinen Bericht eingearbeitet.

Zwei Dinge habe ich mir nach diesem Erlebnis gemerkt. Erstens: Die Profis sind andere. Zweitens: Wenn ich noch mal zu einem Spiel darf, warte ich bis zur Halbzeitpause, ehe ich mir im Presseraum einen Nachschlag von den Penne mit Bolognese-Sauce hole.

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