Spreebogen:Auf dem Boulevard

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Einst verbat ihm die Mutter für die "Bild-Zeitung" zu arbeiten. Aber wer möchte nicht mal für die Boulevardpresse arbeiten? Unser Autor bringt alle Voraussetzungen mit. Fast alle.

Von Nico Fried

Neulich habe ich den Newsletter von Béla Anda abonniert. Anda ist der stellvertretende Chefredakteur der Bild-Zeitung. Ein Kollege hatte mir den Newsletter empfohlen, weil mit Andas Mail jeden Morgen die politischen Artikel der Bild geliefert würden, über die man dann gleich informiert sei. Ich zögerte ein bisschen, weil ich Anda in seiner Zeit als Regierungssprecher von Gerhard Schröder erlebt hatte und ihn seither mit vielem in Verbindung gebracht hätte, aber nicht damit, von ihm über irgendetwas informiert zu werden.

Hinzu kommt, dass ich zwar im Springer-Verlag, wo die Bild erscheint, viele gute und nette Kollegen kenne, aber trotzdem immer einen gewissen Sicherheitsabstand gewahrt habe. Meine Mutter hatte mir nämlich als Jugendlichem bei Androhung des Abbruchs der familiären Beziehungen zwei Gebote mitgegeben: kein Motorradführerschein. Nicht für Springer arbeiten. Motorrad bin ich nie gefahren. Das andere war manchmal ganz schön knapp.

Vor vielen Jahren, noch im vergangenen Jahrtausend, hatte ich zum Beispiel ein Vorstellungsgespräch bei Mathias Döpfner. Damals war er noch Chefredakteur der Hamburger Morgenpost. Wir redeten über dies und das, und schließlich fragte er mich nach meiner Haltung zum Bau einer Magnetschwebebahn von Hamburg nach Berlin. Weil ich nicht wusste, welche Meinung er hören wollte, wägte ich einige Argumente hin und her, was natürlich ein Fehler war, weil ich mich ja nicht bei der Zeit bewarb, sondern bei einem Boulevardblatt. Von da an gingen wir getrennte Wege. Döpfner wechselte zu Springer und hat auch ohne mich eine ordentliche Karriere gemacht, wobei er es mit mir vielleicht noch weiter gebracht hätte, wie man an meinem ehemaligen Büroleiter sieht, der heute sogar Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung ist.

Noch während des Studiums in Hamburg wurde ich meiner wirklich fantastisch sonoren Stimme wegen für einen äußerst lukrativen Job empfohlen: Ich sollte vertretungsweise die täglichen Fernseh-Werbespots für die Bild sprechen. Zu Probeaufnahmen fuhr ich in ein Tonstudio und las das wichtigste Thema des nächsten Tages vor - irgendwas mit Uschi Glas - und dann den damaligen Werbeslogan: Bild' Dir Deine Meinung. Der Produzent war aber noch nicht zufrieden. Ich musste es nochmal sagen. Und nochmal. Und nochmal. Stundenlang. An diesem Tag habe ich wahrscheinlich öfter diesen Werbeslogan aufgesagt als Anda und Döpfner zusammen in ihrem ganzen Leben. Aber der Produzent war nie zufrieden. Ich nuschelte zu sehr. Am Ende war meine Stimme weg. Und der Job auch.

In meiner ersten Stelle hatte ich dann einen stellvertretenden Chefredakteur, der vorher bei Bild war. Damals führte ich ein Interview mit einer amerikanischen Reporterin, die in Texas über Hinrichtungen berichtete, oder fuhr als Reporter zum Lawinenunglück im österreichischen Galtür. Mein Vize-Chefredakteur war sehr angetan und rief immer wieder: Sie sind ein Mann des Boulevards!

Statt dessen bin ich jetzt seit 15 Jahren bei der SZ. Auch, weil ich bis heute nicht weiß, ob ich für oder gegen den Bau einer Magnetschwebebahn sein soll.

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