Sport für Mütter:Kanga ballaballa

Kangatraining

Je schwerer das Baby, desto intensiver das Work-out: Mütter beim Kanga-Kurs, in dem das Kind in die Übungen eingebaut wird.

(Foto: Jens Kalaene/dpa)

Mutter-Kind-Sport soll Mamis schlank und Babys schlau machen. Macht er denn auch Spaß? Sorry, aber die Frage kann man ja mal stellen.

Von Tanja Rest

Vor zwei Jahren brach über die Biathletin Magdalena Neuner ein Shitstorm herein, wobei man der Genauigkeit halber unverzüglich drei Ausrufezeichen setzen muss. Magdalena Neuner! Unsere Gold-Lena! Shitstorm! Was war geschehen? Nun, die Bunte hatte sie beim Langlaufen erwischt.

Das wäre noch nicht unbedingt der Rede wert gewesen, hätte Neuner nicht einen Anhänger hinter sich hergezogen, in dem sich "Töchterchen Verena, sieben Monate", befand. Die Bunte, im Leistungssport stets vorne mit dabei, fragte besorgt: "Ist die Loipe der richtige Ort für einen Säugling? Schließlich geht es dort in der Regel tüchtig bergauf und bergab." Und titelte erbarmungslos: "Treibt sie es mit dem Ehrgeiz zu weit?"

Wer jetzt argwöhnt, unsere Gold-Lena habe neben dem Verena-Anhänger noch ihr Gewehr umgeschnallt gehabt: Nee, hatte sie nicht. Das Netz stormte trotzdem, und zwar so tüchtig, dass Neuner via Facebook Abbitte leisten musste. Es war einer jener Momente, in denen man dankbar dafür war, an Weltcup und Olympiagold immer knapp vorbeidilettiert zu haben. Hätte die Bunte spitzgekriegt, dass man Söhnchen N., sieben Wochen (!), im frostigsten Februar auf eine Voralpenhütte getragen und mit dem Schlitten zu Tal befördert hatte: Was wäre da los gewesen?

Aber Mütter hassen sie dafür

Drei Monate nach dem Neuner-Vorfall flatterte eine Einladung in die Redaktion: Monica Ivancan würde in München aus ihrem Buch vorlesen. Zu Monica Ivancan fielen einem genau zwei Worte ein: Bachelorette und RTL 2. Erstaunlicherweise hatte sie laut Verlag inzwischen die Fitnesstrainer-B-Lizenz erworben und eine Ausbildung zur Ernährungsberaterin absolviert - "der Startschuss für ihre erfolgreichen Detox-Wochen im Europapark Rust". Man war beeindruckt. Der Titel des Buches lautete: "What a Mommy! So bleiben Mütter fit und sexy". Beim Durchblättern kristallisierte sich der Eindruck heraus, dass die Ivancan-Methode mit dem Neuner-Ansatz nicht identisch war.

Kollegen haben vorgeschlagen, diesen Artikel mit Heidi Klum zu bebildern. Heidi Klum ist eine sogenannte deutsche Model-Mutti, die einmal die Frechheit besessen hat, sieben Wochen nach der Geburt bauchfrei über einen Victoria's-Secret-Runway zu laufen. Die Bunte war ganz Anbetung, aber Mütter hassen sie dafür. Das Gleiche in intellektuell führte Frankreichs Justizministerin Rachida Dati vor, als sie 2009 fünf Tage nach dem Kaiserschnitt im tadellos sitzenden Chanel-Kostüm an ihrem Arbeitsplatz erschien und damit den Feminismus für immer entzweite.

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Frankreichs frühere Justizministerin Rachida Dati am 7. Januar 2009 - fünf Tage nach ihrem Kaiserschnitt.

(Foto: AFP)

Eine Geburt ist bestenfalls ein glückliches Massaker

Um solche Figur-Streberinnen geht es hier aber explizit nicht. Eine Geburt ist bestenfalls ein glückliches Massaker, ausnahmslos alle Frauen schauen hinterher in den Spiegel, erkennen sich nicht wieder und wünschen sich ihren Körper zurück. Einigen gelingt das früher, anderen später, manchen nie. So fies ist das Leben. Sport kann aber in jedem Fall nicht schaden. Und darum geht es: Egoistischer oder integrativer Sport? Schlafende Verena im Anhänger oder besser "Action mit Baby" in den Übungsvarianten "Lustiger Lift" und "Bussi-Beuge"? Neuner oder Ivancan?

Und nun muss man einräumen, dass das Pendel seither glasklar zugunsten der "Bussi-Beuge" ausgeschlagen hat.

Zum Beispiel gibt es heute ein Gerät namens "Longboard Stroller", es sieht aus, als habe ein Skateboard mit einem Kinderwagen Sex gehabt, und wird mit Turnschuh-Mamis bebildert, die ihr Baby elastisch vor sich hertreten. Der Longboard Stroller ist die Hipster-Variante der Disziplin "Outdoor-Workout mit Kinderwagen", die bundesweit etwa von Laufmamalauf angeboten wird. Was natürlich schon rein sprachlich nicht geht. "Na, ihr Mäuse, was habt ihr heute Nettes gemacht?" - "Wir waren bei Laufmamalauf, Schatz!"

Das heißt dann "Kanga" und boomt auch

Ein Kinderwagen-Work-out funktioniert so, dass man die Beckenbodengymnastik auf die "Park" genannte Kiezwiese verlagert, an der Bugaboo-Stange Ausfallschritte macht, zwischendurch den heulenden Maximilian stillt oder die brüllende Marie besänftigt und dabei ganz viele Mütter kennenlernt, die das auch für eine feine Sache halten. Die Indoor-Version des Kinderwagen-Work-outs wiederum sieht so aus, dass man die Beckenbodengymnastik im müffeligen Souterrain belässt und nicht mit dem Kinderwagen, sondern mit dem Baby kombiniert. Marie und Maximilian werden hierbei zu Beingewichten und glucksenden Hanteln, die es lustig in die Höhe zu stemmen gilt. Das heißt dann "Kanga" und boomt auch.

Alle diese Angebote basieren auf der Annahme, dass es Mutter und Kind nicht zuzumuten ist, zwei Stunden pro Woche getrennt zu sein. Die Autorin legt Wert auf die Feststellung, dass man das natürlich so sehen kann. Der gesunde Menschenverstand aber macht an der Bugaboo-Stange einen mentalen Ausfallschritt und überlegt sich Folgendes: Ist es nicht so, dass Mütter quasi permanent mit ihrem Baby verbandelt sind, weil sie es stillen, spazieren fahren, sechsmal täglich Windeln wechseln und dreimal nachts aufstehen? Haben sie nicht geradezu ein Menschenrecht auf mindestens zwei Wochenstunden, in denen die Großeltern, der Babysitter oder vielleicht sogar DER VATER auf ihr Kind aufpassen, damit sie Sport machen können (und zwar richtig Sport), auf dass sie hinterher wieder sie selbst sind?

Das Baby soll dabei auch smart werden

Frauenärzten zufolge kann eine Frau zwei bis drei Monate nach der Geburt anfangen, halbwegs normal Sport zu treiben, wobei es nicht unbedingt Trampolinspringen sein muss, da die Bänder und Gelenke noch locker sind. Empfohlen werden so banale Dinge wie Yoga, Pilates oder Schwimmen. Wer das Kind nicht abgeben kann oder mag, könnte es auch in einem Anhänger oder Tragesitz platzieren und in Seelenruhe Fahrrad fahren, wandern oder auch langlaufen gehen. Von Kanga und Kinderwagen-Work-outs reden Frauenärzte eher selten. Obwohl es gesundheitlich unbedenklich ist. Die Autorin legt insgesamt Wert auf die Feststellung, dass sie dem Fitnessverhalten von Müttern mit Toleranz gegenübersteht. Wer sich einen flackernden Unsinn wie das Bugaboo-Gehopse also unbedingt antun will: bitte sehr.

Vielleicht ist es aber auch einfach so, dass die Industrie die helikopternden Mamis entdeckt hat und ihnen Angebote auf den postnatalen Leib schneidert, von denen sie bis dahin nicht mal ahnten, dass sie sie dringend brauchen. Und das Kind erst! Siehe den kommenden Titel "Mama & Baby topfit": 24,95 Euro kostet das Versprechen, dass nicht nur Gelenk- und Muskelsinn zurückkehren, wenn das Baby in der gleichnamigen Übung "Kopfüber auf Mamas Rücken" hängt - das Baby selbst soll dabei auch "smart" werden. Was zwei Fragen aufwirft: Für wie unsmart hält man eigentlich Mütter? Und: Ist es gesellschaftlich inakzeptabel, dass Mütter ganz egoistisch den Sport machen, den sie mögen, obwohl er ihr Kind nicht gleichzeitig in ein kognitives Ass verwandelt, das später bessere Mathe-Proben schreibt?

Aber zurück zu unserer Gold-Lena. Ihre Facebook-Antwort damals lautete: "Keine Angst, wenn ich noch einmal einen richtigen Ehrgeiz entwickeln sollte und eine Runde mit vielen Anstiegen und Abfahrten laufen möchte, darf unsere Kleine auch mal bei der Oma bleiben." Die Bunte und der "Buggy Vital"-Kurs atmeten erleichtert auf.

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