Sonnenbrillen:Geh mir aus der Sonne

3.1 Phillip Lim - Runway - Mercedes-Benz Fashion Week Spring 2014

Wer zur Avantgarde gehören will, trägt bunt-verspiegelt wie das Phillip-Lim-Model und betet für ein Wunder: dass H&M vom Trend nichts mitbekommt.

(Foto: Peter Michael Dills/Getty Images)

Man muss sie nicht bügeln, und sie passen auch ohne Diät. Sonnenbrillen sind die unkomplizierteste Form modischer Teilhabe. Bei der Frage, welches Gestell in diesem Sommer auf die Nase kommt, kann man auf Trends hören. Oder auf sich selbst. Eine Träger-Typologie.

Von Alex Bohn

Fast alle Menschen haben mindestens eine Sonnenbrille. Frauen, Kinder, Männer, sogar solche, die sich um Nebensachen wie die farbliche Koordination der Socke zum Rest-Outfit nicht kümmern. Die Sonnenbrille ist nützlich, einfach im Gebrauch (man muss sie beispielsweise nicht bügeln, und sie passt auch ohne Diät), die unkomplizierteste Form modischer Teilhabe und Distinktion.

Jahr für Jahr rufen Hersteller neue Sonnenbrillen-Trends aus, die es eigentlich gar nicht gibt. Denn Brillen werden immer noch danach ausgesucht, wie sie einem zu Gesichte stehen. Jetzt, wo die Sonne wieder hoch genug steigt, lautet die Frage also wieder: welche bloß?

Dass die Sonnenbrille die kleinstmögliche Einheit modischen Eigensinns ist, nutzt die Luxus-Industrie kräftig aus. In jeder Saison mischen Designer sie dezent in ihre Laufsteg-Präsentationen und sorgen dafür, dass das lukrative Geschäft mit den Accessoires noch etwas besser läuft. Ihre Rechnung: minimaler Materialeinsatz, riesige Gewinnspanne. Die Konsumenten rechnen anders: kleiner Geldeinsatz, große Markenwirkung. Denn ein Kleid von Dries van Noten oder einen Maßanzug von Tom Ford kann sich nicht jeder leisten. Eine Sonnenbrille schon.

Statusbewusste wählen Modelle, auf deren Bügeln das Logo in riesigen Lettern prangt. Keiner kann sich ihnen nähern, ohne zur Kenntnis nehmen zu müssen, zu welchem Fashion-Clan sie gehören wollen. Aber es muss noch nicht mal der Name zu erkennen sein. Eine untertassengroße Céline-Sonnenbrille wird schließlich genauso goutiert - zumindest von den ähnlich hippen Menschen, die sie erkennen sollen.

Zum Erfolg der Sonnenbrille als Modeaccessoire haben aber natürlich auch 50 Jahre Popkultur und Filmgeschichte beigetragen. Berühmte Sonnenbrillenträger: Cary Grant mit Tart-Arnel-Modell aus goldbraunem Schildpattrahmen in "Der unsichtbare Dritte". Oder Audrey Hepburn in "Frühstück bei Tiffany's". Ihre Brille - das Modell "Manhattan" des Briten Oliver Goldsmith - haben viele Frauen beim Kauf immer noch im Kopf. Wer möchte schließlich nicht etwas abhaben vom Charme der Holly Golightly?

Wie der Schauspieler Jack Nicholson sagte: "Wenn ich meine Sonnenbrille trage, bin ich Jack Nicholson - ohne sie bin ich einfach nur ein fetter Siebzigjähriger." Nichts weniger wird von der Sonnenbrille erwartet: dass sie uns zu einem anderen, glamouröseren Menschen macht.

Und dieses Gefühl gibt sie ja wirklich: Sie verbirgt die Augen, das Gegenüber kann keine Blicke mehr lesen, und so kommt sich der Träger plötzlich viel weniger berechenbar, also verwegener vor. Diese selbstgefühlte Undurchschaubarkeit ist natürlich ein Trugschluss. In Wahrheit nämlich verrät kein anderes Accessoire so viel über die Beweggründe eines Menschen wie das, was er auf der Nase trägt.

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