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Social Media: Auch offline zeigten sich Menschen schockiert: Blumen vor dem Olympia-Einkaufszentrum

Auch offline zeigten sich Menschen schockiert: Blumen vor dem Olympia-Einkaufszentrum

(Foto: AFP)

In der Nacht des Amoklaufs von München wollten Facebook-Freunde von unserer Autorin wissen, ob es ihr gut gehe. Jetzt fragt sie sich: Sind solche Nachrichten nur geheuchelt?

Von Carolin Gasteiger

Viele, die vergangene Freitagnacht in München waren, dürfte diese oder eine ähnlich lautende Nachricht erreicht haben: "Are you safe? Bist du in Sicherheit?" Unter all den besorgten Nachfragen von Freunden und Familie hat mich die einer Freundin aus Istanbul besonders berührt. Nicht, weil sie die erste war oder besonders empathisch geschrieben hat. Sondern weil ich vor gut einer Woche noch nachgefragt hatte, ob bei ihr alles gut sei.

Mitte Juni haben wir eine Woche zusammen auf Kreta verbracht, mit einer weiteren Freundin, die in Miami lebt, ursprünglich aber aus Cannes kommt. Wir sind auf Facebook befreundet, wie man das in dieser vernetzten Welt so macht. Und, wie das mit Leuten ist, die man auf Reisen getroffen hat, ploppt meistens dann ein Chatfenster auf, wenn der oder die andere in die eigene Stadt reist und eine Unterkunft braucht. Oder noch ein paar gemeinsame Urlaubsbilder schicken will.

In den vergangenen zehn Tagen lief das bei uns dreien ein bisschen anders ab. Und ich habe gelernt: Eine schnell verschickte Facebook-Nachricht kann banal wirken, als platte Geste. Aber sie kann auch Gefühle transportieren.

Als der Anschlag von Nizza passiert, ist die Französin, nennen wir sie Michelle, gerade bei ihrer Familie in Cannes. Auf Kreta fragte sie noch, wo wir den Sommer verbringen werden und lud uns ein, sie doch in Cannes zu besuchen. Aber dann, am Freitag vor einer Woche, ist sie auf einmal nicht mehr an der idyllischen südfranzösischen Küste, sondern keine 35 Kilometer von einem Anschlag entfernt. "Die Franzosen fühlen sich nicht mehr so stolz wie früher", hat sie erzählt. Vielleicht will sie genau aus diesem Grund an den Nationalfeiertags-Feierlichkeiten teilnehmen. Ich bin besorgt - und erst erleichtert, als auf Facebook ihr Safety Check-Post in meiner Timeline erscheint. Kurz darauf markiere ich ein Instagramfoto von ihr mit "Like". Anstatt ihr zu schreiben, impliziere ich damit, dass ich an sie denke und froh bin, dass es ihr gut geht. Was man eben mit einem kleinen Herzchen-Button vermitteln will.

Wenige Stunden später putscht in Istanbul das Militär - und ich sorge mich um die andere Freundin aus Kreta, sagen wir Elif. "Ich hoffe, es geht Dir gut", schreibe ich ihr auf Facebook und bekomme unmittelbar die Antwort: "Ich bin sicher zu Hause und werde das Haus in den nächsten paar Tagen nicht verlassen." Puh, ich atme auf. Wir tauschen noch kurz unsere Gedanken über die "verrückten Zeiten" aus, in denen wir gerade leben oder die wir zumindest als solche empfinden. Über etwas anderes unterhalten wir uns nicht. Sechs Tage später und zwei Stunden, nachdem David S. im Olympia-Einkaufszentrum um sich geschossen hat, die Stadt aber mit dem Schlimmsten rechnet und Gerüchte von Terroranschlägen kursieren, ploppt eine Facebook-Nachricht auf: "Dieses Mal frage ich dich, ob es dir gut geht", dahinter postet Elif einen weinenden Smiley.

Nizza, Istanbul, München. Man kann die Ereignisse der vergangenen zehn Tage nicht unkommentiert in eine Reihe stellen. Zu unterschiedlich waren die Ereignisse. Mal ein IS-motivierter Anschlag, mal ein Militärputsch, mal ein Amoklauf. Es ist ein denkbar unwahrscheinlicher Zufall, dass ausgerechnet jede von uns dreien in den vergangenen zehn Tagen in ihrer Heimat verunsichert und verängstigt wurde. Und doch verändert es die Kommunikation in den sozialen Medien. Statt ein "Wann kommst du mich besuchen" auf die Timeline zu posten, steht da inzwischen ein "Bist du in Sicherheit?" .

Wie könnten wir denn nicht sicher sein?

Aber wie kommen wir überhaupt darauf, dass jemand nicht sicher sein könnte? Die Wahrscheinlichkeit, Opfer eines Anschlags zu sein, ist verschwindend gering, das erklären gerade wieder viele Experten. Aus der Ferne scheint es keine Rolle zu spielen, dass Cannes wie schon gesagt mehr als 30 Kilometer südwestlich von Nizza liegt. Oder ich selbst noch nie im OEZ war.

Und doch gilt der erste Gedanke demjenigen, den man in der betreffenden Stadt kennt - im nächsten Moment postet man seine Sorge in die Welt. Womöglich ist es ganz natürlich, bei schlimmen Nachrichten aus einer Stadt zu überlegen, ob und wen man dort kennt und sich sofort zu erkundigen, ob es demjenigen gut geht. Und dank der sozialen Medien sind Solidarität und Anteilnahme nur noch wenige Klicks entfernt. Ähnlich wie bei Geburtstagswünschen auf Facebook ("Alles Gute" zu tippen dauert wenige Sekunden) kostet es weder viel Zeit noch Mühe, ein "Are you safe?" zu posten.

Mit diesem Reflex fungieren die sozialen Medien als eine Art Angstkatalysator - statt Ruhe zu bewahren, macht man seine Sorge öffentlich und versichert so sich selbst und der Welt, dass man sich kümmert. Vielleicht weil wir nicht wissen, anders mit unserer Angst umzugehen und ihr durch das Posten ein Ventil verleihen.

Man kann das als scheinheilig abtun. Nach den Anschlägen auf Charlie Hebdo posteten viele "Je suis Charlie", diesen bezeichnenden Dreiwortsatz, der inzwischen wie kaum ein anderer für die Solidarität der westlichen Welt mit Opfern von Attentaten steht. Unabhängig davon, ob man selbst französisch spricht, jemanden in Paris oder gar die Zeitschrift selbst kennt. Ein paar Klicks, schon ist das Profilbild geändert und das Mitgefühl ausgedrückt. Aber "Je suis Was auch immer" hat sich als billigstes Instrument der Solidarität selbst überholt und ist mit "Je suis Böhmi" - als ginge es beim Fall Böhmermann um Gewalttaten, hallo?" - zu einer Parodie geworden. Und doch bleibt der Eindruck, jemand fühle mit.

Ähnlich wie beim Hashtag #offenetuer, unter dem Tausende in München ihre Wohnungen angeboten haben, täuscht das vorschnelle Posten einen Zustand vor, der gar nicht unbedingt so sein muss. Und über den sich derjenige, der postet, oft nur wenige Sekunden Gedanken gemacht hat. Aber ist das wirklich so schlimm? Einem Impuls nachzugeben, der von einem selbst vielleicht nicht wohl überlegt ist, der das Gegenüber aber beruhigen kann?

Mir tat der Zuspruch Freitagnacht gut. Die Tatsache, dass sich Menschen, die Tausende Kilometer entfernt gerade die Nachrichten lesen, sorgen. Umso mehr, da sie sich vor meiner eigenen Familie gemeldet haben. Später am Abend schickt ein Freund eine Sprachnachricht aus Rom, er wolle sich erkundigen, ob alles in Ordnung sei. Wow, sogar Nachrichten aus Rom! Ist Anteilnahme weniger wert, nur weil sie inzwischen mit wenigen Klicks geäußert werden kann? Man ist ja trotzdem füreinander da, wenn auch nur virtuell und für wenige Sekunden.

Selbst wenn die Anteilnahme auf Facebook aus reinem Klickreflex passiert - bedenklich wird es doch erst, wenn diese Sätze die einzigen bleiben, die man sich über Tausende Kilometer Entfernung schickt. Wenn ein schlichtes "Are you safe?" alles ist, was man voneinander hört und daran keine weiteren Worte, Briefe oder Taten anschließen. Michelle, Elif und ich haben uns seit Freitag nicht mehr geschrieben.

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