Skandale ums Ei:Ei in der Krise

Eier-Skandal weitet sich aus

Die launigen Grotesken rund um die Eier sind einer Realsatire gewichen.

(Foto: dpa)

So ein Ei ist eine tolle Erfindung. Lange Zeit war es auch gut für Witze aller Art. Doch heute hat es entweder Salmonellen oder zwangsentlaust dank Fipronil ganz Deutschland.

Von Hans von der Hagen

Es war um 2007 herum, als die Deutschen noch einmal über das Ei lachen konnten: Das Satiriker-Duo Stermann & Grissemann fragte beim "Deutschen Telefon-Quiz", wie das Produkt der deutschen Henne heiße. Es war eine Folge ihrer Nazi-Parodien, die noch auf Youtube zu finden sind.

Die beiden Lösungsbuchstaben wurden - "wild durcheinander gewirbelt" - auf eine Tafel im Hintergrund geschrieben. Trotzdem scheiterten die Anrufer reihenweise. Mit dem "IE"-Gestammel ließ sich die "Überlegenheit des deutschen Geistes" beim besten Willen nicht demonstrieren. Jahre zuvor hatte Loriot es geschafft, die Frage nach dem Härtegrad eines Eis am Frühstückstisch so gekonnt in Mordphantasien münden zu lassen, dass eine ganze Generation die Szenen einer Ehe frei rezitieren kann.

Das Ei eignet sich prächtig für Dramen aller Art, weil es geschlossen ist. Ist ja auch irre: Keine Naht, kein Schloss - nie zuvor wurde es geöffnet, trotzdem ist etwas drin.

Fröhliche Kumpanei zwischen Deutschen und Eiern ist vorbei

Gerade in Deutschland, der Hochburg exakter Verrichtungen, ist die Unsichtbarkeit des Inneren schwer zu verkraften. Vor allem bei scheinbar so einfachen Vorgängen wie dem Kochen. Das Äußere des Eis gibt keine Antworten auf die entscheidenden Fragen: Ist das Ei noch gut oder schon schlecht? Ist es schon hart? Wird es in der Hitze des Wassers springen? So viele Behelfe wurden ersonnen: stechen, drehen, wässern, abschrecken - doch allzu oft muss der Mensch mit Loriot bekennen: "Ich weiß es nicht, ich bin kein Huhn."

Mittlerweile ist die fröhliche Kumpanei zwischen Deutschen und Eiern allerdings vorbei. Die harmlosen Fragen sind vielen ernsten gewichen - vor allem in den vergangenen Jahren. Was ist wirklich drin im Ei? Die Undurchschaubarkeit ist bedrohlich geworden.

Wie brach sich die Entfremdung Bahn? In den Siebzigerjahren klärte der Direktor des Frankfurter Zoos und Tierfilmer Bernhard Grzimek die Deutschen über die "grauenvolle Tierquälerei" auf, die in den Legebatterien stattfand. In den Achtzigern ging es ums Flüssig-Ei: Ein niederländischer Großhändler lieferte "mit Hühnerkot und Kükenembryos durchsetze Eierbrühe" nach Deutschland, die dann "in Nudelteig und Eierlikör, in Wurst, Speiseeis und Babynahrung vermanscht" wurde, wie der Spiegel 1985 schrieb.

Die Industrie zog alle Register, um die erstmals im großen Stil aufkeimende Angst vor Ei und Nudel vergessen zu machen: Eier, die einige Tage lang bebrütet worden waren, seien gesund, potenzfördernd gar, beschwichtigte die Branche. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg waren diese Trephon-Eier schon mal als "Geheimnis der ewigen Jugend" beworben worden. Mit ihren embryonalen Säften sollten sie gegen viele Plagen von Kahlköpfigkeit bis hin zu Krebs helfen. Freilich hatten einige Behörden bereits damals kühl durchgesetzt, dass die mit dem Zusatz "Kur" vermarkteten Eier keine Arzneien seien, dafür einen Stempel mit der Aufschrift "Verdorben im Sinne des Nahrungsmittelgesetzes" tragen müssten.

Noch weiter verunsichert wurden die Verbraucher in den neunziger Jahren. "Tödliche Eier", titelte der Spiegel. Von jährlich "200 Toten und zwei Millionen Erkrankten" war die Rede. Es ging um die Salmonelle, die in jener Zeit meist noch für eine Fischart gehalten wurde. Unsichtbar sollte sie auf der Schale hocken. Im schlimmsten Fall innen drin. Die Mikrobe wurde zum großen Spielverderber einer Küche, die gerne auf rohe Eier setzte: Eischnee mit Johannisbeeren? Mousse au Chocolat? Lass mal lieber!

Ei als Gewissenfrage

Und gerade als man dachte, durch Verzicht auf frische Mayonnaise und drei Tage altes Tiramisu alles richtig zu machen, ging es weiter: Dioxin im Ei, Massentierhaltung, totes Federvieh, blutende Leiber, geschredderte Küken. Und jetzt das Läusemittel Fipronil, womit die Deutschen gewöhnlich nur ihre nicht zum Verzehr bestimmten Haustiere traktieren.

Die launigen Grotesken über das Ei sind einer Realsatire im Supermarkt gewichen. Dort reihen sich bisweilen die Eierschachteln über mehrere Meter. Sie haben hübsche Bilder, tragen Mindesthaltbarkeitsdaten und Kühlvorschriften. Manche kommen aus der Gegend, andere tun nur so. Einige haben scheinbar so viele Omega-3-Fettsäuren wie sonst nur Fische. Dazu die Wahl zwischen Käfighaltung, Bodenhaltung, Freiland- oder Biohaltung. Manchmal gibt es ein Plus an Schnuten-Wohl obendrein: Der Schnabel bleibt ungekürzt.

Lange Minuten bringen manche nun an diesem Regal zu: Packungen lesen, Nummern prüfen und natürlich einen Blick auf die Unversehrtheit der Schale werfen. Trotz der großen Auswahl werden die früheren Konsumspitzen vorerst nicht mehr erreicht. Anfang der achtziger Jahre verzehrten die Deutschen pro Kopf etwa 285 Eier im Jahr. Heute sind es nur noch 235.

2011, mitten im Dioxin-Skandal, gab es übrigens nochmal einen Versuch, Scherze auf Kosten des Eis zu machen. Harald Schmidt schickte Jan Böhmermann auf eine "schockierende Reportage" um festzustellen, wie es um das deutsche Ei steht - seien doch bislang nur Bausätze oder Sammelfiguren in deutschen Eiern, dem Trüffel des kleinen Mannes, zu finden gewesen. Aber jetzt: Gift. "Müssen wir nun alle sterben?", fragt Böhmermann. "Ja, ja", sagt eine ältere Frau. "Es ist überall Ei drin."

Jetzt, wo die Eier ganz Deutschland zwangsentlausen, könnte er die gleiche Frage noch einmal stellen. Aber lustig ist das eben nicht mehr.

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