Skandal um US-Schauspieler:Die öffentliche Kernschmelze des Charlie Sheen

Sein Privatleben implodiert und in Talkshows faselt Charlie Sheen wirres Zeug. Vor den Augen des geifernden Boulevards demontiert sich der bestbezahlte US-Seriendarsteller selbst.

Jörg Häntzschel

Die öffentliche Selbstzerstörung ist die Königsdisziplin des Boulevards. So unwiderstehlich ist das Spektakel durchdrehender, dann Buße tuender und wieder rückfällig werdender Prominenter, dass man im amerikanischen Fernsehen sogar eine Reality-Show daraus machte: Celebrity Rehab.

Charlie Sheen sieht sich als Gewinner

Zelebriert seinen Niedergang öffentlich: Charlie Sheen

(Foto: Reuters)

Doch einen Medienorkan, wie ihn diese Woche Charlie Sheen ausgelöst hat, hat man seit Britney Spears' letzten Eskapaden nicht mehr erlebt. Seit der 45-jährige Star der Erfolgscomedy Two and a Half Men, der mit einem Honorar von 1,8 Millionen Dollar pro Folge Amerikas bestbezahlter Fernsehschauspieler ist, von seinem Produzenten gefeuert wurde, gab es für ihn kein Halten mehr. Durch täglich bis zu zehn Talkshows hastete er diese Woche, schwitzend, unrasiert, Zigaretten rauchend, wild mit den Armen herumfuchtelnd - und beschenkte die Sender dabei mit Stoff, den man mit Geld nicht bezahlen könnte.

"Ich bin auf Drogen. Die Droge heißt Charlie Sheen"

"Ich habe ein 10.000 Jahre altes Hirn und den Rotz eines Siebenjährigen. So würde ich mich beschreiben", verkündete er auf CNN. "Ich habe es satt so zu tun, als sei ich kein verdammter Rockstar vom Mars. Die Leute verstehen mich nicht. ... Mit einem normalen Hirn kann man mich nicht verstehen", erklärte er in der Today Show. Und bei 20/20 meinte er: "Ich bin auf Drogen. Die Droge heißt Charlie Sheen. Man kann sie nicht kaufen. Wenn Sie sie probieren, sterben Sie. Ihr Gesicht wird schmelzen, und Ihre Kinder werden über Ihrem explodierten Körper weinen."

Für Gewaltausbrüche, Drogen- und Frauendramen ist der Sohn des weitaus angeseheneren Schauspielers Martin Sheen (Apocalypse Now) berüchtigt, seit er 1990 seiner damaligen Verlobten Kelly Preston versehentlich in den Arm schoss. Doch mit seiner jüngsten Episode hat er sich selbst um Längen geschlagen.

"Tigerblut" und "Adonis-DNS"

Alles begann, als er Ende Januar mit starken Magenschmerzen ins Krankenhaus eingeliefert wurde und die x-te Entziehungskur antrat. Die Crew erwartete arbeitslos die Rückkehr ihres Hauptdarstellers. Doch Sheen zeigte sich wenig dankbar für die Geduld: Chuck Lorre, den Produzenten und Autor von Two and a Half Men nannte er in einem Radiointerview einen "Scharlatan", der seinen Job nicht mache. Sheen habe dessen "Blechbüchsen in Gold verwandelt".

Als der Sender die Serie daraufhin umgehend absetzte, trat Sheen mit einem blumigen "offenen Brief" nach: Lorre, diese "kontaminierte kleine Made", könne ihm nicht das Wasser reichen, schrieb er. "Ich wünsche ihm nichts als Schmerzen." Tage später verlangte er eine Gehaltserhöhung auf drei Millionen Dollar pro Folge. Es war der Auftakt zur "Tigerblood Tour 2011", wie die Klatsch- und Promi-Websites Sheens Talkshow-Hopping feixend nennen, seit er vor laufender Kamera von seinem "Tigerblut" und seiner "Adonis-DNS" faselte.

Manchem Journalisten wird bereits etwas mulmig

Weil gleichzeitig auch sein Privatleben implodierte, erhielt das Drama täglich neuen Stoff. Zuletzt lebte Sheen mit der Pornodarstellerin Rachel Oberlin und der Ex-Krankenschwester Natalie Kenly zusammen, seinen "Göttinnen". Die beiden 24-jährigen Blondinen kümmern sich offenbar auch um die zweijährigen Zwillinge, die Sheen mit seiner dritten Frau, Brooke Mueller, hat. Am Dienstag jedoch erwirkte Mueller eine einstweilige Verfügung und ließ die Kinder abholen. Sheen soll gedroht haben, "ihr den Kopf abzuschneiden und in einer Kiste an ihre Mutter zu schicken", meldete die für gewöhnlich gut informierte Gossip-Website TMZ.

Doch während die Sender "exklusive" Sheen-Interviews in Serie produzieren, wird manchen Journalisten bereits etwas mulmig. Wäre es nicht an der Zeit, den Mann, den nicht nur Mueller für "derzeit wahnsinnig" hält, vor sich selbst zu schützen, statt ihn bis zu einem womöglich schrecklichen Ende als unfreiwilligen Quotenclown zu verheizen?

Schon einmal, als Britney Spears die Paparazzi jeden Nachmittag zu riskanten Autojagden quer durch L. A. herausforderte, stellte sich diese Frage. Diesmal jedoch ist es ernster. "Wir können nur beten, dass Sheen nicht anfängt, Zigaretten in seinen Handflächen ausdrücken. Oder sich selbst mit einer Gabel abzustechen. Denn er würde die Kameras sicher dazubitten", kommentiert die L. A. Times.

Sheen hat inzwischen sichergestellt, dass das Publikum über den laufenden Stand seiner Kernschmelze auch ohne die Hilfe der Journalisten informiert ist. Am Dienstag eröffnete er einen Twitter-Account, 25 Stunden später hatte er bereits eine Million Follower. Das war nicht nur Weltrekord, sondern auch willkommener Anlass für eine neue Runde atemloser Berichterstattung.

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