Sinn und Unsinn:Nebulös

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(Foto: imago/Peter Widmann)

Niemand weiß, was die Zukunft bringt - außer den Hellsehern und Wahrsagern von Astro TV. 24 Stunden mit dem Esoterik-Sender im Selbstversuch.

Von Gerhard Matzig

Judith wird ihren Geldbeutel verlieren. Isabel steht am Abgrund. Edeltraud bleibt solo. Margret hat einen komischen Kerl. Das Leben kommt einem, wenn man 24 Stunden lang Astro-TV guckt, vor wie ein einziges Oberjammergau. Die Probleme sind groß. Nicht das Elend mit Griechenland oder dem Klimawandel - wohl aber die Frage, ob Verena jetzt umziehen soll? "Nein, erst zum Winteranfang." Und ist der dunkelhaarige Mann besser für Edeltraud als der andere? "Keiner von beiden." Man ist indessen nicht allein in all der Unübersichtlichkeit eines Lebens, an dem die Fliehkräfte der Gesellschaft einerseits und dunkelhaarige Männer andererseits zerren.

Es gibt jedoch auch gute Nachrichten. Zum Beispiel für Simone, 38 Jahre alt, aus München. Wenn sie ihr Pferd "Filou" behält, gegen den Willen ihres Mannes, der die Verletzungsgefahr, nun, scheut, was die Ehe belastet, wird alles gut. Auch energetisch. Aber: "Dein Mann ist ja ganz schön nervig." Sagt das Medium, sagt Brigitte. Man duzt sich im Reich der Spiritualität.

Simone, deren wirklicher Name anders lautet, ist eine kluge, gut aussehende und moderne Frau, verheiratet, drei Kinder, beruflich erfolgreich. Eine typische Esoterik-Tante ist sie nicht. Aber neugierig und offen, das schon. Und sie hat Freundinnen - es sind fast immer Freundinnen, denn der Erfolg des seit 2004 ausgestrahlten Esoterik-Programms verdankt sich einer erstaunlich großen weiblichen Nachfrage. Die Freundin sagte: "Ruf doch mal dort an." Gesagt, gewählt, gezahlt.

Die Hellseherin besitzt einen "Wunscherfüllungsverstärker"

Auf der Homepage des jüngst wieder in die Kritik geratenen Senders (Intransparenz, Lockangebote, Verharmlosung, seelische Abhängigkeit - um das Nötigste zu sagen) loggte sich Simone in der vergangenen Woche ein. Wie viele andere Frauen auch. Astro-TV verweist "auf mehr als 1 250 000 Anrufer". Zuvor hatte Simone ein Guthaben von 25 Euro freischalten lassen; dafür sprach dann, nur wenig später, Brigitte Heydemann mit ihr. Zum annoncierten Minutenpreis von 3,49 Euro aus dem Festnetz. Mit dem Handy kann es teurer werden. Heydemann, die "Hellsehen & Wahrsagen" anbietet (sie erzählt, dass sie schon als Siebenjährige "Auren erkennen" konnte), ist eigentlich Diplom-Pädagogin sowie Familien- und Paartherapeutin. Ausweislich der Astro-TV-Homepage ist sie aber auch das "einzige Medium der Welt", das einen "Wunscherfüllungsverstärker" besitzt. "Als Seherin schaut Brigitte präzise in die Zukunft." Was ist also nun mit dem Problem, das der Mann mit dem Filou, womöglich auch der Filou mit dem Mann - und Simone mit beiden hat? Wunscherfüllungsverstärkt gesagt: "Trenn dich nicht vom Pferd." Aber vom Mann auch nicht. Zwar konstruiere der aus unbewussten eigenen Ängsten eine Verletzungsgefahr für die Frau - aber trotzdem: "Er liebt dich sehr." So wird er sich mit Filou arrangieren und die Ehe bleibt erhalten. Daumen hoch, sagt das Universum, "aber, schade, liebe Simone, jetzt ist unsere Zeit um, und wir könnten noch so viel besprechen .

. ." Am liebsten, erzählt Simone lachend, hätte sie gefragt, ob man nachwerfen kann. Der Suchtfaktor gehört gewissermaßen zum Geschäftsmodell. Mit einfühlsamen Worten wird man angefixt, "erkannt", beraten - und dann: "schade". Vor einigen Jahren wurde ein Fall bekannt, in dem eine Frau für insgesamt rund 38 000 Euro mit den Astro-Beratern Gespräche führte. Das wird Simone kaum passieren, sie hat das Experiment ("spooky") wohl hinter sich . . . aber andererseits: "Jemand, der in seinem Umfeld kaum Gesprächspartner hat für die kleinen Nöte des Alltags, fühlt sich vermutlich angezogen von dieser Art der Discount-Lebensberatung."

Die Krise der Gemeinschaft dürfte einer der Gründe für den Erfolg von Astro-TV sein. Und eine zweite Krise führt ebenfalls zum Esoterik-Boom - die Krise der bislang sinnstiftenden Institutionen in der Gesellschaft. Je weniger sich die Menschen zum Beispiel in den Kirchen sagen lassen, desto eher hören sie den telegenen Heilsbotschaftern im Internet und Fernsehen zu.

Sicher: Man kann für 15 oder 25 Euro einen Instant-Rat erhalten - ob das aber auch schon eine Hilfe ist, muss der Beratene wissen; und ob das schon eine spirituelle Erkenntnis ist, werden die Spiritisten wissen. Es könnte auch sein, dass sich ein nur scheinbar teures Coaching oder eine Stunde beim Psychologen als wesentlich günstiger herausstellen würden.

Es geht im Astro-TV trotz allen spirituellen Zubehörs, trotz aller Chakren-Kerzen, Salomo-Kartendecks und Glückssteine, die man in den Pausen der Live-Beratungen erwerben kann, um simple Lebensberatung. Die Glückssteine des günstigen Lapislazuli-Colliers (89 Euro, Himalaya-Salz gratis dazu) mögen "von früheren Hochkulturen" verehrt worden sein. Heute helfen sie bei Prüfungsangst, Elektrosmog und Beziehungskummer. Wenn man fest dran glaubt, umso fester.

Nach 24 Stunden Astro-TV im Selbstversuch kann man die drei großen Fragen des Universums in etwa so eingrenzen: Liebt er mich wirklich? Kommen berufliche Veränderungen auf mich zu? Ruft sie diese Woche noch an? Nein? "Aber in den kommenden zwei Wochen." Bei Astro-TV ist man sehr präzise - und extrem schnell.

Wahrsagen aus den Innereien der Glasfaserkabel

Manchmal würde man sich wünschen, der Kfz-Mechatroniker, bei dem man das Auto abgibt, wäre ähnlich schnell mit einer brillanten Diagnose bei der Hand, wie das der Astro-Mechatroniker bei Menschen ist: Ich sehe eine schwierige Kindheit - du hast Probleme mit dem Rücken - ich weiß, dass du anhänglich bist - mit den Finanzen, das sieht ja gar nicht gut aus - Ärger mit der Liebsten? Im Fall des Autors sagt Petra Narr, die im Hauptberuf Anwaltsgehilfin war und nun nebenberuflich Medium ist: "So, Gerhard, du bist also allein?"

"Äh, nein."

"Nicht? Ich sehe in den Karten nur eine frühere Liebe. Die Trennung hat wehgetan. Das ist nicht überwunden."

"Na ja, ich bin jetzt seit 17 Jahren mit meiner Frau verhei . . . "

"Das ist hier nicht zu sehen."

"Ich bin gar nicht verheiratet?"

"Hast du vielleicht Ärger mit deiner Partnerin?"

"Also, man hat doch immer mal wieder . . . "

"Ihr müsst reden, ihr beiden."

"Reden?"

"Ja."

"Danke, Petra."

Kommunikation. Das ist die Lösung. Aber auch das Problem. 15 Prozent der Deutschen sind Esoterikanhänger. Eine Menge Kommunikation. Eine Menge Geld. Die Berliner Questico AG, die auch Astro-TV betreibt, ist mittlerweile eine der am schnellsten wachsenden Technologiefirmen Deutschlands. Hätte man sich auf der Questico-Online- Akademie spirituell weitergebildet, so könnte man der Tele-Hellseherei aus den Innereien der Glasfaserkabel weissagen: "Die Energie fließt. Ihr müsst das nur zulassen."

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