Sinn und Unsinn:Narr also

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Der Karneval ist für die einen ein Traum und für die anderen ein Trauerspiel. Wer ihn in vollen Zügen genießen will, braucht schon ein wenig Mut zur Lächerlichkeit.

Von Harald Hordych

Der Karneval ist eine ernste Angelegenheit. Zu dieser Einsicht gelangen viele Menschen, die ein paar Minuten lang eine der sogenannten Fernsehsitzungen anschauen. Zum Beispiel die vom Kölner Karneval aus der Festhalle Gürzenich, die komplett mit allen Einmärschen, Ausmärschen, jedem Alaaf gezeigt werden, und dann hören sie Witze wie diesen vom Kölsche "Knallkopp", wie eine Figur angekündigt wird.

"Isch war eben in dä Bahn einjestiege, kommt dä Kontrolleur, säht dä zu mir: Sie haben ja nur'n Kinderfahrschein. Sach ich: Da können Se mal sehn, wie lang ich auf die Bahn gewartet habe."

Tatäää! Tatäää! Tatäää!

Karneval im Fernsehen ist ungefähr so sexy wie Mitschnitte von Parteitagen

Zum Tusch werden mehr oder weniger lachende Gesichter der mehr oder weniger geglückt verkleideten Zuschauerinnen und Zuschauer eingespielt. Und die haben bei allem Willen, sich zu amüsieren, immer etwas Gequältes, Entgeistertes in den entfesselten Zügen, aus denen zu lesen ist: Kann doch nicht sein! Ich dachte schon beim letzten Witz, dass es nicht noch schlimmer kommen kann.

Doch, doch, es geht immer noch schlimmer. Auch in Düsseldorf. Das ist nicht auf Köln beschränkt. Aber macht nichts, es ist schließlich Karneval. Also immer schön locker bleiben oder, um es mit den Worten der Karnevalskritiker zu sagen: verzweiflungslocker. Angestrengt fröhlich. Verkrampft ausgelassen. Karneval, die größte Zwangsbeglückungsveranstaltung des Jahres. Made in Rhineland. Humor ist, wenn man es nicht kann, aber unbedingt lachen will. Clownsnase auf! Prost! Jetzt lach mal!

Kein Wunder, dass viele Menschen, die drei Minuten TV-Sendung hinter sich gebracht haben, in der Regel abschalten. Wenn sie nicht gerade eine gute Flasche Keller Geister Gold Extra auf dem Nachttisch stehen haben. Der Karneval ist in seiner brutalsten Form, nämlich den vorwiegend für ein alterndes Fernsehpublikum produzierten Narrensitzungen, ähnlich sexy wie Mitschnitte von Parteitagen, nur dass die wenigstens nicht lustig sein wollen - nur im Karneval präsentieren sich Politiker gerne als Spaßvögel, vor allem in Wahljahren.

Aber für Menschen mit Berührungsängsten ist dieser Anblick immer noch besser, als in eine Karnevalskneipe in der Düsseldorfer Altstadt oder in einer der Kölschen Veedel zu gehen. Mit dem Eintreten endet sofort jede Form von sozial eingeübter Distanz, jeder sieht dich an, als ob er dich seit Ewigkeiten kennt, auch wenn die Ewigkeit gerade mal einen Augenaufschlag alt ist. Nichts ist mehr dezent, alle schreien sich an, aus einer vollkommen übersteuerten, durch nichts zu belegenden Sympathie für jeden Menschen heraus. Wenn man nicht aufpasst, trinkt der Nachbar das Bier, das du in der Hand hältst, und während du überlegst, wer sich so eine bescheuerte Riesennase aufs Gesicht pflanzt, steckt die Riesennase schon in deinem Gesicht und schreit: Bützchen! Und setzt zum ultimativen Küsschen an. Klingt so irrsinnig, wie es ist. So viel Irrsinn man eben in einen Raum voller Düsseldorfer oder Kölner oder Mainzer stecken kann. Das zeigt natürlich Wirkung. In Düsseldorf oder in Köln leben heißt aber auch, dass man mit Generalverweigerern rechnen muss. Viele Leute sagen mit dramatischer Leichenmiene: Von Altweiber bis Rosenmontag muss ich aus der Stadt raus, ich ertrage das nicht. Und von Aschermittwoch an sind sie dann alle wieder da, die sauertöpfischen Karnevalsgegner und die verkaterten Dauerfeierer, die es von Donnerstagmorgen 11.11 Uhr bis Mittwochmorgen so richtig haben krachen lassen.

Ja, der Karneval ist organisierte Fröhlichkeit, an dieser Tatsache kommt niemand vorbei. Die Termine stehen seit Jahren fest, es gibt eine festgelegte Reihenfolge von Zusammenkünften und Aktivitäten, und am Aschermittwoch ist eben alles vorbei. Aber selbst schlechteste Kalauer, steife Sitzordnungen und dumpfbackigste Rituale wie der Narrhallamarsch oder der Tusch nach jeder Pointe, können dem Karneval nicht wirklich etwas anhaben. Auch seine schlimmsten Fehler sind Teil des befreienden Wahnsinns.

In München ist der Fasching kreuzbrav. Die Leute wollen einfach schön sein

Wer wirklich verstehen will, welche Kraft der Karneval hat, der braucht nicht auf den politischen Karneval in Mainz zu verweisen oder auf die mitunter rührenden Anklänge von scharfer Kritik an der Obrigkeit bei den Umzügen in Köln oder Düsseldorf. Der braucht auch nicht die aus der Geschichte herzuleitende anarchistische Kraft des Karnevals wie eine Trumpfkarte hervorzuziehen. Es genügt, sich den Fasching in München anzuschauen, um zu verstehen, welche lebensbejahende Freude die rheinische Fähigkeit mitbringen kann, sich mittels Kostüm komplett lächerlich zu machen - der zentrale Punkt des Karnevals.

In München ist das beliebteste Kostüm die Tracht. Der Bayer ("mia san mia") ruht bekanntlich in sich. Und wenn er sich verkleidet, dann zieht er sich so an, dass jeder daran erinnert wird, wo diese Ruhe herkommt, nämlich aus der Vergangenheit, aus der Natur, aus der harten, aufopferungsvollen Arbeit. Das ist aller Ehren wert, aber wer sich richtig verkleidet, sollte nicht versuchen, seine Vorzüge als Naturbursche oder Naturschönheit zu präsentieren, wie es viele gerne auf der Wiesn machen. In München ist der Fasching auf kreuzbrave Weise korrekt, weil man spürt, dass die Leute sich in richtigen Kostümen unwohl fühlen. Weil sie Angst haben, sich lächerlich zu machen. Deshalb gehen sie zum Beispiel gerne auf die Weißen Feste in einem Bierlokal zwischen Schwabing und der Maxvorstadt: Dort kann man sich auf blendende Weise jünger präsentieren, als man ist, wahlweise als sexy Krankenschwester oder als Leichtmatrose.

Wie gut, dass es im Rheinland anders funktioniert. Die Lächerlichkeit ist wie ein Reinigungsmittel von der umkämpften Selbstbehauptungswirklichkeit, mit der wir uns jeden Tag aufs Neue herumschlagen müssen. Und zwar nicht die Lächerlichkeit der anderen, die im Dschungelcamp Insekten essen und sich mit Schlamm vollschmieren. Die Lächerlichen sind wir selbst. Beim rheinischen Karneval sehen die schönsten Menschen wie die größten Trottel aus, mit ihren riesigen Ohren, den doofen Biene-Maja-Kostümen, den gelben Perücken und den Clownsschuhen so groß wie Surfbretter, im Ganzkörperbärenfell jämmerlich schwitzend, bis der Morgen graut! Schön ist anders.

Auch von der spießigen Einrichtung der royalen Führungsfigur wie dem Karnevalsprinzen sollte man sich nicht täuschen lassen. Das mögen zumeist gestandene Menschen aus der Wirtschaft sein, die dafür auch noch ordentlich Geld hinblättern müssen. Dahinter die Absicht zu wittern, berechnend nützliche Kontakte knüpfen zu wollen, ist naheliegend und sicher nicht falsch. Aber wenn der Karnevalsprinz vollkommen unangemessen zu seiner bürgerlichen Position durch den Saal hopst, in seiner Pumphose, die wie ein entzündeter Rock aussieht, den weißen Strumpfhosen und den albernen Schnallschuhen, dann ist die Selbstoptimierung für ein paar Stunden aufgehoben. Dann weiß man: Es ist Karneval.

© SZ vom 18.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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