Sinn und Unsinn:Leerstelle

Jeder ist vernetzt, wo soll da noch Platz für Einsamkeit sein? Nun will ein Autor ein verdrängtes Gefühl wieder salonfähig machen.

Von Friederike Zoe Grasshoff

Ganz allein ist er nie. Seine Gedanken sind wie Stimmen, der Atem ebbt auf und ab, jeden Tag hört er sich die immer gleichen Sätze sagen. Im Grunde sitzt der Mensch im Gefängnis - auf ewig dazu verdammt, mit sich selbst zusammen zu sein. Trotzdem entdeckt der lärmgeplagte Städter heute gerne die Offenbarungen des Alleinseins und versucht, "ganz zu sich" zu finden: Also mietet er ein paar internetfreie Quadratmeter (mit S-Bahnanbindung), klettert in 500-Euro-Jacken auf Berge (nahezu unberührte natürlich) oder sitzt mit anderen Sich-Suchenden im Handarbeitskurs (Ruhe bitte). Das arrangierte Alleinsein und Zu-sich-Kommen hat einen Lauf - und der Mensch läuft mit, solange er nicht in Verdacht gerät, dabei wirklich einmal stehen zu bleiben und als eine dieser tranig-tragischen Gestalten dazustehen, die nachts die Daunendecke umklammern und mittags allein in der Kantine ihr Formschnitzel bearbeiten. Jetzt, da jeder eine Standleitung zur Welt hat und sich ständig mit dieser digital verbindet, wird eine solch profane Tätigkeit wie das Alleinsein schnell zum Abenteuer. Handy aus, Mensch an: Alle paar Wochen kann man das ja mal machen.

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