Sinn und Unsinn:Gottes Lohn

Papst Franziskus predigt Bescheidenheit. Aber ist Armut wirklich das Leitbild der Kirche? Über eine Diskussion, die seit Jahrhunderten geführt wird.

Von Nikolaus Piper

Seit der Erzbischof von Buenos Aires, Jorge Mario Bergoglio, als Franziskus Oberhaupt der katholischen Kirche wurde, ist Rom ein ganzes Stück sympathischer geworden: ein Papst mit bescheidenem Lebensstil, der sein Herz den Geschiedenen öffnet und persönlich bei seinem alten Zeitungskiosk in Buenos Aires anruft, der gewinnt Herzen. Erst recht, wenn er sich zum Papst der Armen erklärt. "Ach, wie sehr möchte ich eine arme Kirche und eine Kirche für die Armen!", sagte Franziskus bereits kurz nach seiner Wahl. Er warnte vor dem "Fetischismus des Geldes" und dem Kapitalismus überhaupt.

Eine arme Kirche? Es ist leicht, sich über den Begriff lustig zu machen, wenn man Bilder vom Petersdom anschaut oder die Vermögensaufstellung des Erzbistums Köln auseinandernimmt. "Sie tranken heimlich Wein und predigten öffentlich Wasser" - der Satz von Heinrich Heine stimmt vielleicht nicht für den Papst persönlich, doch für die Kirche insgesamt und viele ihrer Diener allemal. Das Verhältnis nicht nur der Kirche, sondern auch des christlichen Glaubens insgesamt zu Reichtum und Armut ist widersprüchlich.

Die Bibel nimmt unmissverständlich Partei für die Armen, zum Beispiel in der Geschichte vom armen Lazarus, wie sie der Evangelist Lukas erzählt. Es war ein reicher Mann, "der kleidete sich in Purpur und köstlicher Leinwand und lebte alle Tage herrlich und in Freuden". Vor seiner Tür aber lag ein armer Mann mit Namen Lazarus "voller Schwären und begehrte (vergeblich), sich zu sättigen von dem, was von des Reichen Tische fiel". Nach dem Tod kommt der Reiche in die Hölle, Lazarus dagegen ruht in Abrahams Schoß - Gott hat das Schicksal der beiden vertauscht.

"Gott wollte, dass es arme Menschen in der Welt gibt. . .", hieß es beim Heiligen Eligius

Seit es Kirchen gibt, haben Christen sich um die Armen gekümmert, oft mutig und unter großen Opfern, die Heilige Elisabeth zum Beispiel, Mutter Teresa und Millionen Ordensleute, Pfarrer, Krankenschwestern und -pfleger. Aber begründet das ein Armutsideal? Die Hinwendung der Kirche zu den Armen ist ja nicht ohne Widersprüche. Selten hat jemand diese so klar formuliert wie der anonyme Autor des "Lebens des Heiligen Eligius", eines französischen Traktats aus dem frühen Mittelalter: "Gott hätte alle Menschen reich machen können, aber er wollte, dass es arme Menschen in der Welt gibt, damit die Reichen die Chance haben, ihre Sünden loszuwerden." Die Armen sind also nach dieser Logik für die Reichen da; würde man die Armut abschaffen, würden die Armen selber reich, dann müsste man um die Seelen der Reichen fürchten. Ist diese Dialektik heute wirklich vollständig aus der christlichen Barmherzigkeit verschwunden?

Es bedurfte jedenfalls des beginnenden Kapitalismus und auch einiger Kapitalisten, damit man sich daranmachte, den Armen nicht nur Barmherzigkeit zu gewähren, sondern die Armut ganz abzuschaffen. Es waren die steinreichen Fugger, die in der Augsburger Fuggerei Tagelöhnern und armen Handwerkern, soweit sie katholisch waren, ein anständiges Zuhause verschafften. Es waren calvinistische Pfarrer und Finanzleute in Schottland, die im 18. Jahrhundert den Scottish Ministers' Widows' Fund gründeten, eine Sozialkasse, die Witwen armer Handwerker versorgte. Bremische Kaufleute finanzieren seit 1545 das Haus Seefahrt, eine Fürsorgeeinrichtung, die bis heute besteht. Erst mittels eines Stücks Kapitalismus wurde es möglich, Lazarus mit Sozialwohnung, Sozialversicherung und vielleicht auch einer guten Ausbildung zu helfen.

Für den Genfer Reformator Jean Calvin war Reichtum ein Ausdruck der Gnade Gottes

Anhänger der Befreiungstheologie, wie sie in Lateinamerika entstanden ist, plagen sich mit der These vom "hermeneutischen Vorteil der Armen" herum, also der These, dass wer arm ist, das Evangelium besser versteht als ein Reicher. Aber wurde diese These von Armen selbst vertreten? Armut ist hart, absolute Armut (heute definiert durch ein Einkommen von 1,25 Dollar pro Tag und weniger) ist brutal und frisst die Seele auf. Was etwa ist mit den Hunderttausenden, die jetzt unter Einsatz ihres Lebens nach Europa kommen? Werden sie, wenn sich ihre Träume erfüllen und sie zu Wohlstand kommen, ihren hermeneutischen Vorteil verlieren?

Ja, Franz von Assisi, dessen Namen der Papst angenommen hat, war arm. Aber seine Eltern waren reiche Kaufleute, er genoss eine erstklassige Bildung. Franziskus wählte die Armut selbst. Das war ein Akt der Freiheit und damit etwas anderes als erzwungene, erduldete Armut. Auch Benedikt von Nursia, der in der Abtei Montecassino das westliche Mönchstum begründete, kam aus wohlhabendem Hause. Heute gibt es viele fromme Männer und Frauen, die sich dafür entschieden haben, unter den Armen zu leben, um deren Los zu verbessern. Sie geben ein Opfer, aber sie haben die Wahl. Die Armen haben diese Wahl nicht.

Es gibt auch noch eine ganz andere Art, wie Christen mit Geld umgehen können. Bei der Fußballweltmeisterschaft in Brasilien wunderten sich viele Fans, als die Spieler Nigerias vor dem Achtelfinale gegen Frankreich Cash sehen wollten, angeblich 30 000 Dollar in bar, als Belohnung für die gewonnene Vorrunde. Um die Geschichte zu verstehen, muss man erstens berücksichtigen, dass die Zahlungsmoral des nigerianischen Fußballverbandes nicht über jeden Zweifel erhaben ist und zweitens, dass Bargeld in der nigerianischen Gesellschaft eine besondere Rolle spielt. Unter den Yo-ruba, einer wichtigen ethnischen Gruppe in dem riesigen Land, gibt es den Brauch des Money Dance: Bei diesem Hochzeitstanz lassen Freunde und Verwandte Banknoten der Landeswährung Naira über die frisch Vermählten regnen - als Geschenk und als Glücksbringer. In einem Vorort von Lagos gibt es eine Megakirche mit Namen "Winners' Chapel". Sie zieht die Gläubigen zu Tausenden an mit dem Versprechen, dass Glauben und Gebet zu Wohlstand führen. Über eine Gebetsaktion, die die Kirche für dieses Jahr ausgerufen hat, heißt es: Als Ergebnis dieser Stunde des Gebetes werde der "Himmel auf Erden" kommen, die Gläubigern dürften auf "Wunder ohne Ende" hoffen .

Das Zelebrieren von Reichtum mag deutschen Christen ein Gräuel sein. Aber ist die Praxis nicht zumindest verständlich in einer Gesellschaft, in der die meisten wissen, was absolute Armut bedeutet und die daher die Abwesenheit von Armut bejubelt? Der nigerianische Geldregen weist auch noch auf eine ganz andere theologische Tradition in Sachen Reichtum: die des Genfer Reformators Jean Calvin. Für ihn war Reichtum Ausdruck der Gnade Gottes. Wenn Menschen arm sind, dann kann es sein, dass der Segen Gottes ausgeblieben ist, "weil sie ihn durch eigene Schuld abgewehrt haben". Hier hat er seine Wurzeln, der "Geist des Kapitalismus" , über den der große Sozialwissenschaftler Max Weber einst schrieb: Der Mensch sucht sein Leben lang nach Reichtum als Zeichen seiner Erwähltheit, er lebt aber auch in Angst, dieses Zeichen zu verlieren. Aus der Prädestinationslehre Calvins ist viel Schlimmes erwachsen: Dünkel, Herzlosigkeit, Rassismus.

Eigentum ist keine Sünde, sondern etwas, für das man dankbar sein sollte

Andererseits lernten Reiche erst im Kapitalismus, wie dankbar sie ihrem Schicksal sein sollten und dass sie allen Grund haben, Gott oder der Gesellschaft etwas zurückzugeben. "Giving Back" ist ein Gedanke, der tief in der amerikanischen Kultur wurzelt. Bill Gates und Warren Buffett, die fast ihr gesamtes Vermögen von zusammen gut 140 Milliarden Dollar für gemeinnützige Zwecke spendeten, sind dabei nur die jüngsten Beispiele. Besonders das späte 19. Jahrhundert, das Zeitalter der Räuberbarone, war eine Zeit riesiger Spenden. Der Stahlmagnat Andrew Carnegie, Sohn calvinistischer Weber aus Schottland, war gegenüber Arbeitern und Konkurrenten ein harter Hund. Aber er schenkte seinem Land eine Universität, mehrere Bibliotheken und der Stadt New York einen der besten Musiksäle der Welt. Insgesamt spendete er 4,5 Milliarden Dollar in heutiger Währung. "Ein Mann, der in Reichtum stirbt, der stirbt in Schande", glaubte er.

Amerika ist auch immer bereit, jemanden zu feiern, der die Armut überwunden hat. "Ein Baum wächst in Brooklyn", der Erfolgsroman von Betty Smith aus dem Jahr 1943, erzählt den Überlebenskampf einer verarmten irisch-katholischen Familie im Brooklyner Stadtteil Williamsburg. Letztlich ist der Kampf erfolgreich und die Freude darüber bestimmt das Ende des Buches. In "Ist das Leben nicht schön" - bis heute der klassische Weihnachtsfilm für die amerikanische Familie - spielt James Stewart den Bankier George Bailey. Bailey kämpft gegen erbitterten Widerstand dafür, dass arme Familien einen Hauskredit bekommen, ein Haus bauen können und so den Fängen des örtlichen Slumlords entkommen. Bezeichnenderweise ist es ein Schutzengel, der die Wende zum Guten in dem Film bewirkt.

George Bailey und dessen Schutzengel können die Kirche lehren, dass nicht Armut ihr Leitbild sein sollte, sondern deren Abschaffung. Eigentum ist keine Sünde, sondern etwas, für das man dankbar sein sollte und das einen verpflichtet, anderen zu helfen. Und im Übrigen sollte der Christ, auch der katholische, es mit Martin Luther halten: "Zeitlich Gut hat dir Gott gegeben zu deinem Leben und gönnet dir wohl, dass du sein brauchest (...) aber nicht das Herz daran hängest und heftest, als wolltest du ewig leben (...)"

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