Sinn und Unsinn:Glauben oder nicht

Vom Atheismus zum Islam, vom Christentum zum Judentum: Aus Interviews mit Konvertiten basteln zwei Frauen ein Theaterstück. Das Staatstheater Braunschweig zeigt die Inszenierung der Werkgruppe 2.

Von Thomas Hahn

Zum Beispiel der Muslim, der in einer atheistischen DDR-Familie aufwuchs: Bei dem fing der Glaube damit an, dass er das Gefühl hatte, dem Leben ausgeliefert zu sein. "Bei mir war da so eine Art Angst." Er brauchte eine Instanz, die er darum bitten konnte, ihn zu beschützen, also erfand er sich zunächst seine eigene Gottesgestalt. Er las Karl May und lernte dabei den Islam kennen. Später las er den Koran, der ihm seltsam vertraut vorkam. Eines Morgens wachte er auf und sah in einen Himmel, der komplett rot war. Auch andere Ereignisse deutete er als Zeichen. Und irgendwann war er dann drin im Glauben an den Gott der Muslime, lernte, Arabisch zu lesen, fastete im Ramadan, betete in der Moschee.

Den Muslim, der früher ein ostdeutscher Atheist war, gibt es wirklich. Aber seine Geschichte hätte er nicht erzählt, wenn sie nicht aufgegangen wäre in einem Projekt, das Wirklichkeit und Verfremdung zu einem dokumentarischen Kunstwerk vereint. Der muslimische Ex-Atheist ist jetzt eine Figur des Theaterstücks "Offener Himmel. Über das Konvertieren", das die freie Theatergruppe "Werkgruppe 2" vergangene Woche als Co-Produktion mit dem Staatstheater Braunschweig zur Uraufführung brachte. Und er trägt damit dazu bei, dass ein Aspekt des Erdenlebens ins Rampenlicht rückt, der in seiner ganzen Tiefe eher selten öffentlich wird. In einer Welt, die ihr Heil vor allem in Leistung und zählbarem Erfolg sieht, ist Gottvertrauen nun mal ein Minderheitenprogramm. Und ein konvertierter Muslim riskiert, sich in Vorurteilen zu verfangen, weil die Angst vor dem islamistischen Terror so groß ist.

Die Werkgruppe 2 besteht aus drei Frauen, die sich seit 2009 darauf spezialisiert haben, aus Interviews dokumentarische Stücke zu bauen und diese aufzuführen. Die Regisseurin Julia Roesler, die Dramaturgin Silke Merzhäuser und die Musikerin Insa Rudolph haben auf diese Art schon verschiedenste Reportage-Inszenierungen gefertigt; über polnische Pflegekräfte, über Zirkusmenschen, über Prostituierte. Das Thema Glaube hatten sie dabei lange gar nicht auf dem Schirm. Sie stolperten eher darüber, als sie an einem Projekt über Auswanderer arbeiteten. Sie stellten dabei fest, dass Muslime mit Anstellung im Wissenschaftsbetrieb und Muslime auf Asylsuche in Deutschland das gleiche Problem teilen: Rassismus wegen ihrer Religion. Glaube als Anlass für Feindseligkeiten? "Das war für uns der erste Anhaltspunkt, um zu sagen: Okay, dann wollen wir uns das genauer anschauen", sagt Julia Roesler.

Sinn und Unsinn: "Ich hatte einfach das Gefühl, da gibt's was, und das ist die Religion": Szene aus dem Theaterstück "Offener Himmel. Über das Konvertieren".

"Ich hatte einfach das Gefühl, da gibt's was, und das ist die Religion": Szene aus dem Theaterstück "Offener Himmel. Über das Konvertieren".

(Foto: Volker Beinhorn)

Konvertiten erschienen ihnen als besonders gute Gesprächspartner für Fragen der Glaubensfreiheit, und als Julia Roesler, 37, und Silke Merzhäuser, 43, mit ihren Recherchen begannen, stellten sie fest, dass sie mit ihrem Interesse ein schlafendes Riesenthema angerissen hatten. Theologen verschiedener Glaubensrichtungen bestätigten ihnen, dass mehr Menschen denn je den Glauben wechseln. Die Globalisierung findet eben auch in der Religion statt. In den freien Gesellschaften bekommt praktisch jeder Glauben seinen Platz. Neue Möglichkeiten tun sich auf, und viele Menschen erkennen, dass im Himmel mehr Platz ist als nur für eine Version von Gott.

Aber die werkgruppe2-Frauen stellten auch fest, dass Glaube kein gewöhnlicher Gesprächsstoff ist. Elf Männer und Frauen interviewten sie zu deren Religionswechseln. Anonymität war allen wichtig, Pressegespräche lehnten sie ab. Und keiner hatte in Stein gemeißelte Weltbilder. "Die Erfahrung war, dass das Sprechen über den Glauben ein sehr suchendes, tastendes und vages Sprechen ist", sagt Silke Merzhäuser. "Das öffentliche Reden über Glauben ist etwas sehr Ungewohntes."

Es gab keinen Anspruch auf Vollständigkeit bei dem Projekt. Die großen monotheistischen Glaubensrichtungen wollte die Werkgruppe 2 berücksichtigen, Christentum, Judentum, Islam, und auch der Atheismus sollte eine Stimme bekommen. Vom Sommer 2015 an führten Julia Roesler und Silke Merzhäuser die Gespräche in Braunschweig und anderen Städten. Anschließend hatten sie knapp tausend Seiten Textmaterial. Aus diesem Steinbruch des gesprochenen Wortes schlugen sie die besten Sätze, schnitten sie gegeneinander, mischten sie mit Musik aus den diversen Religionen ab. Und irgendwann war dann dieses Stück mit vier Figuren da, die mal im Streit, meistens im Monolog, immer im Ton eines brüchigen Redeflusses ihre Glaubensgeschichten erzählen.

Sinn und Unsinn: Silke Merzhäuser (li.) und Julia Roesler haben die Interviews zum Glauben geführt.

Silke Merzhäuser (li.) und Julia Roesler haben die Interviews zum Glauben geführt.

(Foto: Volker Beinhorn)

Ein Varieté aus ungeschliffenen Gedanken, Zweifeln und Überzeugungen ist so entstanden, aus dem man viel lernen kann über das Ringen der Menschen um Halt, Trost und Orientierung. Aus den Figuren spricht ein heiliger Ernst im Umgang mit dem Leben, kein Fanatismus, auch kein esoterisches Gesülze vom besseren Leben. Manchmal klingt die Hinwendung zur anderen Religion sogar nach kühler Vernunft: Die Jüdin, die mal Christin war, sagt, ihr Glaube habe etwas damit zu tun, dass sie einen jüdischen Mann geheiratet habe. "Das hat sich dann so ergeben."

Aber meistens ist der Wechsel zu Glaube oder Nicht-Glaube das Ergebnis einer langen Auseinandersetzung mit den eigenen Seelennöten. Der Christ, der erst Atheist war, sagt: "Ich hatte einfach das Gefühl, da gibt's was, und das ist die Religion." Die Atheistin, die einst Christin war, sagt: "Mir kommt das ein bisschen unsinnig vor zu glauben." Und der muslimische Ex-Atheist hatte sein leises Verlangen nach Schutz.

Manchmal wirken die Monologe der Konvertiten wie Slalomwettläufe um eine möglichst hohe Moral. Die Figuren rechtfertigen ihre Religionen, die alle ihre wunden Punkte haben. Sie wehren Ressentiments ab, um später selbst welche zu streuen. Denn natürlich findet jeder Gläubige seinen Gott besser als den der anderen. Und die Atheistin sagt: "Das liegt ja auf der Hand, warum es unter Umständen schwer vorstellbar ist, dass Gott existiert, ne." Ihre Argumente laufen oft ins Leere. Aber wenigstens haben sie sich befasst mit den Varianten des Glaubens. Sie bekennen sich, sie reden drüber. Und ist Aussprache nicht die Chance auf ein freundlicheres Nebeneinander verschiedener Religionen?

"Ich habe ja den Eindruck, dass sich viel zu wenige bekennen", sagt Julia Rösler, selbst Atheistin. "In einer Gesellschaft, in der so viele Menschen leben, denen der Glaube wichtig ist, finde ich es wichtig, sich über die eigene Beziehung zum Glauben klarer zu werden." Insofern können die Wohlstandsleute, die nicht einmal darüber nachdenken, warum sie an nichts glauben, noch was lernen von den Konvertiten. "Die Frage ist doch: Kann ein positives Potenzial darin liegen, wenn wir geübter darin sind, über Religion zu sprechen?" Silke Merzhäuser, katholisch, gläubig, ahnt natürlich, dass die Antwort ja lautet. Denn es stimmt schon: Wer dem Muslim zuhört, der mal Atheist war, versteht besser, warum er an seinen Gott glauben will.

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