Auf die Begegnung mit dem Paar hatte ich mich gefreut, sie knapp 80 Jahre alt, er 90. Um eine Geschichte über ihr gemeinsames Leben für diese Zeitung zu schreiben, fuhr ich zu ihnen. Sie wollten mir unbedingt noch eine Kirche in der Gegend zeigen, also fuhr ich am nächsten Tag wieder zu ihnen. Die Frau war nicht da, sie war bereits verabredet. Egal, dann eben nur ich und der Professor, dachte ich, ein kleiner, runder Mann, nicht mehr gut zu Fuß, aber geistig fit. Er suchte nach einem Kunstführer, den er unbedingt noch mitnehmen wollte, drehte sich zu mir um - und griff mir an die Brust. Nicht aus Versehen, nicht im Vorbeigehen, sondern so, wie man sich einen Apfel aus einer Schale nimmt.
Ich glaube, ich habe "Hoppla!" gesagt. Gedacht habe ich: Scheiße, was mache ich denn jetzt? Sofort gehen? Ihm eine knallen? Ich bin geblieben.
In der Kirche hat er mich dann noch einmal begrapscht. Ich müsse ihm doch nicht erklären, warum das gar nicht ginge, rief ich und schlug seine Hand weg. Doch darüber hinaus habe ich die Fassung bewahrt. Und bin geblieben. Warum? Ich weiß es nicht.
Die Frage nach dem "Was tun?" bleibt unbeantwortet
Der Griff an die Brust, an den Po, zwischen die Beine löst bei Frauen häufig ein seltsam widersprüchliches Verhalten aus. Der Verstand weiß sofort: Das geht gar nicht. Doch anstatt loszubrüllen, die Hand wegzuschlagen, abzuhauen, passiert - nichts. Äußerlich ist den Begrapschten nichts anzumerken, im Inneren hingegen herrscht Chaos. Und die Frage nach dem "Was tun?" bleibt oft unbeantwortet.
Der Moment, in dem man dasteht und zu seinem eigenen Entsetzen nicht reagieren kann, passiert Frauen (und auch Männern), die sich sonst sehr wohl trauen, den Mund aufzumachen. Aber die Sache ist die: Wir haben (glücklicherweise) keine Routine im Umgang mit solchen Situationen. Es mag im Laufe eines Lebens einmal passieren, mehrmals, immer wieder, trotzdem rechnet keine damit. Grapschen ist ein Störfall im gewohnten Miteinander, ein Bruch, der so plötzlich und massiv kommt, dass wir immer wieder nicht in der Lage sind, so zu reagieren, wie sie das gerne getan hätten. Hinterher ist man schlauer. Dann fallen einem hundert souveräne Sätze und Verhaltensweisen ein. Aber hat man die beim nächsten Mal, einen Monat oder vier Jahre später, auch parat?
Bisher gab es keinen strafrechtlichen Schutz gegen das Grapschen, nun soll es als "tätliche sexuelle Belästigung" ins Strafgesetzbuch aufgenommen werden. Der Griff unter den Rock bekommt damit einen anderen Stellenwert. Doch wird es auch etwas daran ändern, dass wir im Augenblick des Übergriffs oft nicht handeln können? Und gibt es eigentlich so etwas wie die eine, richtige Reaktion?
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