Serie: Körperbilder (1):Neue Nase, neues Glück

Rosenberg-Nase und Botox: Die Schönheitsindustrie gaukelt vor, dass selbst aus dem mangelhaftesten Ausgangsmaterial ein Wunderwerk werden kann - und hat damit Erfolg.

Alex Rühle

"Monica ist Anfang dreißig", heißt es in einem Roman von Rafael Chirbes, "und ihr bester Freund ist der große Spiegel im Badezimmer, vor dem sie jeden Morgen nackt steht, um ihren Körper zu begutachten wie eine Ware: An ihrem Gesicht ist kein bisschen Fett, ein perfektes Oval, wie aus Porzellan, und das, obwohl sie es sich nicht hat richten lassen; die Pobacken, die Hüfte, daran hat sie schon ein bisschen was machen lassen.

Linda Evangelista, Nofretete

Der Name Nofretete bedeutet "Die Schöne ist gekommen". Anders als die ägyptische Pharaonengattin musste das Model Linda Evangelista ihrer Schönheit ein wenig nachhelfen.

(Foto: Foto: AFP/ddp)

Nicht dass sie dick gewesen wäre, aber sie sah sich auf diesem von der spanischen Frau so oft beschrittenen Weg, eine Tendenz nicht gerade zur Fettleibigkeit, aber doch zu einer Frauengestalt in der Fülle der Jahre, einer Amphore, die mediterrane, romanische Frau, mit breiten, geschwungenen Hüften: genau das, was früher die Männer anzog, weil es Gebärfähigkeit signalisierte, und heute bei jedem geselligen Ereignis abstößt."

Diese Monica, eine der vier Hauptfiguren aus Chirbes' neuem Roman "Krematorium", redet über den eigenen Körper wie über eine Bio-Aktie, in die es in Zeiten des totalen Wettbewerbs zu investieren gilt, wenn man im Rennen bleiben will - "ein Rohstoff, aus dem du den größtmöglichen Gewinn erwirtschaften musst", wie sie selbst es ausdrückt. Ihr Mann macht Geld mit Immobilien, ihr eigenes Kapital sind ihr Hintern, ihre Beine, ihr Gesicht. Warum auch nicht? Così fan tutte.

Schönheit als Grundsehnsucht

Die American Society of Plastic Surgeons schreibt, dass mittlerweile weltweit 30 Milliarden Dollar im Jahr für Schönheitsoperationen ausgegeben werden. Allein in Deutschland gibt es laut Deutscher Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie jährlich etwa 750.000 ästhetisch-chirurgische Eingriffe. Die Operationen sind erschwinglich geworden, und es ist auch kein Stigma mehr, dem eigenen Aussehen operativ nachzuhelfen.

Inzwischen bekennen sich viele Hollywoodstars offen zu ihren Eingriffen und Behandlungen. Linda Evangelista, die Sängerin Anastacia oder "Sex and the City"-Star Kim Cattrall schwören auf die glättende Kraft des Nervengifts Botulinumtoxin Typ A, kurz Botox. Seit es in den USA 2002 für kosmetische Zwecke zugelassen wurde, hat es rasend schnell einen Weltmarkt erobert.

Mittlerweile spritzen sich auch Männer das Nervengift, der Designer Tom Ford macht keinen Hehl daraus, dass er mit Botox seine Stirnfalten eliminiert. Die Gefahr dabei ist das sogenannte Frozen Face. Da Botox ein hochwirksames Gift ist - es blockiert die Nervenimpulse der Muskeln - , schränkt es die Mimik stark ein.

Martin Scorsese schimpft seit Jahren, es werde wegen Botox immer schwerer, Darsteller zu bekommen, die noch Gefühle mimisch zum Ausdruck bringen können. Das lässt einen dann schon ins Grübeln kommen, wenn all die Schauspielerinnen und Schauspieler sich eines der stärksten bekannten Gifte spritzen, um zugunsten glatter Haut auf ihre Ausdruckskraft verzichten.

Auf der nächsten Seite: Die plastische Chirurgie hat eine lange Tradition - kein Wunder: Schönheit wird belohnt.

Schönheit wird belohnt

Nun wäre es zu leicht, in aller Kosmetik, allem Sehnen nach Schönheit nur Lug und Trug und den totalen Verblendungszusammenhang sehen zu wollen. Es hat ja auf jeden Fall etwas für sich, dass wir nicht verzottelt und nach diversen Sekreten riechend durch die Welt laufen.

Es gehört zu unserem menschlichen Selbst- und Freiheitsverständnis, dass wir uns nach unserem eigenen Bild erschaffen, so wie es uns passt, so wie wir uns wohlfühlen. Und Schönheit, das haben nun wahrlich genug Studien nachgewiesen, Schönheit wird nun mal von Anfang an belohnt: Schöne Schüler bekommen bessere Noten, schöne Angestellte ein höheres Gehalt, schöne Frauen - siehe Monica- reichere Männer.

Wahrscheinlich ist Schönheit gar eine Art anthropologische Grundsehnsucht, eine Idee, die alle Völker, alle Rassen, alle Altersgruppen miteinander gemein haben: Schon im Alten Testament werden Frauen wie Esther oder Judith, aber auch Männer (Saul, David, Josef) immer wieder aufgrund ihrer Schönheit gerühmt. Und Nofretete, deren Büste heute als Inbegriff altertümlicher Schönheit gilt, muss schon zu Lebzeiten betört haben, bedeutet ihr Name doch "Die Schöne ist gekommen."

Auch die plastische Chirurgie hat eine lange Tradition, der indische Arzt Susruta Sarnita rekonstruierte schon vor 2600 Jahren die Nasen verstümmelter Patienten aus ihrer Stirnhaut. Seine medizinischen Beschreibungen fanden über arabische Übersetzungen nach Europa, wo Anfang der frühen Neuzeit erstmals plastische Chirurgie angewandt wurde, freilich zunächst ausnahmslos an schwer Versehrten. Erst seit dem 20. Jahrhundert verändern Ärzte Körperteile von unverletzten Menschen zur reinen Verschönerung.

In Deutschland gab es die ersten Schönheitsoperationen in den zwanziger Jahren in Berlin. Anscheinend fühlten sich damals schon einige Frauen aufgrund der Möglichkeit solcher Operationen unter Druck gesetzt, jedenfalls heißt es in einem Schlager der Sängerin Claire Waldoff: "Ick lass mir nicht die Nase verpatzen/wegen Emil seine unanständ'ge Lust/Ick lass mir nicht das Fett aus dem Oberschenkel kratzen/Wegen Emil seine unanständ'ge Lust/Wie ick bin, det hat der Emil ja immer gewusst/da hätt er mir eben nicht nehmen jemusst/Nee, ick lass keen Doktor ran an meine Brust/Wegen Emil seine unanständ'ge Lust."

Ist es hier noch der männliche Blick, der die Frauen wider Willen dazu treibt, sich unters Messer zu legen, so hat Monica aus Chirbes' Roman diesen taxierenden Blick längst verinnerlicht, sie betrachtet sich von Kopf bis Fuß wie eine Art Warenlager, bei dem fortwährend in Eigenverantwortung aussortiert, feinjustiert und nachbestellt werden muss, um auf dem Markt zu bestehen.

Und hier wird es dann eben problematisch. Eine Studie des Robert-Koch-Instituts mit mehr als 17.000 Teilnehmern zwischen elf und 17 Jahren zeigte bei fast 30 Prozent der Mädchen Essstörungen wie Magersucht, Ess-Brech-Sucht oder Fettsucht. Laut einer US-Studie sind 65 Prozent aller Frauen mit ihrem Körper unzufrieden. Eigentlich verwundert daran nur, das es nicht mehr sind - man muss ja nur mal ein gängiges Hochglanzmagazin mit all seinen appetitlich frisch inszenierten makellosen Körpern durchblättern, um sich danach wie ein schlaffer Sack voll alterndem Fleisch zu fühlen.

Der Traum vom neuen Ich

Das Infame ist, dass die Schönheitsindustrie mit dem Glücksversprechen lockt, den ganzen Menschen umzuformen: neuer Busen, neues Glück - als seien Charakter und Selbstwertgefühl nur Unterfunktionen der Schönheit. In der Programmankündigung der Sendung "The Swan", eines besonders ekligen Reality-Formats aus den USA, bei dem man 16 Frauen dabei zusah, wie sie von einem Team aus Fitnesstrainern, Ernährungsberatern und Schönheitsärzten über zwei Monate hin rundumüberholt werden, ist dieses Versprechen impliziert, wenn es heißt: "Die 16 Frauen verwandeln sich zu selbstbewussten Schönheiten. Und die Zuschauer sehen den harten Weg, den sie auf sich nehmen, um ihren Traum vom neuen Ich zu erfüllen."

"The Swan", "Total Makeover", "I Want a Famous Face" - in all diesen Sendeformaten wird der normale Körper als jämmerlicher Erstversuch angesehen, voller Fehler und Mängel, die man beheben muss. Es wird aber auch immer insinuiert, dass noch aus dem mangelhaftesten Ausgangmaterial ein Wunderwerk kreiert werden kann, dass Schönheit für jeden zu haben ist, wenn man nur eisern an sich arbeitet und sich den Magiern der plastischen Industrie anvertraut.

Auf der nächsten Seite: Vom Wunsch, so auszusehen wie ein Star - und dafür sogar die eigene Individualität aufzugeben.

Eine Brad-Pitt-Nase, bitteschön!

Das zweite paradoxe Versprechen dieser Industrie besteht darin, dass sie behauptet, uns, indem sie uns verändert, erst zu uns selbst zu machen, als müsse unser wahres, aber bisher verstecktes Ich aus der Bruchbude unseres mangelhaften Körpers befreit werden. Dabei wird ja gerade in der Schönheitschirurgie vieles nach genormten Idealen geformt - die "Rosenberg-Nase" ist ein feststehender Begriff in der Branche, eine knochig dünne Nase, benannt nach dem New Yorker Chirurgen David Rosenberg.

Eine Brad-Pitt-Nase, bitteschön!

Das MTV-Format "I want a Famous Face" porträtierte Teenager, die auf mehr Beachtung hoffen, wenn sie sich ihren Idolen durch eine Operation anverwandeln. Da werden also Jugendliche dafür gefeiert, dass sie ihre Individualität zugunsten der schlechten Kopie einer Brad-Pitt-Nase oder eines Jennifer-Lopez-Hinterns aufgeben. Jedesmal wenn einer dieser Patienten von seinem Chirurgen begrüßt wurde, sah man dessen lächelndes Gesicht in Großaufnahme und dazu engelsgleiche Musik, so als halte der Chirurg die Schlüssel zum Paradies der Selbstverwirklichung in Händen.

Dabei spricht vieles dafür, dass all diese Jugendlichen unter Body Dysmorphic Disorder leiden, zu Deutsch: körperdysmorphe Störung, einer psychischen Krankheit, bei der die Betroffenen unter der fixen Idee leiden, hässlich zu sein. Viele solche Dysmorphiker fühlen sich derart entstellt, dass sie unzählige Schönheitsoperationen über sich ergehen lassen - was sie dann meist erst wirklich hässlich werden und an Hermann Hesses Satz denken lässt, das Alter sei "nur dann schlimm, wenn es versucht, die Jugend zu spielen."

Andererseits muss man nach dem Verfassen eines derart kulturpessimistischen Textes nur mal zum Kaffeetrinken auf die Straße zu gehen, um zu sehen, dass es mit dem Schönheitsdiktat nicht sonderlich weit her zu sein scheint. Auf den Plakatwänden und in der Joghurtreklame, die einen aus den Magazinen anspringt, da sehr wohl.

Aber in der Wirklichkeit laufen doch beeindruckend normale Leute rum, die ihren ganz eigenen, herrlich ungenormten Schönheitsidealen zu frönen scheinen. Allerdings, wenn es stimmt, dass alleine in Deutschland 2008 eine Million Botoxbehandlungen gemacht wurden, was hat es dann wohl mit den saftig glänzenden Wangen der Frau am Nebentisch auf sich ...?

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