Serie Kinderwelten: Peking, China:Xinran liebt Tierromane

Kinder der Welt - Porträts

Die elfjährige Xinran lebt in Peking.

Die elfjährige Xinran aus Peking trägt jeden Tag ein rotes Unterhemd, das soll Glück bringen. Wie die meisten chinesischen Kinder steht sie unter immensem Druck und wirkt sehr brav. Aber unter dieser Bravheit schlummern geheime Wünsche.

Von Kai Strittmatter, Peking

Spielen? Lernen? Arbeiten? Wie wächst ein Kind auf? Das hing bislang davon ab, wo es zur Welt kam. Das ändert sich gerade, denn in vielen Teilen der Welt wächst der Wohlstand. Wir haben fünf Kinder aus fünf Kontinenten gebeten, ihren Alltag zu fotografieren. Teil 3 der Serie: Xinran, 11, aus Peking.

Li Xinran ist im Jahr des Pferdes geboren, das Jahr, das im chinesischen Mondkalender soeben wieder eingeläutet wurde. Sie trägt nun jeden Tag ein rotes Unterhemd, weil man im eigenen Jahr rote Wäsche tragen soll, um Unglück fernzuhalten. Xinran glaubt da nicht dran, aber trägt es ihrer Mutter zuliebe.

Eben waren Neujahrsferien, da war sie meist zu Hause. Oma und Opa wohnen in derselben Wohnung, der Vater holte sie zu sich, weil die beiden nicht mehr so rüstig sind. Die Mutter hat der Großeltern wegen ihre Arbeit im Büro aufgegeben und kümmert sich um sie. "Jetzt, wo ich die Zeit habe, schaue ich auch viel nach Opa und Oma", sagt Xinran. "Ich lese ihnen vor, gieße ihnen Tee nach oder mache ihnen eine Suppe."

Disziplin ist alles

In den Pekinger Parks sieht man Babys auf Kommando pinkeln (wenn die Mutter pfeift), in den Restaurants sitzen die Kinder meist ruhig und wohlerzogen am Tisch. Chinesische Kinder machen oft einen sehr braven Eindruck, die Mädchen sowieso. Die elfjährige Xinran ist keine Ausnahme. An den Genen liegt es nicht: "Ich war ziemlich schwierig", erinnert sich der Vater Li Wei. "Wir waren arm, aber wir hatten mehr Freiheit damals", sagt der 54-Jährige.

Ferien in China sind heute nicht einfach nur Freizeit. Xinran geht in die sechste Klasse, sie hat für die Ferien mehr als 40 Seiten Hausaufgaben mitgebracht. Mathe, Englisch, Chinesisch. "Geht schon", sagt sie und sitzt jeden Tag bis zu zwei Stunden daran, die restliche Zeit verbringt sie mit ihrem Hund, den sie Xiao Guai getauft hat, der kleine Brave.

Sie liest viel, Tierromane vor allem, und ab und zu schaut sie sich Cartoons auf dem iPad an. Am liebsten "Crayon Shin-Chan", eine japanische Serie, deren fünfjähriger Protagonist seine Umgebung in den Wahnsinn treibt, den anderen gern seinen nackten Hintern entgegenstreckt und alte Leute schon mal fragt: "Und wann stirbst du?" Die große Popularität des subversiven Unruhestifters unter Chinas Kindern lässt erahnen, dass unter all der Bravheit geheime Wünsche schlummern.

Der Druck ist immens

Chinesische Kinder stehen unter großem Druck. Die Konkurrenz ist groß, wenn man einer von 1,3 Milliarden ist. Die Eltern sind ehrgeizig. Auf Chinas Straßen sieht man deshalb fast nur Babys und Kleinkinder, denn wenn sie im schulpflichtigen Alter sind, verschwinden Chinas Kinder, pilgern fortan tagein tagaus vom Schultisch zur Nachhilfestunde zum Klavierunterricht zum Schreibtisch nach Hause - und tauchen viele Jahre später erst wieder auf, wenn sie den Abschluss haben.

Xinran ist eine gute Schülerin, Kunst und Englisch mag sie am liebsten. "Ich bin schnell", sagt sie. "Bei mir ist das nicht so schlimm mit den Hausaufgaben." Am Samstagnachmittag hat sie Privatstunden, Englisch, demnächst fängt sie außerdem einen Badmintonkurs an. Am Sonntag dann wiederholt sie von morgens bis abends den Unterricht der Vorwoche. Hat sie Freunde? "Nein", sagt Xinran. Warum nicht? "Ich glaube, ich kann nicht so gut mit anderen Menschen."

Ab und zu reist Xinran mit ihrem Vater, der ist Fotograf und besucht die entlegensten Ecken Chinas. Zuletzt waren sie in der Provinz Qinghai. "Da gibt es so gute Luft", sagt Xinran. In Peking dagegen sieht man häufig die andere Straßenseite nicht vor lauter Smog. "Oft muss ich in der Wohnung bleiben, weil die Luft so schrecklich ist." Und ihre Träume? "Dass die Leute in Südchina aufhören, Hunde zu essen", sagt Xinran. "Und mein Papa hat so viele schöne Orte und Landschaften fotografiert - die möchte ich alle einmal wirklich sehen."

Serie
Kinderwelten
Kinder der Welt

Fünf Kinder aus fünf Ländern erzählen aus ihrem Leben - in ihren eigenen Worten und Fotos: Kiran, 14, aus Delhi | Shem, 13, aus Nairobi | Xinran, 11, aus Peking | Henri, 12, aus München | Ariela, 11, aus Buenos Aires

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