Selbstversuch im Wohnmobil:Zimmer, Küche, Bad, vier Räder

Selbstversuch Hymermobil

Haus am See - die Terrasse ist jedes Mal eine andere.

(Foto: Violetta Simon)

Urlaub im Wohnmobil gehört zu den Dingen, die unsere Autorin schon immer mal machen wollte. Aber kann man sich dabei erholen - und was macht das mit der Familie? Ein Selbstversuch auf 15 Quadratmetern.

Von Violetta Simon

Es gab eine Zeit, da schliefen wir auf Ladeflächen von Kombis und hielten es für romantisch, morgens steifgefroren auf einer Picknickdecke am Kleinhesseloher See zu erwachen. Und ja, wir dachten bei "Urlaub mit Wohnmobil" zuerst auch an California Dreaming in einem türkisfarbenen VW-Bus. Mittlerweile ist dieser Traum unserer Lebensrealität wohl nicht mehr gewachsen. Der Rücken des Mannes findet Picknickdecken genauso wenig romantisch wie Isomatten, und mein Erholungsbedürfnis ist eindeutig größer als die Liegefläche einer umgeklappten Sitzbank.

Deshalb werden wir den Hippie in uns ignorieren und uns mitsamt Kind auf ein Experiment einlassen: eine Woche zu dritt in einem superkomfortablen Hymermobil ML-I mit allem Pipapo. Mal sehen, ob da California Dreaming-Stimmung aufkommt. Oder Lagerkoller.

Erkenntnis 1: Manchmal ist cool nicht genug

Zugegeben, so ein Wohnmobil ist vielleicht nicht der Typ, dem man ein Surfbrett aufs Dach binden und eine Blumenkette an den Rückspiegel hängen würde: Mit seinem knapp acht Meter langen Aufbau auf dem Mercedes-Fahrgestell, der komfortablen Ausstattung und den technischen Finessen erinnert das Gefährt eher an ein rollendes Einfamilienhaus. Ausgeklügelte Beleuchtungssysteme, TV-Anlage mit integriertem DVD-Player und Flachbildschirmhalter, drehbarer Esstisch - also in unserer Wohnung gibt es so was nicht.

Dafür schluckt dieser Koloss geduldig alles, was wir für die Reise brauchen - schließlich heißt der Laderaum nicht umsonst Garage. Erst protestierend, dann zunehmend beeindruckt beobachtet der Mann, wie Mountainbikes, Tretroller, Klappstühle, Campingtisch, Sonnenschirm, Grill, Badematten und Liegen darin verschwinden. Auch für ein Surfbrett wäre noch Platz - aber, ach, wir surfen ja nicht.

Außerdem ist es ziemlich erfreulich, dass im Wohnmobil eine Toilette mitreist. Was nützt einem ein cooler Bully, wenn man seit 20 Minuten im Karawankentunnel steht und dringend muss. Oder nachts bei strömendem Regen nicht über den Campingplatz zu den WC-Häuschen wandern will. Hat jemand was von spießig gesagt? Kein Wort - der innere Hippie schweigt betreten.

Erkenntnis 2: Beifahren ist auch schön

Für den Anfang wäre wohl eine Autobahn am besten geeignet, am besten ohne Autos. Doch wir wohnen mitten in München, in einem Wohnviertel mit wunderschönen, aber engen Straßen. Und es ist 15 Uhr, kurz vor Berufsverkehr.

Bevor es losgeht, legen wir uns daher gegenseitig den Job als Fahrer ans Herz: "Fahr du!" - "Nein, fahr du!" (Einer muss ja schuld sein, wenn das Auto eine Beule kriegt.) Am Ende wird geknobelt: Der Mann fährt zuerst. Der bessere Fahrer befindet sich bekanntlich ohnehin immer - genau - auf dem Beifahrersitz. "Vorsicht, du rammst ja den Bus!", entfährt es mir. "Brems doch!" Der Mann, bereits zum Profi-Trucker mutiert, kontert gelassen: "Das Heck kommt erst später um die Ecke, mein Schatz. Da muss man ordentlich ausholen."

Schnell spricht sich im Cockpit herum: Der Hymer ist viel wendiger als er aussieht. Selbst Rückwärtsfahren ist dank Heckkamera kein Hexenwerk. Außerdem sieht es ziemlich beeindruckend aus, wie der Mann den riesigen Wagen durch Tunnels und über Kreuzungen lenkt. Spätestens jetzt bereue ich, ihm das Steuer überlassen zu haben. Hätte ich ja wohl auch gekonnt. Was, wenn mich eine Kollegin sieht? Bin ich am Ende nicht emanzipiert genug, gar ein feministisches Weichei? Ach was, vor allem bin ich: im Urlaub.

Erkenntnis 3: Loslassen ist der erste Schritt zur Erholung

Kurz vor der Autobahn scheppert es dann doch, allerdings drinnen: Das mitreisende Geschirr schlittert im Schrank hin und her. Also abschnallen, umräumen, wieder hinsetzen. Nächste Kurve: Es scheppert erneut, diesmal im Bad. Fluchen, abschnallen, umräumen, wieder hinsetzen. Auf dem Weg nach hinten stößt die Hüfte gegen Tisch, Kühlschrank und ausgestreckte Kinderfüße.

Zeit für den ersten Übernahmeversuch (in latent genervtem Ton): "Wenn du willst, kann auch ich mich ans Steuer setzen." - "Wozu, wir sind eben erst los!" - "Dann fahr' bitte etwas sanfter." - "Kannst du dich nicht einfach anschnallen und endlich sitzen bleiben?" - "Würde ich ja, wenn du unser Haus nicht so durchschütteln würdest!" - "Das geht ja gut los, noch nicht mal auf der Autobahn, und schon dieser Ton!"

"Könnt ihr mal aufhören zu streiten?", fragt der Sohn aus dem Off. Grummeliges Schweigen. Ich beschließe, die Fahrt zu genießen. Lege die Beine hoch, lasse den Blick über die Landschaft schweifen. Surfe auf dem iPad, döse vor mich hin. Der Job als Beifahrer ist hier aber auch um einiges attraktiver als in einem Pkw - allein der phänomenale Ausblick durch die riesigen Panoramascheiben auf die anderen Autos da unten, und überhaupt: so viel Platz für Arme und Beine! Der Sessel um 180 Grad drehbar, so dass man mit dem Kind, das im Wohnzimmer - eine Sitzecke mit Sicherheitsgurten inklusive Tisch - mitreist, Karten spielen kann.

Als wir in der Abenddämmerung den Campingplatz ansteuern, habe ich es endlich geschnallt: Ich sollte unbedingt lernen, öfter mal loszulassen.

Aus der Familie wird ein Team

Erkenntnis 4: An Kindern kann man sich ein Beispiel nehmen

Das Reisemobil ist alles in einem, aber nicht alles auf einmal. Deshalb sind wir jetzt Klappvorrichtungsbeauftragte mit Schwerpunkt Innenarchitektur. Permanent klappen wir Fächer auf und zu, um Dinge zu verstauen oder zu finden. Abends klappen wir die Fahrersitze nach vorn, um für den Sohn die Schlafkoje über der Fahrerkabine auszuklappen.

Bald jammert der Mann "Morgen hab' ich Rücken!" Doch am nächsten Morgen lässt er sich von dem Zwölfjährigen mitreißen, der - dem Höhlenbaualter lange entwachsen - das Gestaltungspotenzial der klapp- und drehbaren Möbel nutzt und immer neue Wohnlandschaften erstellt. Zum Frühstücken klappen sie bereits gemeinsam das Kinderzimmer an die Decke, drehen die Fahrersitze um und die Rückenlehnen nach oben, denn: In der nächsten halben Stunde gehören sie zum Esszimmer.

Erkenntnis 5: Wenig Platz ist harmoniefördernd

Auf dem Weg vom Cockpit ins Schlafzimmer durchwandert man Wohn- und Esszimmer, Diele, Küche, passiert Badezimmer und Toilette. Dazu müssen die anderen jedoch Platz machen. Häufigster Spruch: "Darf ich kurz vorbei?", der bald in ein gereiztes "Kannst du mal aus dem Weg gehen?" umschlägt.

Aber mit der Zeit wird es besser. Jeder weiß, wo sein Platz ist, und geht zur Seite, damit der andere Kaffee kochen, Zähne putzen oder sich umziehen kann. Das Kind, das zuvor mit seinen herausgestreckten Gliedmaßen den Durchgang versperrte oder träumend genau da herumstand, wo man hinmusste, zieht automatisch das Bein oder sich selbst ein, wenn sich jemand nähert.

Selbst mieses Wetter lässt sich in dem geräumigen Reisemobil souverän aussitzen. Dank einer Faltschiebetür können wir uns jederzeit voreinander zurückziehen: auf die Couch am Tisch, nach oben in die Koje oder auf den Pilotensitz mit Meerblick. Der Rest verschwindet nach hinten auf die Betten, Schiebetür zu - Privatsphäre. Das Team spielt sich allmählich ein, wie ein Orchester - und seine Symphonie ist das Trommeln des Regens auf dem Dach.

Erkenntnis 6: Mein Orientierungssinn funktioniert - drinnen

Während Vater und Sohn sich im Höhlenbau üben, gilt meine Faszination eher den geheimen und weniger geheimen Stauräumen: Unser Wohnmobil verfügt über eine unendliche Anzahl an Unterbringungsmöglichkeiten, über dem Kühlschrank, unter Treppenstufen, in der Bank. Innerhalb kürzester Zeit habe ich ein hochkomplexes System dafür ausgetüftelt. Leider bin ich die Einzige, die dieses System durchblickt - und somit automatisch Ansprechpartner für gesuchte Gegenstände. Ständig heißt es: "Hast du ... gesehen?" oder gar: "Wo hast du wieder ... versteckt??"

Zugegeben, alles finde selbst ich nicht auf Anhieb. Hinter welcher der vielen Türen war noch mal das Erste-Hilfe-Set oder: die Flasche mit dem Ouzo, die ich genau jetzt dringend brauche? Allmählich fürchte ich, dem Wahnsinn anheimzufallen.

Zumal ich den Eindruck habe, dass mich jemand bewusst für seine Zwecke einspannt: Der Mann, in der freien Natur das personifizierte GPS, findet sich offenbar selbst nach einer Woche nicht in unserem Hymermobil zurecht. Ständig fragt er nach Marmelade, Regenjacken, Korkenzieher. Einmal zieht er sage und schreibe drei Schubladen auf, bevor er schließlich - in der vierten - den Mülleimer findet. Und ich muss mich verspotten lassen, wenn ich nicht auswendig weiß, in welcher Richtung Triest liegt?

Erkenntnis 7: Campingplätze kann man aussuchen - die Camper nicht

Kaum rollen wir an, sind wir auch schon aufgeflogen: "Hier kommen die Neuen!" Die Augen der Camper, die auf Klappstühlen vor ihren Wohnwägen hocken, folgen uns. Ein Ehepaar sitzt neben unserem zugewiesenen Platz vor seinem Wohnwagen, vor sich jeweils ein Bier, auf dem Schoß jeder einen Hund. Wir steigen aus und beginnen mit unserem Ritual: heftige Debatte über den perfekten Platz und die optimale Ausrichtung des Wagens. Als wir bemerken, dass wir unter Beobachtung stehen, kommt uns das noch dümmer vor als es ist. Also lassen wir es und steigen wieder ein.

Wie auf Reflex drehen die beiden ihre Stühle in unsere Richtung. Womöglich funktioniert ihr Fernseher ja nicht, jedenfalls scheinen wir eine willkommene Abwechslung zu sein. Jetzt heißt es Ruhe bewahren und das gigantische Gefährt maximal souverän und elegant unter den Bäumen durchmanövrieren. Die beiden kriegen wirklich etwas geboten: Es knirscht, Pinienzapfen rollen übers Dach. Es rumpelt, diese großen Wurzeln sind aber auch schwer zu überwinden. Der Mann steigt wieder aus und winkt und ruft. Ich dreh' am Rad. Immerhin: Wir stehen. Im Rückspiegel sehe ich, wie sie ihre Köpfe zusammenstecken. "Was glotzen die denn so?", schimpfe ich, um meinen Frust zu entladen. "Die sind bestimmt nur neidisch auf unser Hyper-Mobil", mutmaßt das Kind. Dann öffnet es die seitliche Eingangstür, fährt per Knopfdruck die elektrische Einstiegstreppe aus und schreitet majestätisch ins Freie.

Die Gelegenheit für eine freundliche Begrüßung und netten Smalltalk mit den Schoßhundbesitzern ist definitiv verpasst. Ich verbaue die Sicht auf unsere Live-Performance, indem ich demonstrativ die Tür des Laderaums seitlich aufklappe, von dort eine Wäscheleine zum Baum spanne und mit Handtüchern behänge. Wir tragen Tisch, Stühle und Abendbrot Richtung Strand. Die Abendsonne taucht die Szenerie in rötliches Licht, das Meer glitzert, der Wein ist kühl. Nach dem ersten Schluck haben wir vergessen, dass sich hinter uns ein Mikrokosmos namens Campingplatz befindet.

Camper - eine eigene Spezies

Erkenntnis 8: Die Hölle sind immer die anderen

Warum macht es in dieser Campingküche (die zugegebenermaßen ausgesprochen komfortabel ist) eigentlich so viel mehr Spaß, Kaffee zu kochen und Frühstück zu machen, als zu Hause? Womöglich, weil man nicht dauernd hin- und herrennen muss, sondern nur um sich greifen?

Als ich nach dem Frühstück die zweite Kanne aufsetzen will, duftet es bereits, allerdings nach Hundekacke. Unser Sohn hat sie mit seinen Schuhen überall im Wageninneren verteilt, leider ohne zu bemerken, was er da an der Sohle hatte. Wer schon einmal versucht hat, die Ausscheidungen eines Hundes zu beseitigen, weiß, dass etwas selbst dann noch stinken kann, wenn es physikalisch nicht mehr vorhanden ist.

Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie die Nachbarn ihre Klappstühle in Position bringen. Also gehe ich zur Wäscheleine, um die "Theatervorhänge" zu schließen und sehe: Die Ursache liegt direkt vor unserer Eingangstür - Hundescheiße mit Schuhabdruck. Und ich könnte schwören, dass sich die Mundwinkel der benachbarten Hundebesitzer, als ich einen meiner allerbösesten Blicke hinüberschicke, zu einem schadenfrohen Grinsen verziehen. Ich nehme meinen Sohn in den Arm und sage so laut wie möglich: "Ach, das macht nichts. Der arme Hund hatte bestimmt Inkontinenz."

Erkenntnis 9: Wohnmobile sind nicht automatisch mobil

Nach wie vor fühlen wir uns unter Campern wie Außerirdische. Dabei sind es doch die anderen, die eigenartig sind: Sie tragen Adiletten und Trekkingsandale zum Bauch und halten sich vorwiegend auf dem Plastikteppich auf, den sie ausbreiten, um sich die Natur, wegen der sie angereist sind, vom Leib zu halten. Vor allem aber führen sie den Sinn eines Reisemobils ad Absurdum.

So gut wie nie begeben sie sich an den Strand, sind sie allergisch gegen Meerwasser? Manche verlassen den Plastikteppich nur, um sich im Klappstuhl neben oder hinter das Wohnmobil zu platzieren. Eine Frau legt sich vor die Anhängerkupplung und starrt gegen den grünen Nylonstoff ihres Abgrenzungszauns. Im Pinienwald sitzt eine Familie im Vorzelt und nimmt ein spätes Frühstück ein. Mittags sieht man sie immer noch dort sitzen. Auch abends. Das Einzige, das sich verändert, ist die Farbe des Weins - von weiß zu rot.

Warum nehmen diese Menschen die Reise überhaupt auf sich? Wieso verbringen sie ihren Urlaub nicht im nächsten Waldstück oder auf dem Parkplatz eines Discounters um die Ecke? Das jedenfalls hätten wir uns von unseren absonderlichen Nachbarn gewünscht. In solchen Situationen ist ein Haus zum Mitnehmen einfach unbezahlbar - eine Stunde später sind wir unterwegs. Der nächste Ort ist immer der schönste.

Erkenntnis 10: Je weniger Zeug, desto mehr Erholung

Endlich sind wir angekommen. Wir haben verstanden: Auch in einem Wohnmobil aus dem Luxussegment kann man reduziert leben. Je weniger man hat, umso weniger gibt es, um das man sich kümmern muss. Drei Teller, drei Becher, Besteck, ein scharfes Messer, ein Brett, eine Espressokanne, ein Topf, eine Pfanne - das reicht uns als Küchenausstattung. Den Tisch decken, ohne zu überlegen: "Die blauen Teller oder die weißen?" Keine Geschirrspülmaschine, die erst eingeräumt, dann wieder ausgeräumt werden muss. Dasselbe beim Anziehen. Kein Herumstehen vor dem Schrank, weil man nicht nach Stimmung entscheidet, sondern nach Wetterlage - und jeweils nur ein Kleidungsstück infrage kommt: lange Hose, kurze Hose, zwei Shirts, Pulli, Regenjacke, Flipflops, Sneakers. (Dumm nur, wenn man gleich am ersten Abend den Pulli mit Olivenöl oder Tomatensoße bekleckert.)

Man bekommt eine Ahnung, wie wenig man zum Leben braucht. Und was für eine Maschinerie man zu Hause im Alltag am Laufen hält - besser gesagt: wie diese Maschinerie uns am Laufen hält. 100 Quadratmeter Wohnraum, der bezahlt und gereinigt werden muss, obwohl sich darin jede Menge Zeug befindet, das man nur gelegentlich oder gar nicht nutzt. Ein Zuviel an Dingen, das sich als Vielfalt tarnt. Das als Entscheidungsfreiheit daherkommt, uns im Grunde aber ständig Entscheidungen abnötigt.

Die Reduktion von Platz und Dingen schafft Zeit für das Wesentliche: Zusammensein und aufs Meer schauen, den Wind spüren, dem Regen nachts beim Trommeln lauschen. Tag und Nacht an der frischen Luft, Naturgeräusche im Ohr. Der erste Blick morgens fällt auf den blauen Himmel, die Wipfel der Bäume, den Strand. Eigentlich fast schon California Dreaming. Fehlt nur das Surfbrett auf dem Dach - aber, ach, wir surfen ja nicht.

Das Hymermobil ML-I wurde uns vom Hersteller zur Verfügung gestellt.

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