Segeln im Winter:Windiges Vergnügen

Speedflying und Snowkiting - die Winterkälte ist kein Grund auf dem Boden zu bleiben.

Die Formel ist zu kompliziert, um sie hier vorzustellen. Aber man kann ganz einfach sagen: Weil es sie gibt, fliegen Jumbojets und Gleitschirme, und Segelschiffe kreuzen dank dieses Prinzips gegen den Wind. Physiker nennen das den Bernoulli-Effekt, weil ein Italiener namens Daniel Bernoulli im 18. Jahrhundert entsprechende Theorien zur Strömungsmechanik erstellt hat. Es geht darum, dass Flügel fliegen, weil deren Wölbung Unterdruck und dadurch Sog erzeugt.

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(Foto: Foto: ddp)

Genug der grauen Theorie, über deren Richtigkeit die Wissenschaftler ohnehin noch streiten! Die Nase schräg zum Wind gestellt, die Schoten dicht geholt, und schon beginnt die Kraft des Windes zu wirken. Egal ob Luxussegelyacht oder kleine Jolle, das Wunder des aerodynamischen Vortriebs schlägt den Menschen seit jeher in Bann.

Und dann erst die Eroberung der dritten Dimension: Ein paar Schritte, der Gleitschirm fängt Luft, steigt über den Kopf des Piloten, wird zum Flügel, fliegt. Egal ob zehn Meter Luft unterm Hintern oder tausend - das Gefühl, frei wie ein Vogel zu schweben, ist überwältigend.

Es sei denn, es ist Winter. Dann fehlt meist die Thermik zum längeren Gleiten. Der Schirm bleibt im Rucksack, auch die Segelschiffe liegen, dick in die Persenning gehüllt, fest vertäut am Liegeplatz oder stehen gar an Land; und die Bretter der Windsurfer sind in den Garagen dort verstaut, wo während des Sommers die Ski lagern.

Doch weil des Menschen Lust am luftbedingten Vortrieb auch durch Eis und Schnee nicht zu bremsen ist, hat er sich ein paar Dinge ausgedacht, die ab und zu ein bisschen gefährlich zu sein scheinen. Zum Beispiel das Eissegeln, bei dem Geschwindigkeiten wie bei keiner anderen windgetriebenen Wintersportart erreicht werden. Der Weltrekord im Eissegeln liegt bei 229 Kilometer pro Stunde und ist seit 1938 ungebrochen - aufgestellt von dem Amerikaner John Buckstaff mit einer Spezialkonstruktion namens Flying Dutchman.

Wer einmal in einem Eissegler gesessen hat, wird den Rausch der Geschwindigkeit nie vergessen. Geübte Piloten sind locker schneller als 100 Stundenkilometer - obwohl die selben Gesetze gelten wie bei einem Segelboot, das selten schneller ist als zehn Knoten, also umgerechnet 18 km/h.

Logischerweise stammt dieser Sport aus Gegenden, in denen Eis zum winterlichen Alltag gehört, also aus Skandinavien und den Niederlanden. Dort wurden windgetriebene Kufengefährte schon im 17. Jahrhundert zunächst zum Gütertransport benutzt, bevor man sie zum Sportgerät adelte. Auch in Amerika mit seinen riesigen Seen und harten Wintern ist Eissegeln schon lange populär - dort entstanden sowohl die Regattaregeln als auch die Einheits-Yachten mit dem Kürzel DN. Die Abkürzung steht für die Zeitung Detroit News, die die ersten dieser Rennen ausschrieb.

In Deutschland verteilen sich die Eissegelreviere auf die Nord- und Südecke. Nahe der Ostsee wird in der Mündung der Schlei gesegelt, am Plöner See, am Bodden und am Achterwasser. In Berlin lockt, wenn zugefroren, die Müritz, bei Hannover das Steinhuder Meer, im Allgäu der Rotachsee und im Münchner Umland vor allem der Pilsensee.

Die jüngste Variante der windigen Winterspiele heißt Speedflying. Im Gegensatz zum Eissegeln, wo der Bernoulli-Effekt vertikal eingesetzt wird, baut der Sportler hier auf die Horizontale. Das Segel, ein kleiner Gleitschirm mit nur wenigen Luftkammern und klappstabilen Fallschirmprofilen, steht in der Regel über dem Piloten und wird gehalten vom Fahrtwind.

Der nicht ungefährliche Reiz dieser Art der Fortbewegung besteht aus der Mischung aus Skifahren und Gleitschirmfliegen. Allerdings sollte der Pilot beides ziemlich gut können - Ski fahren in nahezu jedem freien Gelände und fliegen wie ein Paragliding-Profi bei unterschiedlichster Thermik.

Doch wer es live gesehen oder gar selbst probiert hat, wird nicht umhin können, dem Speedflying Suchtgefahr zu bescheinigen. Es muss ja nicht gleich so wild zugehen, wie in jenem Youtube-Clip, in dem eine Speedflying-Bewältigung der Eiger-Nordwand dokumentiert ist. Für einen Schnupperflug ist ein weites, leicht coupiertes Gelände ideal - etwa der Belvedere am Sellapass in Südtirol.

Der Pilot legt den Schirm hinter sich aus, schnallt ihn ans Gurtzeug, schlüpft in die Bindung und fährt los. Steht der Schirm sauber über ihm, können mit Bremsleinen und Skiern erste parallele Kurven eingeleitet werden. Ab 30, 40 Kilometer pro Stunde gelingen erste kleinere Hüpfer, jenseits von Tempo 50 wird dann, je nach Gelände, richtig geflogen.

Der Kick: Immer wieder landet der Pilot mit den Skiern, nimmt Fahrt auf und fliegt weiter bis zum nächsten Touchdown. Die größte Gefahr besteht für Zuschauer und skifahrende Nachbarn, denn der Speedflyer düst mit den Kanten oft in Halsschlagaderhöhe vorbei.

Kein Wunder also, dass die etablierte Gleitschirmfliegerei dieser jungen Verwandtschaft skeptisch gegenübersteht und sich bisher weigerte, im verbandseigenen Fachmagazin dhv-Info näher darauf einzugehen. Hier spricht man von "Verrückten" und pflegt die Meinung, dass die Speedflyer dem Image der Tuch-Fliegerei schaden könnten. Denn die Paraglider lieben den Winter vor allem zur Schulung, weil schneebedeckte Berge und Wiesen Turbulenzen verhindern und die Eleven gelassen zu Tale gleiten.

Wenn schon Segler und Gleitschirmflieger den Winter entdeckt haben, wollen die Kitesurfer nicht hintanstehen. Diese wilden Wasserhüpfer nutzen in der kalten Jahreszeit ihren Schirm, um über schneebedeckte Ebenen zu jagen - der Geschwindigkeitsrekord im Snowkiting liegt bei 108 Kilometer pro Stunde. Der Schirm wird wie beim Kitesurfen über eine Stange, die an einem Trapezgurt hängt, mit Leinen gelenkt. Und wie beim Segeln kann der Snowkiter auch "gegen den Wind" fahren - bis zu einem Winkel von etwa 50 Grad.

Wer's richtig raushat, kann sogar bergauf kiten oder hebt mit dem vergleichsweise winzigen Segel ab. Noch sind die Zentral-Alpen um Verbier und Chamonix und der Silvaplana-See im Engadin Hochburgen der Snowkiter. Doch auch bei uns findet dieser Sport zunehmend Freunde. Was vor allem die Krankenversicherungen beschäftigt, die solche Extremsportler noch immer als ganz normale Kassenpatienten führen müssen.

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