Schwimmkurs für Erwachsene:Der Traum vom Meer

Erwachsenenschwimmkurs

Schwimmlehrer Wojciech Bzdula erklärt das Gleiten.

Nahid Heidari träumt davon, eines Tages im Meer zu baden. Bis vor Kurzem konnte sie nicht schwimmen - wie so viele Menschen, die in Deutschland leben. Im Schwimmkurs für Erwachsene lernt sie gemeinsam mit anderen Frauen, wie man sich über Wasser hält.

Von Sonja Salzburger

Sie kämpfen. Gegen das Wasser und gegen sich selbst. Sie liegen auf dem Rücken, mit den Armen klammern sie sich an rote Gummibretter über ihrem Brustkorb, mit den Beinen versuchen sie, das Wasser wegzuschaufeln. Konzentriert starren sie an die Decke. "Die Knie bleiben zusammen. Nur die Unterschenkel bewegen!", ruft Schwimmlehrer Wojciech Bzdula. Sehr langsam kommen Qi Li, Emilia Kowalski, Anna Nowak und Elisabeth Woźniak (Namen von der Redaktion geändert) im Wasser voran. In der Mitte des Beckens bleibt Emilia, die Jüngste aus der Gruppe, zurück. Wie ein Käfer, der auf den Rücken gefallen ist, liegt sie auf der Wasseroberfläche und strampelt mit den Beinen. Wasser spritzt ihr in Augen und Nasenlöcher. Das hübsche Gesicht der jungen Polin verzieht sich zu einer wütenden Grimasse. "Bauch nach oben, Bauch nach oben!", ruft Wojciech. "Nicht das Brett mit den Knien hoch drücken." Er schiebt eine Hand unter Emilias Kopf, um ihr Sicherheit zu vermitteln. Gleich geht es besser.

Seit einem Jahr unterrichtet der Pole an der Schwimmschule München. Vier Frauen kommen seit Anfang Januar jeden Montagabend zu seinem zehnstündigen Kurs in einem kleinen, grün gefliesten Privatschwimmbad in der Nähe des Rosenheimer Platzes. Die jüngste ist 30, die älteste 58 Jahre alt. Ihr gemeinsames Ziel: endlich Schwimmen lernen. Am Ende der Stunde sollen sie eine ganze Bahn alleine schaffen.

In Deutschland gibt es immer mehr Nichtschwimmer

Emilia ist in Polen aufgewachsen. Aber auch in Deutschland sind Nichtschwimmer keine Ausnahme. Die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) schätzt, dass hierzulande etwa zehn Prozent der Menschen überhaupt nicht und weitere zehn Prozent nur sehr schlecht schwimmen können.

In den 60er und 70er Jahren wurde massiv in den Ausbau von Hallenbädern investiert, Schwimmunterricht war ein wichtiger Bestanteil des Sportlehrplans an Schulen. Heute sind die alten Bäder jedoch marode, müssen für viel Geld saniert werden oder dicht machen. Weniger Bäder bedeuten gleichzeitig weniger Übungsmöglichkeiten. Die DLRG macht diese Entwicklung mit dafür verantwortlich, dass in Deutschland nach dem Ende der vierten Klasse nur noch die Hälfte der Schüler das Freischwimmerabzeichen hat. In der alten Bundesrepublik waren es Ende der 1980er Jahre noch mehr als 90 Prozent.

Das Problem: Wer es in der Kindheit nicht lernt, der lernt es auch später nur noch selten. "Mit dem Ende der vierten Klasse ist die Schwimmausbildung in Deutschland weitgehend abgeschlossen", sagt DLRG-Sprecher Martin Janssen. "Unter den Erwachsenen liegt der Anteil derer, die sich entschließen, Schwimmen zu lernen, gerade mal bei vier Prozent."

Viele über 50-Jährige können nicht schwimmen

Den Teilnehmerinnen des Erwachsenenschwimmkurses war es wichtig, dass der Kurs in einem privaten Schwimmbad stattfindet. Zu groß ist die Scham, in der Öffentlichkeit japsend durch ein Schwimmbecken zu strampeln. "Auf Gaffer hätte ich absolut keine Lust", sagt Anna, während sie am Beckenrand darauf wartet, dass auch ihre Mitschülerinnen mit der Übung fertig werden. Was sie nicht weiß: nur knapp die Hälfte der über 50-Jährigen in Deutschland kann schwimmen. Das ist auch deswegen schade, weil Schwimmen zu den wenigen Sportarten gehört, die bis ins hohe Alter betrieben werden können.

Mittlerweile haben alle vier Frauen den Beckenrand erreicht. Zeit für die nächste Übung: Die Armbewegung beim Brustschwimmen. "Jeder nimmt sich eine Schwimmnudel und legt sie unter die Brust", sagt Lehrer Wojciech und verteilt die bunten, elastischen Gummischlangen. Der Schwimmlehrer zeigt, wie es geht. Wie beim Beten hält er seine geschlossenen Hände vor das Brustbeim. Dann streckt er die Arme nach vorne, greift weit entfernt vom Körper ins Wasser und öffnet die Arme wie lange Schwingen. Mit den Handflächen drückt er das Wasser nach außen und macht einen kräftigen Schwimmzug.

Heute ist nicht Qis Tag

Wenn man die Technik nicht richtig beherrscht, kann Schwimmen schnell sehr anstrengend werden. Dieses Mal ist es Qi, der auf halber Strecke die Kraft ausgeht. Die Schwimmnudel rutscht weg, die zierliche Chinesin krallt sich an das Schaumstoffteil, Wasser schwappt ihr ins Gesicht, ihre Augen röten sich vom Chlor. Qi schlingt sich die grüne Schwimmnudel um den Hals, kreuzt sie über der Brust und paddelt auf dem Rücken zum Beckenrand. Eine nasse Strähne des kinnlangen, schwarzen Haares hängt in ihrem Mundwinkel.

Im Becken nebenan müht sich die 26-jährige Nahid Heidari ab, die ihren richtigen Namen ebenfalls nicht in diesem Artikel lesen will. Wie den anderen Frauen ist es ihr peinlich, dass sie nicht richtig schwimmen kann. Sie ist schon im Anfängerkurs 2. Obwohl Nahid in Deutschland aufgewachsen ist, war sie bis vor kurzem Nichtschwimmerin. Ihre Familie stammt aus Afghanistan. Schwimmen zählte nach Ansicht ihrer Eltern nicht zu den Fähigkeiten, die eine Frau unbedingt beherrschen musste.

Zeit für die Prüfung

Am Schwimmunterricht in der Schule hat Nahid frustriert, dass die meisten ihrer Mitschüler schon schwimmen konnten. Viele Stunden hat sie deswegen geschwänzt und wenn sie doch erscheinen musste, paddelte sie nur lustlos am Beckenrand. Ihre Lehrerin musste 30 Schüler auf einmal beaufsichtigen, ihr ist nicht aufgefallen, dass sie eine Nichtschwimmerin im Kurs hatte. "Vielleicht wollte sie es auch nicht sehen", sagt Nahid. Mit den Jahren habe sie eine immer größere Wasserscheu entwickelt. Es wurde so schlimm, dass sie nicht einmal Lust hatte, im Sommer ihre Füße in der Isar abzukühlen. Dann verliebte sie sich in einen Meeresbiologen.

Die letzte Viertelstunde des Kurses hat begonnen. "Prüfungszeit!", ruft Wojciech. Die Frauen sollen der Reihe nach zwei Bahnen ohne Hilfsmittel schwimmen. Wojciech greift nach einer Schwimmnudel und hält sie fünf Zentimeter vor Qis Arme. Langsam kämpft sich die Chinesin voran. Wojciech watet neben ihr im Wasser und hält das Hilfsmittel immer in Griffweise. Nach einigen Metern greift Qi kurz an die rote Schaumstoffschlange, um ein paar Mal Luft zu holen. Trotzdem schafft sie, was Anfang Januar noch undenkbar gewesen wäre. Als sie die andere Seite des Schwimmbeckens erreicht, schlägt sie bei Wojciech ein und lächelt. "Gut gemacht", lobt er.

Endlich im Meer schwimmen

Qi ist 50 Jahre alt, aber sie sieht viel jünger aus. Als einzige Frau aus dem Kurs trägt sie keinen Badeanzug, sondern einen grünen Bikini. Nächste Woche wird sie mit dem Anfängerkurs 2 beginnen, genau wie ihre Mitschülerinnen. "Bis ich richtig schwimmen kann, ist es noch ein langer Weg", sagt sie.

Nach dem Kurs bleibt Qi lange unter der heißen Dusche. Anschließend frottiert sie sich die schwarzen Haare mit einem Handtuch. "Im Schwimmen bin ich einfach gnadenlos untalentiert", sagt Qi und zieht sich ihren grauen Seidenpullover über die schmalen Schultern. Sie leitet eine Firma, die auf asiatische Seide spezialisiert ist. Das Unternehmen läuft gut, doch wenn Qi einen Käufer findet, möchte sie die Firma abgeben und nach Italien auswandern. Sie ist ein Leben lang gerne ans Meer gefahren. Am liebsten würde sie jetzt irgendwo ans Wasser ziehen und ganz oft im Meer schwimmen.

Neben Qi streift sich Nahid ihre Kleider über. Das größte Hobby ihres Freundes, dem Meeresbiologen, ist das Tiefseetauchen, erzählt die junge Frau. Sie setzt sich auf die schmale Holzbank in der Kabine. Auf ihren Gesicht erscheint ein breites Lächeln, als sie von den Fotos aus Ägypten erzählt, die ihr Freund ihr gezeigt hat: Bilder von bunten Fischen, Korallenriffs und prächtigen Unterwasserlandschaften im Roten Meer. Wie gern würde sie ihren Freund eines Tages bei einem Tauchgang begleiten. Im vergangenen Dezember hat sie sich deshalb zum Schwimmkurs angemeldet. Mittlerweile kann sie schon relativ mühelos ein paar Bahnen ziehen. "Ich bin selbst überrascht, wie schnell ich Fortschritte gemacht habe", sagt Nahid. Sie überlegt, sich zum Kraulkurs anzumelden.

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