Schwarz ist nicht nur schwarz:Gothicdienst

Beim größten Wave-Gotik-Treffen der Welt in Leipzig geht es naturgemäß ganz schön düster zu. Aber seit einigen Jahren wird dort auch gebetet.

Von Cornelius Pollmer

Der Gottesdienst am Pfingstsonntag soll gleich beginnen, da bildet sich vor der Herrentoilette der Peterskirche aus dem Nichts eine Schlange. Durch das blumige Fenster sieht man einen Mann vor dem Spiegel hantieren. Er lässt, viele Minuten später, einen erdig-süßlichen Duft zurück und etwas Schminkabfall in dem kleinen Papierkorb unter dem Waschbecken. Dann geht er wieder in den Kirchensaal, wo viele andere geschmückte und geschminkte Menschen sitzen, die selbst dann ein bisschen zu dunkel gekleidet wären, hätte man es hier, an diesem Nachmittag in Leipzig, mit einer Beerdigung zu tun. Hat man aber gar nicht.

Der eigene Glaube kann durch vieles auf die Probe gestellt werden, manchmal sogar durch einen Gottesdienst. Man wagt die Stunden kaum zu schätzen, die man in seinem Leben und nicht nur äußerlich fröstelnd in Kirchenschiffen abgesessen hat. Die Stunden, in denen man leeren Blickes auf einen Pfarrer starrte und sich überlegte, ob er die Predigt wohl bei sich, einem Kollegen oder wieder aus dem Netz abgeschrieben hatte. Die Stunden schließlich, in denen man gern aufgestanden wäre und laut gefragt hätte, ob es nicht ultracool wäre, in Sachen Liturgie mal ein paar neue Freiheiten zu diskutieren. Andererseits gibt es ja doch immer Irritationen, wenn dies tatsächlich mal jemand versucht.

Der "Schwarze Gottesdienst" wird dann doch umbenannt. Er heißt jetzt: "Gothic Christ"

Pfingsten in Leipzig, vor ein paar Jahren. Die Vorderen der Gemeinde in der Peterskirche haben eine kleine Freiheit diskutiert, sie haben ihr Haus geöffnet für einen Freundeskreis und dessen "Schwarzen Gottesdienst", und deswegen klingelt nun das Telefon. Sehr gläubige Menschen aus dem Erzgebirge rufen an, hallo, hallo, was ist denn da bei euch los, satanische Messen, geht's noch? Vor der Kirche wiederum stehen ein paar traurige Satanisten, die die Ankündigung ähnlich missverstanden haben. Es gibt also: Irritationen. Der Schwarze Gottesdienst wird umbenannt, aus Rücksicht auf die Anrufer aus dem Erzgebirge, aber es gibt ihn noch, einmal im Jahr. Er heißt nun "Gothic Christ", dieser Gottesdienst, er hat in seinem Kern wirklich nichts mit Äußerlichkeiten zu tun, aber der Vollständigkeit halber und als kleiner Gruß ins Erzgebirge seien ein paar davon trotzdem beschrieben.

Wave-Gotik-Treffen geht zu Ende

Nach Leipzig kommen einmal im Jahr Typen, die man in dieser Häufigkeit dort sonst nicht antrifft.

(Foto: Jan Woitas/dpa)

Pfingsten in Leipzig, vergangenes Wochenende. Das Wave-Gotik-Treffen liegt wie ein Schleier über der Stadt. Das WGT ist die weltweit größte Zusammenkunft der schwarzen Szene, ein kleiner Teil davon sonnt sich am Sonntag auf dem Vorplatz der Peterskirche. Drinnen, in der Kirche, hört man keine Glocken, aber die Fußglöckchen eines gewaltigen Mantelträgers, die jeden seiner Schritte ausläuten. In Reihe eins sitzt, wie aus der Spielkonsole herausgebeamt, eine pinkfarbene Prinzessin Peach als Gesandte aus dem Super-Mario-Land. Neben ihr nimmt ein schwarzbetülltes Paar Platz. Man hört: "Vorsicht, dein Rock!" Und das steht jetzt nur deswegen hier, weil die Frau es ist, die ihren Freund so umsichtig warnt.

Um all diese Äußerlichkeiten aber geht es, wie gesagt, im Grunde überhaupt nicht. Es geht um Franz Steinert, um Patrik Thiele und um ihren Freundeskreis, der Gothic Christ Jahr für Jahr in die Peterskirche bringt. Steinert und Thiele sind christlichen Glaubens, und sollte man diesen schwarzen Gottesdienst als Bekenntnis zu diesem Glauben am Ende irgendwie sonderbar finden, dann hätte das weniger mit den beiden zu tun als mit einem selbst, mit den eigenen Vorurteilen und mit den Scheuklappen, die vielleicht ein bisschen zu fest an den Kopf geschnürt sind.

Die schwarze Szene ist eine Blackbox. Wer sich darunter verlorene Seelen vorstellt, die mit Lidvollschatten auf Friedhöfen abhängen, um die Hölle anzurufen, der mag nur in ein paar wenigen Einzelfällen recht bekommen. Der kleinste gemeinsame Nenner dieser Szene aber ist, zumindest theoretisch, die Toleranz gegenüber Abweichungen von der gesellschaftlichen Norm. Viele finden über die Musik in diese Szene, auch über Ästhetik und, ja, auch, über das Dunkle, aber selbst das ist in seinen Farben ja so reich wie ein Regenbogen.

Wave-Gotik-Treffen 2015

Auch die Gothic-Szene hat Sinn für Gottesdienste. Wenn auch etwas anders.

(Foto: Jan Woitas/dpa)

Bei Franz Steinert und Patrik Thiele steckt der Teufel nicht einmal im Detail. Steinert, 31, zwei Kinder, arbeitet an der Uni Leipzig. Er sagt, er habe schon als kleiner Junge erste Erfahrungen mit dem Tod gemacht, aber das lag nun mal daran, dass sein Vater in der evangelischen Gemeinde in Glauchau für den Friedhof zuständig war. Steinert schaufelte an den Gräbern mit, aber er war auch mit dabei, als seine Eltern in die Umgebung auszogen, um andere Gemeinden kennenzulernen. "Landeskirchliche Gottesdienste, charismatische Gottesdienste wie bei den Jesus-Freaks, ich habe ganz unterschiedliche Formen kennengelernt. Fasziniert hat mich, dass es trotz dieser unterschiedlichen Formen überall einen gemeinsamen Kern gab", sagt Steinert. Und der Gottesdienst bei Gothic Christ, das ist eben eine weitere Form.

Pfarrer für einen Tag ist bei diesem Gottesdienst alljährlich Patrik Thiele, 39, Schriftsteller. Über das Mystische, das Geheimnisvolle fand Thiele in die schwarze Szene und, später erst und über diese Szene, zum Glauben. "Auch ich habe diese Sehnsucht nach einem Leben, nach einer Existenz über die Gegenwart hinaus. Und diese Mystik gibt es bei den Gothics genau wie bei den Christen." Anders als Steinert gehört Thiele an den anderen 364 Tagen im Jahr keiner Gemeinde an, ein Gefühl der Fremdheit in solchen Kreisen ist geblieben. "Ich saß manchmal nach Gottesdiensten zwei Stunden mit Menschen zusammen, die über Kindererziehung redeten, über Gardineneinkäufe und darüber, was am Haus gemacht werden muss", sagt Thiele. "Das ist natürlich in Ordnung, aber ich hatte da nichts Adäquates beizutragen, ich hätte da nur von literarischen Strömungen oder Grenzerfahrungen in Portugal berichten können." Er habe noch immer das Gefühl, "dass man etwas fremd ist in dieser Welt, man passt nicht richtig hinein." Thiele stoppt, dann sagt er: "Das kann man als Christ aber ganz gut kompensieren."

Die schwarze Predigt ist bildgewaltig, aber aber auch was für Otto Normalkirchengänger

Man kann es noch besser kompensieren, wenn es einem möglich ist, seinen Glauben so auszuleben, wie man das gerne möchte. Bei Gothic Christ wird die neogotische Peterskirche am Pfingstsonntag für ein paar Stunden zur gothischen Kirche. "Fackel und Schwert - Eine innere Reise", heißt der Gottesdienst in diesem Jahr, und zwischendurch scheint es, als ginge es dabei mehr um GoT als um Gott, mehr um "Game of Thrones" als um den Glauben. Patrik Thiele steht im Altarraum neben einer Fackel, er hat ein Schwert in der Hand und schaut aus einem weichen Gemeindepädagogengesicht mild in die Menge. Seine Predigt ist eher lyrisch, Bilder und Symbole überlagern sich, Thiele spricht vom Glauben "als Schild und Schutz gegen die Pfeile des Bösen, die manchmal mehr sind als nur ein bloßes Gleichnis." Die Fackel könne helfen, das Dunkel zu erleuchten, das Schwert wiederum sei ein dienlicher Helfer, das Böse vom Guten zu scheiden oder das Unwichtige vom Wichtigen. Diese schwarze Predigt ist, das mag man nun überraschend finden oder nicht, bildgewaltig, aber man könnte mit ihr auch als Otto Normalkirchengänger und an einem Sonntagmorgen etwas anfangen.

Wave-Gotik-Treffen 2015

Hier das Viktorianische Picknick im Clara-Zetkin-Park.

(Foto: Jan Woitas /dpa)

Franz Steinert sagt, er habe viel pietistische Frömmigkeit kennengelernt, da ging es um handlungsorientierten Glauben, um das Machbare. Rationalität aber bestimme doch schon den Alltag. Das Geheimnisvolle, die Unerklärbarkeit von Dingen, um die es auch bei Gothic Christ geht, empfinde er deswegen nicht als Beschränkung, sondern als Anstoß zu glauben. Gott sei für ihn die höchste Autorität, und Glaube bedeute, einen, seinen Bezug zu ihm zu suchen, "Gott mehr sein zu lassen als nur eine Gesetzestafel, und so verstehe ich die Bibel. Erst wenn meine persönliche Beziehung zu Gott eine Rolle spielt, wird Kirche mehr als ein Gesangsverein." Patrik Thiele ist konfessionslos aufgewachsen, "ich kannte auch keine Christen". Durch den Glauben habe er Vertrauen und sich Anvertrauen gelernt, und mit der Predigt verbinde er "den Anspruch, den Leuten die Bibel näherzubringen". Daran kann man eigentlich per se nichts Schlechtes finden, selbst wenn man als Christ im Erzgebirge wohnt und über einen Telefonanschluss verfügt.

Früher gab es für die Tage des Wave-Gotik-Treffens bei den Leipziger Kirchen ein Moratorium: Wir lassen die nicht rein, die Schwarzen. Inzwischen gibt es auch Akzeptanz und Neugier, und in der Peterskirche fast schon Routine. Irritationen aber wird es immer wieder mal geben, von unterschiedlicher Seite. Auch bei Patrik Thiele sind schon Beschwerden eingegangen. Nach einem der Gottesdienste stand, plötzlich, ein Grüppchen in Lack und Leder vor ihm. Seine Predigt, sagten sie, die sei ihnen irgendwie zu normal gewesen.

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