Schönheitsideale der Kulturen:Bin ich nicht schön?

Braun oder blass, rund oder schlank: Was hier gefällt, muss dort nicht unbedingt als schön gelten - kommt immer darauf an, wo man lebt. Aber man kann ja nachhelfen.

Ines Schipperges und Violetta Simon

Natürlich gibt es Wichtigeres. Es kommt auf den Charakter an. Dennoch fragen sich täglich Millionen Menschen beim Blick in den Spiegel: "Bin ich schön?" Die ehrliche Antwort lautet: Es kommt darauf an. Darauf, wo man sich gerade befindet. Denn Schönheit ist relativ, und schön sind immer die anderen.

Asiatin, westlich gestylt

Helle Haut, rötliches Haar, betonte Augenlider - das Idealbild vieler Asiatinnen.

(Foto: Foto: iStockphotos)

Laut Schätzungen des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) ist die Zahl der Schönheitsoperationen auf weit mehr als 400.000 im Jahr gestiegen. Auf Platz eins in der Beliebtheitsskala steht die Liposuktion - besser bekannt unter der Bezeichnung "Fettabsaugen" - trotz möglicher Komplikationen wie Gasbrandinfektionen, Infektionskrankheiten der Haut und Unterhaut, Thrombosen, Embolien oder in seltenen Fällen sogar Tod durch Verletzung innerer Organe.

Doch was in Deutschland als schön gilt, muss in anderen Ländern noch lange nicht gefallen; die Schönheitsideale sind nämlich von Kultur zu Kultur verschieden. Der Hamburger Schönheitschirurg Afschin Fatemi, Gründer von vier Fachkliniken für ästhetische Chirurgie in Deutschland, ist der Meinung: Es gibt kein allgemeingültiges Schönheitsideal. "Die Menschen möchten sich von der Masse abheben", erklärt der 36-Jährige. Schön ist eben, was schwer erreichbar ist. Und schön ist, was für Wohlstand, Einfluss und Ansehen steht.

Während sich die einen unter Inkaufnahme solcher Risiken das überschüssige Fett entfernen lassen, schwärmt man in weniger wohlhabenden Ländern von üppigen Rundungen. Paradox und konsequent zugleich: Wo es genug zu essen gibt, besteht die Herausforderung darin, sich zu zügeln, Diät zu halten und sich im Fitnesstudio zu quälen. Zum Statussymbol werden Personal Trainer und Ernährungsberater. Neid als Motiv und Maßstab der unterschiedlichen Schönheitsideale - der Mensch sehne sich danach, etwas Besonderes zu sein, erklärt Fatemi.

"Etwas Besonderes" ist man in Asien, wenn man über eine Lidfalte verfügt. Was unter Europäern als "Mandelaugen" bewundert wird, gilt dort als Manko. Deshalb steht die Lidplastik auf Platz eins der beliebtesten Korrekturen - weit vor Fettabsaugung, Brustvergrößerung oder Faltenunterspritzung. Es sei nicht ungewöhnlich, dass Kinder - auch Jungs - bereits zu ihrem elften Geburtstag eine Lidfalte geschenkte bekämen, berichtet Fatemi.

Während man in Europa und Amerika die optische Verjüngung anstrebt, sind viele Eingriffe in Asien ethnisch motoviert. Entsprechend groß ist die Sehnsucht nach heller Haut. Wer blass ist, ist vornehm, wer blass ist, ist reich, hat es geschafft, hat es zu etwas gebracht. Das Zeichen der Privilegierten ist das makellose Weiß ihrer Haut. Deshalb verwenden viele Asiaten Hautcremes mit Bleichmitteln, die die Pigmentierung zerstören - und leider häufig Krebs erzeugen. Auch der Sonnenschirm ist immer dabei.

Ganz anders in den westlichen Kulturen: Wer braungebrannt ist, schuftet nicht auf dem Feld - höchstens mal ein Stündchen im eigenen Garten. Wer braun ist, gilt als attraktiv, weil er es sich leisten kann, stundenlang in der Sonne zu schmoren: zum Vergnügen, nicht zum Malochen. Weil er sich den Urlaub auf den Malediven leisten kann, während die Daheimgebliebenen mit den Zähnen klappern und heimlich knirschen. Bräune ist sexy, weil sie für die Welt außerhalb des verstaubten Büros steht, für Sonne, Strand und Meer, für Lebensfreude, Unabhängigkeit und Freiheit.

Dass das Bild von Schönheit immer mit den gesellschaftlichen Verhältnissen der jeweiligen Kultur zusammenhängt, zeigt sich auch in Amerika. "Bei den brasilianischen Frauen", erklärt Fatemi, "galt es lange Zeit als schick, kleine Brüste zu haben." Große Brüste waren ein Hinweis auf die ethnische Herkunft und damit "Ausdruck der ärmeren Gesellschaft". Die weiße, die reiche Bevölkerungsschicht brüstete sich mit einer geringeren Oberweite. In den USA war und ist es genau umgekehrt - denn mit Geld kann man sich bekanntlich vieles kaufen, unter anderem die gewünschte Körbchengröße.

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Bin ich nicht schön?

Doch auch im Wandel einer Kultur definieren sich Schönheitstrends: "Heute lassen sich die Brasilianerinnen die Oberweite eher vergrößern als verkleinern - und passen sich den Maßstäben Europas und Nordamerikas an", sagt Fatemi.

Solche Maßstäbe funktionieren aber nicht nur innerhalb einzelner Kulturen. Immer noch gilt die westliche Gesellschaft weltweit als Symbol für Wohlstand und hat eine Vorbildsfunktion, die sich auf das Schönheitsbild vieler anderen Kulturen auswirkt.

"Asien schielt nach den westlichen Standards", erläutert Fatemi. Eine der bei Männern wie auch Frauen beliebtesten Operationen ist die plastische Lidkorrektur: Die Augen werden runder, größer - westlicher. "Mit diesem Trend wird nicht nur ein bestimmtes Ideal verfolgt", meint Fatemi. "Das ist ein tiefgreifender Einschnitt." Viele Asiaten würden ihr Aussehen der Europäern angleichen. Und so lassen sich auch Afroamerikaner ihre Haarpracht entkräuseln, im Iran steigt die Zahl der Nasenoperationen: Die Welt orientiert sich gen Westen.

Die eigenen, kulturbedingten Schönheitsideale bleiben dennoch erhalten - und verblüffen bisweilen durch Gegensätzlichkeit. In Korea beispielsweise, weiß Fatemi, lassen sich Frauen einen Teil der Kopfbehaarung in die Intimzone transplantieren. "Eine üppige Schambehaarung steht dort für Fruchtbarkeit und damit für Attraktivität", sagt er. Das in der westlichen Gesellschaft gängige Schönheitsideal verlangt das Gegenteil: Hier wird gestutzt, rasiert, gewachst.

Da die Haare der Koreaner generell eher fein und dünn sind, gilt der Gedanke: je mehr, desto besser - egal wo. Die so unterschiedlichen Vorlieben erklärt Fatemi einmal mehr mit dem Wunsch nach dem, was man gerade nicht hat. "Ein kulturell gewachsener Trend" sei dieses Phänomen, meint Fatemi, auch wenn uns das seltsam vorkomme.

Seltsam erscheint es auch, dass gerade im Mittleren Osten, wo immer noch häufig der Zwang zur Verschleierung herrscht, die Zahl der Schönheitsoperationen in den letzten Jahren rapide ansteigt. Das Phänomen, dass auch die Körperteile, die nicht der Öffentlichkeit preisgegeben werden, verschönert werden sollen, beobachtete Fatemi vor allem in Iran und im Libanon. "Die Vorliebe für Schönheitsoperationen scheint äußerlich betrachtet im Widerspruch zur Kultur dieser Länder zu stehen", meint er. "Der Grund dafür ist vielleicht ihr ausgeprägter Sinn für Ästhetik."

Schönheitsoperationen - beliebt, aber verachtet

In Deutschland, wo selbst harmlose Beinrasuren lange Zeit mit Misstrauen betrachtet wurden, sind Eingriffe wie Faltenbehandlung, Laserbehandlungen des Gesichts, Brustverkleinerung, Brustvergrößerung, Korrekturen von Nase, Augenlid und Ohren immer noch verpönt: "Man macht es, aber man steht nicht dazu", sagt Fatemi. Im europäischen Vergleich gehen insbesondere die Italiener und die Spanier recht locker mit dieser Thematik um. Ihrem eitlen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi verdanken italienische Haarchirurgen einen Boom ihres Geschäfts. Immer mehr Kahlköpfe wollen es ihm gleichtun und mittels einer Haartransplantation Abhilfe schaffen.

Neben Iran und dem Libanon helfen vor allem auch Japan und Korea, die USA und Brasilien künstlich nach, wo die Natur ihnen nicht genügt. Generell, meint Fatemi, ließen sich deutlich mehr Frauen operieren. Bemerkenswert sei aber, dass gerade in den Ländern, in denen das "Machotum" regiere, die Männer in Bezug auf Schönheitsoperationen hinterherhinkten.

Ein einheitliches Schönheitsideal existiert also nicht - obwohl die Welt immer dichter zusammenrückt. Dennoch gibt es eine Art Basis der Schönheit, Grundprinzipien, die über die Kulturen und Individuen hinweg stets als schön galten und gelten. So wünschen sich beispielsweise Europäer ebenso wie Asiaten eine gerade und schmale Nase. Nur, dass sich die Maßnahmen, die für diesen Wunsch erforderlich sind, unterscheiden. Das Ergebnis: Asiaten und Europäer haben dieselben Nasen - Globalisierung deluxe.

Abgesehen von kulturellen Unterschieden: Auch die Zeit beeinflusst den Geschmack und die Schönheitsideale der Gesellschaft: Jahrelang galt das Muttermal im Gesicht von Brigit Bardot und Cindy Crawford als erotisches Markenzeichen. Sarah Jessica Parker hat auch so eines - und hat es sich kürzlich entfernen lassen.

Egal, in welchem Kulturkreis oder welcher Epoche der Mensch sich bewegt: Dass ästhetische Korrekturen die Zufriedenheit mit dem eigenen Aussehen nicht automatisch erhöhen, belegt eine Studie des Instituts für Rechtsmedizin an der Universität Bonn: Demnach werden allein in Deutschland jährlich 40.000 Klagen auf Schmerzensgeld eingereicht - von denen aber nur etwa sieben Prozent als echte Behandlungsfehler anerkannt werden. Umfragen der Verbraucherzentrale Bundesverband haben ergeben, dass jeder vierte Befragte mit dem Ergebnis unzufrieden ist.

In den meisten Fällen hatten die Patienten wohl einfach zu hohe Erwartungen an die Ästhetische Chirurgie. Sich selbst anzunehmen, wie man ist, wäre in diesem Fall die bessere Option gewesen.

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