Schön doof:Vorsicht, Supermami

Schön doof: Illustration: Bene Rohlmann

Illustration: Bene Rohlmann

Eine besorgte Mutter will die Bundesjugendspiele mit einer Online-Petition abschaffen. Bloß nicht, warnt Hilmar Klute. Wie soll man denn sonst von Niederlagen lernen?

Von Hilmar Klute

Es gibt, wie alle wissen, schöne und weniger schöne Erinnerungen an die Zeit, als man noch sehr jung war. Zu den schönen Erinnerungen zählt die Tatsache, dass man sehr jung war; weniger schön waren die Bundesjugendspiele. Natürlich waren die Bundesjugendspiele auch nicht die Pest, es gab viel schlimmere Ereignisse, die nicht stattfindende Versetzung zum Beispiel. Bei den Bundesjugendspielen zeigte sich nun mal, wer sportlich ist und wer weniger sportlich ist. Am Ende bekam aber jeder eine Urkunde, die - jedenfalls in Nordrhein-Westfalen - von Willy Weyer unterschrieben wurde, der Name klang wie der einer Figur aus den Donald-Duck-Heften. Willy Weyer war der Vorsitzende des Deutschen Sportbunds. Die Eltern standen entschieden hinter der Idee der Bundesjugendspiele - sich an den Leistungen anderer zu messen, galt als ehrenhaft und stärkte zudem das Selbstvertrauen.

Wir reden, wie gesagt, von früher. Heute will die Bloggerin, Mutter und Autorin Christine Finke mit einer Online-Petition die Bundesjugendspiele abschaffen, weil ihr Sohn heulend nach Hause kam - der Sohn hatte bei den Bundesjugendspielen sehr schlecht abgeschnitten, also: komplett versagt, wie man früher nasedrehend und fingerzeigend sagte. Online-Petitionen sind in letzter Zeit sehr in Mode gekommen. Wenn irgendeiner Blog-Mimose irgendetwas im öffentlichen Raum zu bös, zu streng oder sonst wie unbehaglich erscheint, will sie es per Online-Petition abschaffen. Abgeschafft werden sollten in letzter Zeit: Markus Lanz, Franz Josef Wagner und der Euro.

Nun also die Bundesjugendspiele - jenes heitere Sportfest für Mädchen und Jungen, bei welchem endlich mal die unsportliche Spreu vom sportlichen Weizen getrennt wird. Christine Finke empfindet es als ungerecht, dass Menschen nach ihren körperlichen Leistungen beurteilt werden und begegnet in ihrem Blog vielen ähnlich Denkenden, die ihr in der Sandkastensprache der Erwachsenen ("Ich verstehe deine Punkte voll und ganz") beipflichten, als hätte es nie einen Willy Weyer gegeben.

Das Traurige ist natürlich, dass die Kinder all dieser Blogger-Mütter nie in den Genuss kommen, die Tiefen der Demütigung mit dem Zauber des Triumphes abzugleichen und somit die Welt zu verstehen. Nicht die Welt von Christine Finke natürlich, also die mit Sagrotan ausgeriebene Wattewelt der Deine-Punkte-voll-und-ganz-Versteher. Sondern die richtige Welt, in der immer ein paar unterwegs sind, welche die anderen überholen. Und in welcher die Überholten irgendwann kapieren, dass sie sich halt mal was ausdenken müssen, damit sie demnächst zu den Überholenden gehören. Vielleicht werden Christine Finkes Kinder bald in einer Welt ohne Bundesjugendspiele leben und jeden Tag unbeschädigt in die lieben Arme der Blog-Mama laufen. Wahrscheinlich ist aber, dass sie später auf der Heulsusen-Klaviatur der öffentlichen Empörung klimpern und mit Online-Petitionen alles abschaffen, was das Leben schön und schwierig macht.

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