Schön doof:Spielend Äpfel ernten

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Brettspiele sollen Spaß machen und dem Kind die Kulturtechnik der Niederlage nahebringen.Das reicht eigentlich, findet Hilmar Klute. Denkste!

Von Hilmar Klute

Wenn Erwachsene mit Kindern bei Brettspielen zusammensitzen, kommt der Augenblick, da das Kind sämtliche Spielfiguren mit einem Handstreich von der Fläche fegt. Warum? Weil der Erfolgsertrag aus dem Spiel deutlich unter der Toleranzgrenze des Kindes liegt. Ein Kind, das zweimal hintereinander beim Mensch-ärgere-Dich-nicht rausfliegt, zweifelt am Glücksversprechen des Lebens.

Es vermutet, dass sich unsichtbare Schicksalsmächte gegen es verschworen haben; vielleicht erschreckt ihn auch einfach die Tatsache, dass der Opa doch noch nicht so verkalkt ist wie angenommen und stattdessen mit Glück und Geschick ziemlich solide Spielergebnisse erzielen kann.

Brettspiele dienen, sofern sie überhaupt einen pädagogischen Nutzen außer dem Zeitvertreib haben sollten, hauptsächlich dazu, dem Kind die Kulturtechnik der Niederlage nahezubringen. Das reicht für einen verregneten Nachmittag als moralisches Rüstzeug völlig aus. Es ist aber leider so, dass immer mehr Hersteller den Ehrgeiz haben, Kinder mit ihren Brettspielen zu belehren, zu erziehen, zu formen oder ihnen sonst wie auf den Zeiger zu gehen. Ein mahnendes Beispiel könnte das Brettspiel "Obstgarten" abgeben, eine Art veganes Erziehungsprojekt für die Quality Time am verlängerten Wochenende.

Das Spiel selbst ist kreuzöde, man würfelt und muss Früchte vom Baum sammeln; dabei würden Kinder die Früchte lieber mit der Pumpgun vom Baum schießen dürfen. Der einzige Gegner in diesem Spiel ist der Rabe, der in Erntekonkurrenz zu den kleinen Spielern steht. Gerne würden die Kinder den Raben mit dem Präzisionsgewehr vom Baum schießen. Geht aber nicht bei Obstgarten. Bei Obstgarten lernen Kinder vielmehr "das Verständnis der Landwirtschaft, dass Früchte geerntet werden müssen und man sich vor frechen Tieren schützen muss, um einen vollen Ernteertrag zu erzielen."

Keiner verliert, die Raben sind frech, und die Spielfiguren sind alle aus Holz. Wer mit seinen Kindern Obstgarten spielt, mag einen nervlich ausgewogenen Spieletag erleben. Sein Kind weiß, dass man Äpfel ernten muss; das kann er ihm auch mit einem veganen Youtube-Video erläutern. Ist er vorbereitet auf den Augenblick, da sein Kind bei fremden Leuten in ein Spiel mit harten Bandagen verwickelt wird, in Monopoly, Mühle und Scrabble? Und wie will er ihm danach erklären, dass es Raben nicht nur in der Tierwelt gibt?

© SZ vom 03.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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