Schön Doof:Lieber davonlaufen

Schön Doof

Illustration: Bene Rohlmann

In unserer Lieblingsstadt Wien gibt es jetzt auch schwule und lesbische Ampelmännchen. Sie zeigen auf zärtliche Weise grün oder rot an. Ein leuchtendes Beispiel für mehr Toleranz?

Von Hilmar Klute

In Wien folgte vor einigen Monaten auf eine sehr zarte eine sehr grobe Szene. Zunächst die zarte: Ein lesbisches Pärchen begrüßte sich im berühmten Café Prückel mit einem langen Kuss. Nun die grobe Szene: Die Geschäftsführerin warf die beiden Frauen umgehend aus dem Lokal, weil, so Christl Sedlar -Palouda, die "Zurschaustellung der Andersartigkeit" nicht in ein Traditionscafé wie das Prückel passe. Am nächsten Tag versammelten sich Tausende, ach lass es Hunderttausende gewesen sein, zu einer Kuss-Demo vor dem Prückel, das daraufhin seine Einspänner im Stall lassen musste. Für Menschen, die lange nicht geküsst haben, sind solche Demonstrationen besonders geeignet, weil sie dort erstens mal wieder küssen und zweitens zeigen können, dass sie gegen Homophobie und Transphobie sind.

Nun dürfte aber jeder Mensch, der nicht ganz meschugge oder Christl Sedlar-Palouda ist, gegen Homophobie sein, weil schwul und lesbisch zu sein genau so normal ist, wie mehrmals am Tag über eine Fußgängerampel zu gehen, ohne dass man darüber nachdenkt, ob auch Schwule oder Lesben über diese Fußgängerampel gehen. Wichtig an der Fußgängerampel ist ja eigentlich nur, dass man stehen bleibt, wenn das rote Männchen aufleuchtet und dass man losläuft, wenn das grüne Männchen dazu einlädt. Die Menschen in Wien sind nach der Prückel-Geschichte im Genderbereich jetzt ein bisschen sensibilisierter als Menschen in anderen Städten. Das ist vielleicht die Erklärung für die verkehrstechnische Neuerung am Schottentor: Dort stehen Ampeln, auf der sind die Ampelmenschchen lesbisch und schwul. Ein Herz, je nach Verkehrslage grün oder rot, schwebt über den Paaren, in Wien gilt ab jetzt: Wer schwul ist und grünes Licht hat, kann über die Ringstraße gehen, wer lesbisch ist und Rot angezeigt bekommt, muss stehen bleiben. Für Heterosexuelle gilt das natürlich auch, aber für sie gibt es keine Ampelmenschchen-Pärchen, sondern nur einzelne Männchen. Warum homosexuelle Ampelmenschchen grundsätzlich in love über die Straße gehen, weiß man nicht; vielleicht denken die Wiener, dass Schwule und Lesben grundsätzlich ein rotes oder grünes Herz über sich schweben haben, weil sie nichts anderes kennen als Verliebtsein. Weil sie, wo sie gehen und stehen, der Zügellosigkeit ausgeliefert sind, dem unablässigen Begehren. Aber lehrt das Leben nicht, dass es unter Lesben auch Frauen gibt, die Frauen lieben, aber im Augenblick keine bestimmte Frau lieben können oder wollen, weil sie Single sind? Und dass es sich bei schwulen Männern ganz ähnlich verhält? Es ist, liebe nicht schwule Wiener, nämlich so: Der eine oder die andere möchte manchmal einfach nur über die Straße gehen, ohne dabei an die eigene sexuelle Orientierung denken zu müssen.

Wenn Menschen, die nicht schwul oder lesbisch sind, ganz viel Liebes für Schwule und Lesben tun wollen, möchte man als Schwuler oder als Lesbe am liebsten davonrennen und hoffen, dass wenigstens die Ampeltranse Grün zeigt.

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