Schön Doof:Kurznachricht an Sackgesicht

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Illustration: Bene Rohlmann (Foto: N/A)

Wer regelmäßig S-Bahn fährt, liest sehr oft SMS von wildfremden Menschen mit - ganz ohne jede Absicht natürlich. Und erlernt dabei einiges über Schwanenschwärme, Podologen und Killerviren.

Von Hilmar Klute

Lange dachte man, es sei unmöglich, die Gedanken eines anderes Menschen lesen zu können. Dann kam das Smartphone und machte die schnell getippte Kurznachricht populär, ohne die heute eine S-Bahn-Fahrt nicht mehr den Namen S-Bahn-Fahrt verdient. Man muss überhaupt kein neugierverkrümmter Glotzer sein, um bereits um halb neun in der Früh über die Vorhaben, Vorlieben und leider eben auch Nöte ganz wildfremder Menschen in Kenntnis gesetzt zu werden. Man muss nur imstande sein, digitale Texteinheiten rasch und richtig zu erfassen.

Manches davon liest sich so schön und anregend wie jener Kommentar unter einem Handyfoto von blitzweißen Schwänen, die an ein städtisches Ufer andocken: "Plötzlich kamen sie einfach zu uns geschwommen", stand dort. Aus diesen Worten, die Tier und Mensch als sich einander erkennende Verwandte begreifen, steigt eine Wärme und Zärtlichkeit auf, die gegen jede Ironie gefeit ist.

Auf dem Smartphone des Mannes neben der Frau mit der Schwan-Erfahrung war dagegen Beunruhigendes zu lesen: "Ich komme jetzt in die Sitzung, obwohl mich das Virus noch ziemlich in seinen Klauen hat." Wie bitte? Ein Mann, der eigentlich auf die Quarantänestation einer Tropenklinik gehört, steht neben einem in der S-Bahn und nimmt billigend in Kauf, dass dieses Virus auch unsereins demnächst in seine Klauen bekommt? Am liebsten möchte man ihm jetzt sofort eine SMS schreiben mit dem Wortlaut: "Leg dich ins Bett, du Sackgesicht!" Aber das tut man schon deshalb nicht, weil man die Nummer des Herrn nicht besitzt.

Einen Sitzplatz in der S-Bahn zu haben, ist besonders dann von Vorteil, wenn man heimlich einer Whatsapp-Unterhaltung beiwohnen möchte. Wie schnell das alles geht: "Du kannst aber auch das Saftkornbrot vom LPG-Supermarkt mitbringen." - "Das ist ein Riesenumweg!" - Ich hab neulich auch mal für dich einen Riesenumweg gemacht." "??" - "Als du deine EC-Karte vergessen hattest und die Podologin nur Bargeld annahm." Zu wissen, dass eine Podologin für medizinische Fußpflege ausgebildet ist, muss hier kein Nachteil sein. Bei den Unterhaltungen Liebender muss man nicht verschämt zur Seite blicken, sie sind oft von schöner Unverstelltheit und damit den Anweisungen von Business-Frauen ähnlich. Eine schrieb neulich in der Metrobahn: "Kuck nochmal drauf, ob alles stimmt. Und dann: finales Go." Man ertappt sich selbst dabei, zu denken: Es gibt blödere Ratschläge als diesen.

© SZ vom 13.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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