Schön doof:Eins plus eins gleich Sauerland

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Der frisch gewählte französische Staatspräsident Emmanuel Macron hat einen Star-Mathematiker in sein Team geholt. Gut so, findet Cornelius Pollmer, denn Nerds sind jetzt wichtiger als Nörgler.

Eine heiter-grundsätzliche Einlassung zur Mathematik lieferte Franz Müntefering im Jahr 2006, als sich mal wieder eine Rentendebatte über das Land gelegt hatte wie ein quellgraues Tief. Müntefering wollte eine Heraufsetzung des Eintrittsalters auf 67 Jahre und er wusste die Notwendigkeit zu begründen: weniger Kinder, die später zu arbeiten begönnen, früher aufhörten, dann auch noch länger lebten - wenn man all dies beachte, so Müntefering, dann müsse man "kein Mathematiker sein, da reicht Volksschule Sauerland, um zu wissen: Wir müssen irgendetwas machen".

Was dem Zitat neben dem Verweis auf grundsätzliche Kausalzusammenhänge auch innewohnte, das war eine gewisse Spöttelei. Gut zehn Jahre später wird der Mathematik nicht mehr mit Spott, wohl aber mit Verwunderung begegnet. "Star-Mathematiker will für Macron ins Parlament" meldete Die Zeit diese Woche vorab, und es lohnte, sich daraufhin eingehender mit Cédric Villani zu befassen. Villani ist Träger der nobelpreisäquivalenten Fields-Medaille und er hat darauf hingewiesen, dass große Herausforderungen der Zukunft in ihrem Kern mathematische Fragen betreffen: künstliche Intelligenz, Klimawandel, autonomes Fahren. Zieht man zusätzlich in Betracht, dass diese wichtigen Fragen derzeit weniger Beachtung finden, weil die Welt damit beschäftigt ist, alle paar Sekunden den Twitter-Account von Sie-wissen-schon-wem zu checken, dann darf einem der alte Enzensberger einfallen und dessen Satz, dass die Rationalität allen menschlichen Gesellschaften fremd sei: "Es sind eben immer die Leute, die den Betrieb stören."

Es dürfen also gerne noch mehr Mathematiker in die Politik drängen, als Vertreter einer Zunft, die nicht per Wortklauberei an der Oberfläche nach Glanz sucht, sondern selbigen in möglichst schlichten Beweisführungen findet. Der Mathematik geht es um Überprüfbarkeit, nicht um Anschein, es geht ihr um grundsätzlich Wahres, nicht um Augenblickliches. Am Ende könnte sie sogar helfen, politische Prozesse besser zu gestalten. Oft ist es bei nächtlichen Gipfeltreffen ja so, dass alle sich blockieren und Angela Merkel dann trotzdem ein Ergebnis verkündet. Erst geht lange nichts, dann schnell sehr viel - wie kann das sein? Man müsse, sagte Merkel einmal, in solchen Nächten vertrauen und zwar "auf die Existenz der Exponentialkurve". Mal so richtig polemisch formuliert: Beschreibt die Abszisse dieser Lernkurve die Zeit t, so liegt die Volksschule Sauerland recht nah am Koordinatenursprung.

© SZ vom 03.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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