Schön doof:Die Wurst-Lüge

Schön doof: Illustration: Bene Rohlmann

Illustration: Bene Rohlmann

Die Deutschen wollen sich gesünder ernähren? Das ist eine deftige Lüge, weiß Christina Berndt. Erste Wahl in der Kantine ist und bleibt die: Currywurst.

Die Deutschen wollen sich gesünder ernähren? Das ist eine deftige Lüge, weiß Christina Berndt. Erste Wahl in der Kantine ist und bleibt jedenfalls die: Currywurst.

Ist doch Wurst! Waren da nicht mal gute Vorsätze? Weniger Fett essen, mehr im stundenlangen Niedertemperaturverfahren sanft gegartes saisonales Gemüse verzehren und - vor allem! - Fleisch höchstens von Tieren, die im Schlaf gestorben sind? Wie weggeblasen sind die Ideale vom Essen, das den Körper wenig belastet und die Seele schon gleich gar nicht, sobald der gemeine Arbeitnehmer die Kantine betritt. Gute Vorsätze - hinweggetragen vom Duft eines der urdeutschesten Gerichte mit Migrationshintergrund: der Currywurst.

Im Gegensatz zu den verlogenen "Ganz vorzüglich, diese nussige Note von Couscous"-Mantras der angeblichen Gut-Esser sagen es die Statistiken schnörkellos: Currywurst ist das beliebteste Gericht in Deutschlands Kantinen. So vermeldete es der Kantinenkostanbieter Apetito in dieser Woche, und so vermeldet er es seit nunmehr 25 Jahren. Jedes Jahr steht die Currywurst ganz oben. Und zwar mit Abstand. Basta, Pasta! Außerdem noch unter den blutfettsteigernden Top Ten der "Lieblingsgerichte am Arbeitsplatz 2016": Köttbullar, Spaghetti Bolognese, Lasagne, Pizza, Jägerschnitzel und Hähnchengyros. Hinfort: zwei der drei Fischgerichte, die voriges Jahr noch da standen.

Allen Beteuerungen einer guten Lebensführung also zum Trotz: Wenn Currywurst zu haben ist, bleibt die Salatbar so knackig wie unberührt. Dann dürfen in einem Tröpfchen Olivenöl angedünstete Gemüse vor sich hinwelken, da kann auch kein Fisch dagegen anstinken. Die wilde Fleischeslust, die Sehnsucht nach der Straße reißt alle sorgsam errichteten Schranken ein. So reihen sich am Ende Schlangen armer Würstchen vor der Currywurst-Ausgabe; eine Verkörperung dessen, dass das willensschwache Fleisch dem wohlerzogenen Geist wieder mal unterlegen ist.

Verzeihend mögen sich die so Ertappten rausreden, dass die Currywurst nun einmal früheste Kindheitserinnerungen weckt und Düfte so tief in die evolutionsgeschichtlich alte Hirnrinde eindringen, dass der Sapiens-Anteil im Homo einfach machtlos ist. Außerdem ist Widerstehen schwierig, wenn man nicht selbst einkauft und vor dem Kochen noch einmal seine Instinkte bremsen kann, sondern das fertige Schweinchen-Essen von der Theke nur mitzunehmen braucht. Noch beim Zugreifen kann man sich deshalb einreden: Jenseits der Kantine klappt die Hinwendung zum Besseren. Selber zubereiten würde man Currywurst natürlich nie. Eigentlich isst man doch vernünftig!

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