Schön Doof:Das nackte Überleben

Schön Doof: Illustration: Bene Rohlmann

Illustration: Bene Rohlmann

Eine neue Kampagne des Arbeiter-Samariter-Bundes zeigt: Erste Hilfe kann so sexy sein. Trotzdem lieber nicht hyperventilieren, findet Laura Hertreiter.

Kaum zu glauben, dass so ein bisschen halb nacktes Hinterngewackel noch immer Aufregung verursacht. Na klar: Seit der digitalen Ausweitung von Stammtischrunden auf soziale Netzwerke wird noch schneller, öfter und lauter auf den Tisch gehauen. Aber wegen ein paar Tänzerinnen in Dessous? Solche werben seit einigen Tagen in einer Video-Kampagne des Arbeiter-Samariter-Bundes. Dafür, dass Erste Hilfe sexy ist. Der Clip wurde millionenfach geklickt, Hunderttausende Male geteilt, gefeiert und gehasst.

Man muss sich das so vorstellen: Zur Melodie von "Blurred Lines" wackelt eine Sängerin in Minirock und BH mit den Brüsten über einem schlafenden Typen und singt: "Du liegst bekifft hier, hast zu viel gesoffen, gekokst und Ecstasy und Pilze eingeworfen. Vielleicht liegt er im Koma? Vielleicht wacht er noch auf? Vielleicht geht er noch heute dra-ha-ha-ha-hau-auuuf." Dann trällert sie Tipps für lebensrettende Maßnahmen. Die Organisation hat einen ganzen Mix aus solchen Parodien auf die Hits von Meghan Trainor, Taylor Swift, Justin Timberlake, Beyoncé, und Iggy Azalea veröffentlicht. Mit schrägem deutschen Text und viel nackter Haut - wie in den echten Musikvideos. Damit mehr Menschen Erste Hilfe leisten. Denn im Notfall beginnen nur 17 Prozent eine Herzdruckmassage, beklagt der Bundesverband. In den Niederlanden liege die Zahl helfender Laien bei 65 Prozent.

Wie also könnte man die kaltherzigen Deutschen für das Thema erwärmen? Klar: mit Sex- oder mit Katzenvideos. Die Entscheidung fiel auf die naheliegende Lösung. Mal wieder. Obwohl die Sex-sells-Formel reichlich überstrapaziert ist und halb nackte Lebensretter vielleicht noch zu Baywatch-Zeiten aufregend waren. Und doch echt passé sind, seit es Krankenschwester-Kostümchen beim Discounter gibt. Trotzdem: Der Erfolg der Kampagne wurde von allen Seiten befeuert. Von sabbernden Begeisterten ("Geile Titten!"), von Generalnörglern ("Bizarr!"), von enttäuschten Samaritern ("Habe meine Mitgliedschaft gekündigt") und Sexismus-Spürhunden ("Sex hat mit Lebensrettung nichts zu tun und dies sollte auch vermittelt werden"). Reflextest bestanden. Diesen üblichen Reflexen verdanken die Samariter maximale Aufmerksamkeit bei minimalem kreativen Aufwand. Und wenn sich alle wieder beruhigt haben, könnte man kurz über die Frage reden, ob das Video Lust darauf macht, Ersthelfer zu sein. Oder eher darauf, Erste Hilfe in Anspruch zu nehmen.

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