Schön Doof:Chapeau!

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Dorothee Bär ist die "Twitterkönigin der CSU". Am Mittwochabend war sie schneller als der Schall und der Elfmeterschütze Thiago.

Von Roman Deininger

Dorothee Bär ist die "Twitterkönigin der CSU". Dickes Chapeau! Am Mittwochabend war sie schneller als der Schall und der Elfmeterschütze Thiago. Andere sollte sich an ihr ein Beispiel nehmen.

Das erste Flugzeug, das schneller flog als der Schall, war die amerikanische Militärmaschine Bell X-1, am 14. Oktober 1947 hängte sie den chancenlosen Schall einfach ab und kam mit komfortablem Vorsprung in den Geschichtsbüchern an. Dort hat die Bell X-1 nun Gesellschaft von Dorothee Bär bekommen, die in den Geschichtsbüchern an ganz anderer Stelle schon länger verewigt ist, weil sie einst als stellvertretende CSU-Generalsekretärin den bizarrsten Job überhaupt innehatte.

Inzwischen ist die junge Frau Bär hauptberuflich Staatssekretärin beim Bundesverkehrsminister, sie hat es also geschafft, in die weltweit einzige Position zu wechseln, in der sie weiterhin Stellvertreterin von Alexander Dobrindt sein kann. Dickes Chapeau! Ehrenamtlich ist Bär die "Twitterkönigin" der CSU; und im Rahmen dieses Engagements avancierte sie am Mittwoch zur ersten Frau, die schneller twittert als der Schall und der Ball.

Es war 23.12 Uhr im Stadion zu Leverkusen, als Thiago Alcantara, der stellvertretende Generalsekretär des Münchner Mittelfeldes, den FC Bayern mit seinem Elfmeter ins Halbfinale des DFB-Pokals schoss. Es war gefühlt 23.11 Uhr, als Bayern-Fan Bär ihren knapp 32 000 Followern bereits recht unmissverständlich ihr Entzücken über Thiagos Tor übermittelte: "Jaaaaaaaaaa!!!!!!!" Was Thiago in den Zehen hat, muss Bär in den Fingern haben, mit superber Telefonbeherrschung hatte sie schon in der regulären Spielzeit ihrem Lieblingsbayern Müller einen herzlichen Gruß gewidmet ("Thooooooooommmaaassss").

Es ist dieser unbedingte Wille zur Authentizität, der die Botschaften der digitalen Avantgardistin Bär auszeichnet. "Ich hab' Puls", schreibt Bär, als das Spiel der Verlängerung entgegentreibt, ich hab' Puls, das ist die unerhört poetische Variante der zentralsten Politikerbotschaft überhaupt: Ich bin übrigens auch da.

Als es Twitter noch nicht gab, mussten sich Abgeordnete im Wahlkreis bei Empfängen, Eröffnungen und dem Bingo-Abend der Landfrauen so lange neben den Buchsbaum stellen, bis der Fotograf der Lokalzeitung ihre Anwesenheit endlich dokumentiert hatte. Heute posten gewiefte Parlamentarier früh am Abend ein fesches Selfie (@landfrauen #bingoooooo) und liegen zur zweiten Halbzeit daheim auf der Couch. Dort endet die Gewieftheit aber jäh.

Viele Volksvertreter wissen nichts anzufangen mit ihrer neuen Freiheit: Wenn sie - das Handy eh im Anschlag - einen mitteilungsfreien Raum wahrnehmen, beginnen sie reflexhaft, ihn zu füllen, auch wenn sie dem Schall nur hinterherhecheln können. So erfährt die Welt dann Näheres über Peter Taubers Schuhwerk ("Bin gerade 30,2 km mit Nike+ gelaufen"), Ralf Stegners musikalische Neigungen ("Im Autoradio läuft Atomic Kitten") oder den aktuellen Stand der Körperpflege bei Johannes Kahrs ("Jetzt beim Friseur durch, Haare fein"). Es ist wohl so: In der kombinierten Weite des Lebens und des Netzes findet der Politiker von heute allzeit einen weiteren Buchsbaum, an den er sich schmiegen kann.

© SZ vom 11.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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