Schmachtwort der Woche: Peter Altmaier:"Ich bin froh, dass keiner auf mich wartet"

Ein glücklicher Single verstößt gegen ein Naturgesetz: Alleinstehende Menschen haben sich minderwertig zu fühlen und zu jammern. Aber ist es wirklich so unbegreiflich, wenn jemand genießt, dass ihm niemand morgens den Hauch des Todes ins Gesicht atmet, seinen Rasierer benutzt oder den Frühstückstisch verkrümelt?

von Violetta Simon

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Das Schmachtwort spricht diesmal Bundesumweltminister Peter Altmaier: Er ist es leid, sich für seinen Singlestatus rechtfertigen zu müssen.

(Foto: Cornelia Zeug)

Teile einer Zweierbeziehung kennen das: Man sperrt die Tür auf und stolpert über ein Paar Schuhe. Vergeblich versucht man, den Mantel an die Garderobe zu hängen - alle Haken voll, und zwar in mehreren Schichten. Es läuft Musik, die man nicht mag, und das viel zu laut. Auf dem Weg durch den Flur versucht man, den grottenhässlichen Spiegel mit dem Barockrahmen in der Diele zu ignorieren, den der andere einst mit in Wohnung und Beziehung gebracht hat. Das eigene genervte Gesicht, das sich darin spiegelt, will man erst recht nicht sehen. Ebensowenig wie die Person, die gleich im Türrahmen erscheinen und Fragen stellen wird: "Wo warst du so lange? Wann gibt's Essen? Hast du eingekauft? Kann ich das Auto haben?"

Mit anderen Worten: Für eine Partnerschaft muss man gemacht sein. Sonst geht man daran zugrunde. Bundesumweltminister Peter Altmaier ist nicht dafür gemacht. Aber er hat den Wert des Alleinlebens für sich entdeckt. "Das Singleleben ist eine Lebensform, die mir gemäß ist", sagte er in einem Interview mit der Bunten. "Abends bin ich froh, dass keiner auf mich wartet." Seine Ruhe hat der 54-Jährige trotzdem nicht. Seit der Öffentlichkeit klar geworden ist, dass der alleinstehende CDU-Politiker gar nicht vorhat, etwas an seinem Singlestatus zu ändern, muss er erklären, rechtfertigen und beschwichtigen. Immer wieder.

Selbstgewähltes Alleinsein verstößt offenbar gegen die menschliche Natur, gerade bei Mitgliedern der CDU: Will einer, der behauptet, dass er gern allein lebt, in Wirklichkeit nur nicht zugeben, dass er keinen Partner abkriegt? Oder hat er etwas zu verbergen, zum Beispiel seine sexuelle Orientierung? Die scheint ja mittlerweile bei Politikern und Sportlern ein diskussionswürdiges Allgemeingut zu sein.

Kein Gespräch, bei dem der Reporter nicht unter einem Vorwand versucht, die immergleiche Frage zu stellen, die der eigentliche Grund für das Interview zu sein scheint: Kommen Sie schon, warum sind Sie nicht verheiratet? Naaa?

Niemand glaubt offenbar, dass ein alleinstehender Mensch seiner Situation durchaus etwas abgewinnen kann, einfach nur seine Ruhe genießt und sich freut, dass ihm morgens niemand den Hauch des Todes ins Gesicht atmet, stundenlang das Bad blockiert oder den Frühstückstisch verkrümelt. Dass niemand an seiner Ernährungsweise herummäkelt, ihm geschmacklose Pullunder schenkt oder heimlich seinen Rasierer benutzt.

Glückliche Singles sind suspekt

Ein überzeugter Single liegt außerhalb der Vorstellungskraft und steht damit praktisch außerhalb der Gesellschaft. Er ist: suspekt. Deshalb hat man für dieses Phänomen auch so bemühte (für Männer) und kränkende (für Frauen) Begriffe erschaffen wie "eingefleischter Junggeselle" oder "alte Jungfer".

Von einem standesgemäßen Single erwarten wir, dass er leidet. Dass er sich an bestimmten Tagen noch einsamer fühlt, weil dann alle anderen mit ihrem Partner Weihnachten feiern, "Tatort" gucken oder den Brückentag für ein verlängertes Wochenende in Paris nutzen. Wir erwarten jedenfalls nicht, dass er Sätze sagt wie: "Im Urlaub bin ich gerne mal allein mit einem Stapel Bücher und genieße es, keinen Besuch zu bekommen."

Schopenhauer sagte: "All unser Übel kommt daher, daß wir nicht allein sein können." In der Tat tun viele Menschen alles dafür, nicht allein sein zu müssen. Durchkämmen Kontaktanzeigen, surfen durch Internet-Singlebörsen, hecheln durch Speed-Datings und klopfen Anmachsprüche. Alles nur, um keinen Argwohn zu erregen, man habe kein Interesse am anderen oder wenigstens an irgendeinem Geschlecht.

Irgendwann kommen sie wieder zu sich, die Beziehungstäter - im Flanellpyjama auf einer Zweisitzercouch - und stellen fest: Ich muss hier raus, und zwar schnell. Doch dann ist der Name des einstmals vergötterten Menschen schon auf Oberarm oder Nackenfalte tätowiert. Dann ist das lebenslang verbindliche Heiratsgelübde vor Gott und der Welt längst abgelegt. Dann ist die Familie bereits gegründet, deren Kinder in der Statistik bald unter dem Beriff "Scheidungswaisen" auftauchen.

Kaum hat man sich nach der Trennung aufgerappelt, versucht man es erneut. Umweltminister Altmaier hat sich dafür entschieden, das nicht mitzumachen. Hat sich eingerichtet in seinem Leben und akzeptiert, dass es vielleicht so bleiben wird. Schön wär's halt, wenn die Gesellschaft das auch täte. Doch die Öffentlichkeit reagiert wie ein Raucher oder Alkoholiker auf Entzug: Wenn alle mitqualmen oder gemeinsam bechern, fühlt es sich gleich richtiger an. Dann muss man nicht darüber nachdenken, ob das, was man tut, Sinn ergibt.

Deshalb werden sich Menschen wie Altmaier immer rechtfertigen müssen. Vielleicht sollten all die zufriedenen, aber genervten Singles dieser Welt sich pärchenweise zusammentun: damit ihre Mitmenschen zufrieden sind. Dann haben auch Singles wie Altmaier die Ruhe, nach der sie sich sehnen. Und können das Alleinsein endlich genießen.

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